Er war auf dem Weg nach Schloss Grätsch, ein Chauffeur hatte ihn in Thusis abgeholt, nicht etwa in einer Limousine, sondern in einem Humver. Der Chauffeur trug keinen dunklen Anzug, sondern ein laubfarbenes Tarnkleid, hohe Stiefel, ein Beret und einen Schnauzer.
“Der Untergebene formuliert seine Vorschläge als Anträge. Diesen wird stattgegeben oder nicht. Eine Begründung findet nicht statt.”
Draussen zogen Tannen vorbei. Roger Rightwing sah enge Schluchten, aus dem Fels schiessende Sturzbäche. Nebel stieg auf.
“Die Anträge sind auf adäquatem Niveau der Befehlskette. Im Topsegment werden nur strategische Fragen behandelt. Die Untergebenen verkehren nie direkt mit dem Vorsitzenden… ”
Wer kann ihm da nicht Recht geben? Ich gebe Roger Rightwing recht. Das ist grau-en-haf-tes Deutsch. Grauslig. Die Sprache des Todes. Kapitalismusdeutsch. Gar nicht feingeistig.
“Missachtung der Befehlskette wird scharf gerügt. Im Wiederholungsfall wird scharf geschossen.”
Das hatte Roger jetzt in Gedanken erfunden.
“Festhalten”, schrie der Chauffeur in Kampfmontur nach hinten. Es rumpelte gewaltig. Das waren in den Boden gestampfte Felsblöcke, die noch etwas hervorragten. Sie befanden sich in der Einfahrt zu Schloss Grätsch. Feindhindernis.
Der Humver rumpelte zur Strasse zurück, Roger Rightwing zog an der Glocke. Der Diener hatte keinen Buckel.
Roger stand jetzt im so genannten Rüstungssaal, und die Rüstungen klapperten denn auch im Durchzug.
Der Tisch war gedeckt: eine lange Tafel, die beiden Essenden jeweils an deren Ende, in zehn Meter Abstand. Zu Rogers Überraschung sass Dark Vader bereits am Tisch. Bleich stach das Gesicht gegen den schwarzen Umhang ab und vom bleichen Gesicht stachen die pechschwarz gefärbten Haare ab.
Roger setzte sich mit einer Kopfbewegung. Dem Vorsitzenden reichte man nicht die Hand und man sprach ihn auch nicht an.
“Zahlen?”, hallte es vom anderen Ende des Rüstungssaals.
“Abnehmend. Wir haben noch 49’800 Leser, davon sind 68% Rentner.”
“Egal. Aber zitiert werdet ihr?”
Roger grinste: “Es gibt sogar eine Satire über uns.”
“Faxe mir das aufs Schloss. Die Mittel?”
“Ein Loch von zwei Millionen auf Ende Jahr.”
Ein Grunzen. Der Diener brachte Fleisch und Spätzli.
“Kampagnen?”
“Gegen die Mitarbeiter der Winterhilfe, gegen das Fastenopfer, gegen den Verein ‘Flussbegradigung der Aare’…”
“Hör auf. Bring mir einen richtigen Feind.”
“Joe Ackermann? Ospel? Aber der ist dein Freund.”
“Keine Toten. Frische Feinde.”
Dark Vader hatte ein Stück Rindfilet Saignant mit seinen grossen Zähnen zermahlen, und jetzt rann ein Faden Blut aus seinem Mundwinkel. Dieses Blut war das einzige Bisschen Farbe im Rüstungssaal. Roger Rightwing war in einem Schwarzweissfilm.
“Hast du Anträge?”
“Lohnkürzungen von zwanzig Prozent, mich ausgenommen. Vier Entlassungen. Einen Teil der Redaktionsräume an die Stadt als Unterkunft für Asylsuchende vermieten. Verdoppelung des Kaffeepreises am Automaten. Einführung einer Toilettengebühr…”
“So was besprichst du nicht mit MIR. Bring mir einen guten Feind. Einen Feind, in den ich hi-nein-beis-sen kann. Einen Kopf! Gibt es in diesem Land keine Köpfe mehr? Einen e-ben-bür-ti-gen Feind.”
Es war nicht Bänz Ödeli, der jetzt schwitze - Bänz fuhr mit dem Korrektor Stomp auf der Redaktion gerade einen Parallelslalom am Bildschirm -, es war Roger, in dessen Armani es hineintropfte.
Da begann Dark Vader plötzlich über dem Tisch zu schweben, der Umhang flatterte in der Zugluft. Er flog eine Runde im Saal, am Kronleuchter vorbei, dann huschte er über Roger Rightwings Kopf hinweg und entflog aus einem Fenster…
“Was hast du?”, fragte die Frau.
“Ich hatte einen Alptraum.”
“Das kommt von dieser unverdaulichen Lektüre, diesem diabolischen Vademecum. Wirf das Buch fort.”
“Ich brauche einen Feind. Einen ebenbürtigen”, sagte er.
“Schlaf jetzt. Der Morgen bringt Rat.”
Am Morgen fühlte Roger Rightwing sich zerknittert wie eine alte Zeitung. Auf der neuen, der frischen, die auf dem Esstisch lag, sah er auf der Frontseite das Foto der Nationalbank, die als Hintergrund für irgendeine Zinskurve diente.
“Hm. Nationalbank.”
“Ja, Schatz. Willst du einen doppelten Espresso?”
Plötzlich ein Schrei. Ein Jauchzer. Personalisieren! Köpfe suchen, Köpfe abschneiden, Köpfe in den Wassergraben von Schloss Grätsch rollen. Köpfe-Köpfe-Köpfe…
“Der Chef der Nationalbank! Der Chef der Nationalbank!”, brüllte Roger. “Er ist der Feind! Der Geldhorter! Der Regenmann des Leitzinses. Der Wertebewahrer. Der Goldvrenelifresser!”
Ruhig stellte Roger Rightwings Frau die Tasse auf den Tisch. Roger tanzte um den Tisch herum und verbeugte sich dabei mehrmals. “Danke, Dark Vader. Danke für die Botschaft. Gott-hab-dich. Der-Ehre-treu. Danke, danke, danke…”
Keine Sorge, Rightwings Frau kannte das.
Es kam öfter vor.