Die Welterbestätte Chaco (seit 1987) umfasst den Chaco Culture National Historical Park im amerikanischen Gliedstaat Neumexiko mit einigen Abrundungen, die das Welterbekomitee wünschte, um den Sonderfall Chaco innerhalb der Anasazikultur des Südwestens der USA zu verdeutlichen. – Anasazi? Mangels schriftlicher Zeugnisse wissen wir über ihre geistige Welt so gut wie nichts, und auch sonst herzlich wenig, nicht einmal, wie sie sich selber nannten.
Den Namen gaben ihnen die Archäologen – eher takt- und glücklos: Anasazi ist ein Wort der Navajo-Sprache und bedeutet soviel wie Erzfeind; dabei sind die Anasazi ja die Vorfahren der heutigen Hopi-, Zuni- und anderen Puebloindianer. Nachweisbar sind die Anasazi im Gebiet des Colorado-Plateaus seit Beginn der Zeitrechnung – zunächst als Jäger und Sammler, später als sesshafte Bauern, die Mais, Bohnen und Kürbisse pflanzten. Sie lebten in unbefestigten Dörfern auf den Mesas und in den Tälern. Das Nebeneinander der Dorfgemeinschaften verwandelte sich aber um das Jahr 900 in ein hierarchisch gegliedertes Übereinander mit Chaco als Zentrum. Chaco kam um die Mitte des 11. Jahrhunderts auf den Höhepunkt seines Einflusses.
Belegbar sind Handelsbeziehungen mit Mexiko und der Pazifikküste. Die Chacoaner waren Meister im Töpfern, Weben und Flechten. Sie beobachteten vielleicht auch systematisch den Himmel; jedenfalls ist unter einem Felsüberhang die Supernova des Jahres 1054 malerisch festgehalten – jene Sternexplosion, die vermutlich nach Sonne und Mond das hellste Objekt war, das Menschen unbewaffneten Auges je am Himmel sahen. Nicht zuletzt waren die Chacoaner Meister im Bauen. Pueblo Bonito im Chacotal ist dafür das Vorzeigebeispiel – mehrgeschossig, mit über 700 Räumen; das Mauerwerk vom feinsten, mit Mörtel gekitttete Sandsteinplatten: im Urteil heutiger Experten die erlesenste präkolumbianische Architekturschöpfung in den USA. Ein Apartmenthaus? Wohl kaum.
Die Vielzahl kreisrunder Kulträume (Kivas) nährt Zweifel. Der Bau bildete die Nabe eines Rads: wie Speichen gingen breite Strassen schnurgerade von ihr ab, mit Dutzenden von Satellitendörfern auf dem Radkranz. Also eher eine Kultstätte, vielleicht ein Wallfahrtszentrum. Ob freilich alle Pilger ihre Ankunft überlebten, ist seit kurzem fraglich. Anthropologen haben neuerdings die reichlich modische Vorstellung von einer gewaltfreien, in Harmonie mit Himmel und Erde lebenden Anasazigesellschaft angekratzt. Viele hundert Skelette weisen Spuren von ritueller Tötung, ja Kannibalismus auf.
Es ist nicht einmal mehr auszuschliessen, dass die Chacoaner Nachbarstämme mit der Drohung, sie aufzuessen, gefügig machten. Im Lauf des 12. Jahrhunderts aber starb die Chacobevölkerung aus, ihre Pueblos zerfielen – weshalb, ist unklar. Wenig später beginnt auch für die übrigen Anasazi das letzte Kapitel; ein Machtzentrum à la Chaco ist nicht mehr erkennbar. Die Dörfer werden jetzt verteidigungsfähig auf schwierig erreichbaren Felsbändern und unter Felsüberhängen angelegt. Die Feinde der Anasazi? Allenfalls sie selber. Baumringe aus dieser Zeit registrieren periodische Dürren. Augenscheinlich widerstand die Sozialordnung der Anasazi dem Stress von Missernten und Hungersnöten nicht. Bis 1300 leerte sich ihr angestammtes Kerngebiet gänzlich. Möglicherweise diffundierten sie als Klimaflüchtlinge in die Gebiete der heutigen Puebloindianer am Rio Grande. – Jahr des Flugbilds: 1978 (Copyright Georg Gerster/Keystone)