Die USA haben in Nahost an Einfluss verloren. Ihre Pläne für die Befriedung der Region werden nicht ernst genommen. Die derzeitige israelische Regierung will keine Zweistaatenlösung, und Saudi-Arabien und Ägypten interessieren sich nicht für die Palästinenser.
Genau das, was US-Präsident Biden drei Monate lang (seit dem durch den Hamas-Terror ausgelösten Gazakrieg) vermeiden wollte, ist nun geschehen. Die Vereinigten Staaten sind im Mittleren Osten aktiv in den Krieg eingetreten. Nicht, wie ursprünglich vermutet, gegen Syrien oder die libanesische Hizbullah-Miliz oder Iran, sondern gegen eine Rebellengruppe, die bis vor kurzem noch keine westliche Macht ernst nehmen wollte: die Huthi im Armenhaus Jemen.
Gegen sie schmiedeten die USA nun, als Reaktion auf Attacken der jemenitischen Rebellen auf Containerschiffe im Roten Meer, eine grenzüberschreitende Koalition. Sie wirkt allerdings eher zufällig zusammengesetzt: Dabei sind, ausser den USA selbst, noch Kanada, Grossbritannien, die Niederlande, Bahrain und Australien. An den ersten Angriffen gegen echte oder vermutete Huthi-Radaranlagen und Abschussrampen für Raketen im gebirgigen Jemen beteiligt waren allerdings nur die Briten und die Amerikaner selbst, was den Begriff Koalition etwas fraglich macht.
Saudi-Arabien und Ägypten stehen abseits
Und was sogleich zur Frage führt: Was ist denn mit Saudi-Arabien und mit Ägypten, also mit Ländern, die von all dem, was sich jetzt im Roten Meer abspielt, direkt betroffen sind? Saudi-Arabien hat eine über 2000 Kilometer lange Rotmeer-Küste.
Ägypten ist betroffen, weil fast alle Handelsschiffe, die das Rote Meer passieren, in der einen oder der anderen Richtung auch durch den Suezkanal fahren – die Gebühren für die Kanaldurchfahrt sind lebenswichtig für die Wirtschaft Ägyptens (jährliche Einnahmen ca. 9,4 Milliarden Dollar) –, und da nun wegen der Huthi-Angriffe auf Containerriesen aus irgendwelchen Ländern in der einen oder anderen Richtung der Transitverkehr zusammengebrochen ist, erleidet das ohnehin schon tief verschuldete Reich von Abd al-Fattah as-Sisi Einbussen in Milliardenhöhe.
Also müsste sich der ägyptische Herrscher eigentlich der von den fernen USA initiierten Koalition gegen die Huthi-Piraten anschliessen. Aber Fehlanzeige. Die Regierung Ägyptens mahnt lediglich alle Seiten zur Mässigung. Ähnlich wie die Führung Saudi-Arabiens, die nicht mehr als Schritte zur Deeskalation einfordert.
Eine Vision ohne Resonanz
Die Reaktion der Herrschenden dieser Länder zeigt, wie sehr die Vereinigten Staaten von Amerika an Einfluss in der Region verloren haben. US-Aussenminister Blinken bekommt das bei jeder seiner Reisen quer durch die Region (fünf waren es schon seit dem verhängnisvollen 7. Oktober, die letzte endete in der vergangenen Woche) zu spüren. Die von der Biden-Administration entworfene «Vision» für einen neuen Mittleren Osten wurde bisher von keiner Regierung konstruktiv aufgenommen. Sie wirkt ja gut gemeint – nur ist gut gemeint nicht immer identisch mit wirklich gut.
Die Vision beinhaltet: Die arabischen Regierungen unterstützen eine regionale Kooperation, inklusive normalisierte Beziehungen mit Israel, ein Ende des Gazakriegs. Von Israel wird ein Ja für einen «clear path» erwartet, also einen klaren Weg für die Respektierung politischer Rechte der Palästinenser und die Zustimmung zur Schaffung eines palästinensischen Staats, der das Westjordanland und Gaza umfassen soll. Die Verwirklichung dieses Plans, so sagte US-Aussenminister Blinken, hätte den zusätzlichen Vorteil, dass er ein Signal für die Isolierung Irans beinhalte und den Einfluss Teherans auf Organisationen wie Hizbullah, Hamas und die Huthi reduzieren könne.
Dass alle von Aussenminister Blinken angesprochenen Araber genickt oder gelächelt haben, als die Rede auf die Schaffung eines palästinensischen Staates kam, ist zu vermuten. Die eisige Reaktion des israelischen Premiers bei jeder Erwähnung der Zweistaatenlösung aber beruht nicht auf Vermutung, sondern ist verbrieft. Netanjahu kam in den neunziger Jahren ja erstmals ins Amt, gerade weil er klar machte, dass es unter seiner Verantwortung nie, wirklich nie zur Bildung eines palästinensischen Staates kommen wird. Daran hat sich nichts geändert.
