Die Wut, die Enttäuschung des ukrainischen Präsidenten Selenskyj nach dem Nein der Nato zur Errichtung einer Flugverbotszone ist nachvollziehbar – doch ebenso nachvollziehbar ist die Entscheidung, die der Generalsekretär der Allianz, Jens Stoltenberg, mit den Worten kommentierte, eine Flugverbotszone würde «zu einem weitreichenden Krieg in ganz Europa mit noch mehr Opfern» führen. Und da sage die Nato entschieden Nein.
Auch, dass in diesem Konflikt Emotionen die kalte Vernunft überlagern, ist verständlich. Selenskyj äusserte dazu, die Westmächte seien von jetzt an für jedes Todesopfer in der Ukraine mitverantwortlich. Würde sein Land, würden dessen Menschen nicht stündlich Opfer von russischen Bomben und der Artillerie der russischen Panzer, hätte der ukrainische Präsident sich wohl nicht zu einer solchen Anklage hinreissen lassen.
Verständliche Enttäuschung Selenkyjs
Doch die Brutalität, der sein Land nun schon seit zehn Tagen ausgeliefert ist, macht die Aussage verzeihlich. Flugverbotszone hört sich zunächst defensiv an. Doch so ist es nicht: Eine solche Massnahme kann nur mit eigenen Flugzeugen in der betreffenden Region durchgesetzt werden, und das bedeutet, dass feindliche Maschinen (das wären im konkreten Fall die russischen) abgeschossen würden. Damit wäre der Point of no Return für einen Krieg in ganz Europa erreicht – ein Krieg mit Atommächten und möglicherweise Atombomben von beiden Seiten.
Die bisherigen Flugverbotszonen jedoch spielten sich zwischen militärisch sehr unterschiedlichen Mächten ab – im ersten Golfkrieg (1991) gegen Irak, in den Balkan-Konflikten (1992) und in Libyen im Jahr 2011, als der Uno-Sicherheitsrat die Massnahme absegnete. Ironie der Zeitgeschichte: Russland enthielt sich damals der Stimme und ermöglichte so bewusst die Schaffung der Flugverbotszone.
Die russische Führung ging davon aus, die an den Operationen beteiligten Kräfte würden die Durchsetzung des Verbots quasi neutral gegen und zugunsten beider Seiten, jener Ghaddafis und dessen Gegner, realisieren. Als klar wurde, dass die Maschinen der Nato-Länder einseitig die Aktionen der Ghaddafi-Gegner schützten (und der libysche Diktator gefasst und umgebracht wurde), protestierte der Kreml. Und sprach fortan von einem notorischen Verrat und Komplott des Westens gegen Russland. Es war einer von vielen Mosaik-Steinen, die zur Eiszeit zwischen den beiden «Welten» führte.
Mehrere Anträge zur Aufnahme in der EU
Aber nicht nur der Präsident der von Russland attackierten Ukraine liess seinen Emotionen in den letzten Tagen freien Lauf – spiegelbildlich umgekehrt gilt das auch, beispielsweise, für die britische Aussenministerin Liz Truss. Sie sagte, ihr Land würde Menschen aus irgendwelchen Staaten, die als Freiwillige an der Seite der ukrainischen Armee kämpfen wollten, «absolut unterstützen». Dass solches Mitwirken zu strafrechtlichen Verfolgungen (in Grossbritannien) führen würde, musste danach Premier Johnson klarstellen.
Auch über den Bereich von Nato-Regierungen hinaus schlugen Wellen der Emotion bisweilen «durch die Decke». So äusserte etwa der EU-Aussenbeauftragte, Josep Borrell, die Aussenminister der Europäischen Union hätten sich darauf geeinigt, der Ukraine «sogar Kampfflugzeuge» zu liefern. In Wirklichkeit sind die 450 Millionen Euro, welche die EU als militärische Hilfe für die Ukraine gesprochen hat, nur für defensive Waffen bestimmt. Allerdings wohl auch im Wissen, dass in einem Krieg bisweilen Defensiv-Systeme auch offensiv angewendet werden können.
Die Europäische Union als Mini-Rettungsanker für Länder, die sich von Russland bedroht fühlen: das Beispiel Ukraine (deren Regierung einen Eil-Antrag für einen Beitritt gestellt hat) macht Schule. Georgien und Moldau haben sich ebenfalls an die EU gewandt. Mit derzeit allerdings geringen Aussichten.
Putins Geschichte von der Ratte
Je länger der Krieg Russlands gegen die Ukraine dauert, desto klarer erweist sich, dass Putin sich gewaltig verrechnet hat. Selbst wenn die russischen Streitkräfte das Land unterjochen könnten, hat dieser Konflikt schon bis jetzt, bis zum zehnten Tag, bewiesen, dass die Ukraine nicht das ist, was der russische Autokrat am Vorabend der Attacke noch behauptete: Ein «Marionettenstaat» mit einer «faschistischen» Führung, die in der Bevölkerung keinen Rückhalt habe. Aber je länger der Krieg dauert, desto mehr wird Putin in die Ecke gedrängt. Spontan (jetzt werde auch ich emotional) möchte man sagen: Geschieht ihm recht. Nur wird sich über kurz oder lang die Frage stellen, wie er wieder aus dieser Ecke herauskommen, wie er auch nur rudimentär sein Gesicht retten kann.
Die «Frankfurter Allgemeine» erinnerte in ihrer Freitags-Ausgabe an eine Anekdote, die Putin selbst immer wieder gerne erzählte: Er habe, als Jugendlicher, eine riesige Ratte in eine Ecke gedrängt. «Als das verängstigte Tier in der Falle sass, ging es unversehens zum Gegenangriff über.» Putin habe mit Bewunderung von dieser Ratte erzählt. Der Autor des FAZ-Beitrags schlussfolgert: «Wenn er demnächst in die Situation geriete, sich wie diese Ratte zu fühlen, wäre das für die ganze Welt extrem gefährlich.»
Also: wie hält die Nato, der Westen insgesamt (wie halten die 141 Länder, die in der UNO-Generalversammlung Russland verurteilten) Putin davon ab, wie die Riesenratte zu agieren? Da herrscht, leider, Ratlosigkeit.