Nun ist also offiziell, womit die meisten Beobachter in den letzten Wochen gerechnet und was wohl nur eine Minderheit in Russland befürchtet hatte: Putin kehrt nach den Pro-forma-Wahlen im kommenden März zurück auf den Präsidentenstuhl im Kreml. Sein inzwischen zum blossen Platzhalter degradierter Adlatus Medwedew soll dann von Putin das Amt des Regierungschefs übernehmen. Bei einer Gegenstimme haben die mehrere tausend Vertreter der Partei Einiges Russland – eine Kreation Putins und seines Machtapparates, die in der Duma eine Zweidrittelmehrheit stellt – dieser Rochade begeistert zugestimmt.
Gorbatschows Sorge
Der letzte sowjetische Staatspräsidente Gorbatschow, ohne dessen heroisches Perestroika-Experiment ja vielleicht das alte Sowjetreich noch immer bestehen würde, war hingegen von diesem abgekarteten Machwechsel-Manöver weniger begeistert. Putin fahre Russland in eine Sackgasse, kommentierte er die Moskauer Polit-Inszenierung vom Wochenende.
Man kann Gorbatschows kritisches Urteil nachempfinden. Rein formal gesehen verstösst der Sitzwechsel des bisherigen „Tandems“ Putin-Medwedew zwar nicht gegen irgendwelche gesetzliche Regeln. Putin hatte vor vier Jahren seinen Präsidentensessel im Kreml seinem Assistenten Medwedew abgetreten, weil die russische Verfassung nur zwei aufeinander folgende Amtszeiten erlaubt. Dass Putin diese Regel respektierte, hatte ihm zunächst auch von kritischen Beobachtern einige Achtung eingebracht – er hätte dank seines überragenden Machteinflusses in der Duma und seiner unbestrittenen Popularität im Volk die Verfassung ohne weiteres ändern lassen können.
Bis 2024 an der Macht?
Doch nun ruft die so durchsichtig inszenierte Rückkehr Putins auf den Präsidentenstuhl und die umstandslose Abhalfterung Medwedews von diesem Amt zumindest bei kritischen Beobachtern ungute Gefühle hervor. Wo bleiben da die Signale wirklichen Reformwillens und der dringend notwendigen Erneuerung von Russlands Wirtschaft und Gesellschaft, die Putin und vor allem sein Adlatus Medwedew so unentwegt beschworen und versprochen haben?
Unter Medwedew ist die verfassungsmässige Amtszeit des Präsidenten auf zwei Mal 6 Jahre verlängert worden. Das bedeutet, dass der 59-jährige Putin nun nochmals 12 Jahre das Szepter im Kreml schwingen kann, also bis zum Jahr 2024! Zusammen mit seiner vorangegangenen achtjährigen Präsidentschaft (2000 bis 2008) würde er dann volle 20 Jahre lang regiert haben.
Breschnews Ära der Stagnation
Diese Sesselkleber-Perspektive erinnert gerade in Russland manche Beobachter an die endlose Herrschaft des früheren sowjetischen Partei- und Staatschefs Leonid Breschnew, der 18 lange Jahre im Kreml regierte. Diese Breschnew-Ära wird heute allgemein als eine Zeit der inneren Stagnation und politischen Verkalkung Russlands charakterisiert.
Hat Putin, der die Breschnew-Periode als aktiver KGB-Agent ja noch sehr bewusst erlebt hatte, solche Gefahren, die auch seiner Herrschaft bei einer Verlängerung bis ins nächste Jahrzehnt drohen, nicht erkannt? Zumindest dürften ihm solche Überlegungen nicht völlig fremd sein, denn sie werden in Teilen der russischen Medien, die nicht nach der Pfeife des Kremls tanzen müssen, durchaus offen debattiert.
Medwedews fehlender Mut
So drängt sich der Schluss auf, dass für das Political animal Putin die Versuchung der Macht eben stärker ist als die philosophische Einsicht in die Erkenntnis, dass eine allzu lange Herrschaft selten ein glorreiches Ende nimmt. Manches spricht jedenfalls dafür, dass Putin später einmal einen ruhmreicheren Platz in den Geschichtsbüchern einnehmen würde, wenn er die Grösse aufgebracht hätte, nach seinen beiden ersten Amtszeiten auf dem russischen Präsidentenstuhl auf ein Comeback zu verzichten – und das Amt des Staatschefs einer moderneren, weniger autokratisch fixierten Kraft zu überlassen.
Hätte der jetzt zum blossen Platzhalter und Erfüllungsgehilfen Putins degradierte Medwedew wenigstens den Mut aufgebracht, bei der kommenden Präsidentenwahl als Alternativkandidat gegen Putin aufzutreten – ein Szenario, das eine Zeitlang als nicht ausgeschlossen galt – so hätte auch er sich grösseren Respekt verschaffen können. Vielleicht wäre diese Wahl dann vom Machtapparat im Kreml etwas weniger massiv manipuliert worden, als dies bei den letzten Urnengängen der Fall war.
Viele möchten auswandern
Dass, anders als während Putins erster vierjähriger Amtszeit im Kreml, die Stimmung in der russischen Bevölkerung heute durchaus nicht optimistisch gestimmt ist, zeigt eine aktuelle Umfrage des angesehenen Moskauer Levada-Zentrums. Danach äusserten nicht weniger als 22 Prozent der Befragten den grundsätzlichen Wunsch, ins Ausland zu emmigrieren. Unter den Unternehmern und Studenten möchten sogar über 50 Prozent Russland für immer den Rücken kehren.
Dass heisst zwar noch lange nicht, dass solche Wünsche dann auch tatsächlich in konkrete Taten umgesetzt werden. Aber es ist ein deutliches Indiz, dass das einst breite Vertrauen in Putins Fähigkeiten, Russland schwungvoll voranzubringen, vor allem bei den besser ausgebildeten Bürgern stark geschrumpft ist.