Realitätsfremde Konzepte
Auch weitere Punkte im US-amerikanischen Befriedungsplan sind, man muss das so klar ausdrücken, realitätsfremd. Keine arabische Regierung wird sich dazu durchringen, mit Israel den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, solange der Krieg im Gazastreifen mit den täglich steigenden Opferzahlen bei der Bevölkerung (fast schon 24’000 Tote, weit über 50’000 Verletzte, Spitäler ohne Versorgung und so weiter) andauert.
Realitätsfremd sind aber auch die Konzepte europäischer Denkfabriken für die Zukunft des Gazastreifens. So etwa jene, die ein Engagement arabischer Regierungen vor Ort, also inmitten der 2,2-Millionen Bevölkerung des Gaza-Trümmerhaufens empfiehlt und, ähnlich wie die israelische Regierung, davon ausgeht, man könne nach einem Ende des Kriegs bei den Gaza-Palästinensern noch Leute mit gemässigter Gesinnung finden, die ein Interesse daran hätten, den übervölkerten Landstreifen in friedlicher Zusammenarbeit mit Israel wieder aufzubauen.
Die Realität ist leider anders. Beispielsweise so, wie sie, nur zwei Tage vor der letzten Vermittlungsreise von US-Aussenminister Blinken, dem deutschen Wirtschaftsminister Habeck in Saudi-Arabien präsentiert wurde. Ihm wurde gezeigt, was die Saudis wirklich interessiert, beispielsweise ein Vergnügungspark in einer Canyon-Landschaft in der Nähe von Riad. Mit einer Achterbahn, die höhere Tempi erreichen soll als jene, mit der zurzeit beim Nachbarn Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten Reklame gemacht wird. Deren Höchstgeschwindigkeit von 240 km/h wollen die Saudis toppen mit ihrer neuen Bahn, die 260 km/h erreichen soll.
Wichtig ist allein die saudische «Vision 2030»
Darüber hinaus wurde Habeck und wohl auch dem US-Aussenminister Blinken klargemacht, dass Saudi-Arabien, inspiriert vom Autokraten Mohammed bin Salman (MbS) sich für anderes interessiert als die Palästinenser oder die Huthi, mit denen Saudi-Arabien ja 2022, nach sieben Jahren Krieg, einen Burgfrieden geschlossen hat. Im Vordergrund steht jener wirtschaftliche Höhenflug, den MbS als «Vision 2030» seinen Untertanen und der an Investitionen interessierten Welt anpreist. Alles ausserhalb dieser Vision, inklusive der US-amerikanischen Anfrage, ob Saudi-Arabien sich an der Koalition gegen die Huthi und zum Schutz der Handelsschifffahrt im Roten Meer engagieren könne und wolle, ist, so kann man die Aussagen und Verlautbarungen der Regierung in Riad lesen, lästig. Nicht mehr und nicht weniger.
Und ähnlich ist es für Ägypten, das zweite unmittelbar von der Eskalation im Roten Meer betroffene Land. As-Sisi wird nicht müde, Empathie für die Palästinenser im unmittelbar an sein Land angrenzenden Gazastreifen zu äussern, kooperiert aber ohne Hemmungen mit Israel bei der Kontrolle des Grenzübergangs Rafah. Dass viel zu wenige Konvois mit Hilfsgütern die Menschen im zertrümmerten Konfliktgebiet erreichen können, beruht auch auf der intensiven Zusammenarbeit der ägyptischen mit den israelischen Behörden (die darauf beharren, jeden Lastwagen zu durchsuchen, bevor er den Übergang passiert).
Und was den Huthi-Konflikt betrifft, beschränkte auch as-Sissi sich, ähnlich wie MbS in Saudi-Arabien, auf die Formel, man würde eine Deeskalation begrüssen. Keine Rede von einer Teilnahme an der Koalition.
Fazit: Die US-Amerikaner, tatkräftig unterstützt nur von den Briten und mit nicht mehr als verbalem Sukkurs durch ein paar wenige Regierungen eher aus der Ferne als aus der Nähe, werden weiterhin wahrscheinlich ohne grossen Erfolg versuchen, die jemenitischen Huthi einigermassen in Schach zu halten. Und sie werden Israel eher ersuchen als drängen, im Gazakrieg die Zivilbevölkerung weniger erbarmungslos zu bombardieren als bisher.
Die Gefahr aber, dass aus einem eigentlich lokal begrenzten Konflikt ein Flächenbrand wird, steigt von Tag zu Tag.