Im Fall von Dominique Strauss-Kahn (DSK) spielte natürlich in erster Linie der ungewöhnliche Skandal - Fall des IMF-Direktors über ein Sexabenteuer mit einer Hotelangestellten - die treibende Rolle für das Zuschauerinteresse (13 Millionen am vergangenen Sonntagabend).
Die ewigen Fragen von Macht und Sex, Politik und Moral, männlicher Dominierungssucht und Unterlegenheit der Frau beschäftigten ein Heer von bedarften und unbedarften Spezialisten seit der Verhaftung von DSK am 14. Mai dieses Jahres. Es war der Skandal des Jahres, was allein schon das Interesse erklärt.
Aber darüber hinaus interessierte schliesslich auch der politische Hintergrund. Denn mit dem Skandal verschwand der aussichtsreichste Kandidat des Parti Socialiste (PS) für die Präsidentenwahlen vom Mai 2012. Rein voyeurhaft wollte man natürlich auch den Mann sehen, dem seither insgeheim unzählige Frauengeschichten angelastet werden. Zwei Zivilprozesse, einer in New York zum dortigen Fall, der vom offiziellen Kläger ohne Klageerhebung am 23. August abgeschlossen wurde, der andere in Frankreich um die Klage der 32-jährigen Schriftstellerin Tristane Banon, sind hängig, wobei der letztere aber auch abgelehnt werden könnte (die umstrittene sexuelle Aggression datiert aus dem Jahr 2002, Klage wurde aber erst 2011 erhoben).
Aussergewöhnbliche Primärwahlen
Weniger mit Sex-Appeal zu tun hatte die Vorstellung der fünf Kandidaten des PS und eines Radikalsozialisten (linkes Zentrum) für die Primärwahlen des PS, mit denen am 9. und 16. Oktober (falls ein zweiter Wahlgang für die 50-Prozentgrenze nötig wird, was höchstwahrscheinlich der Fall sein wird) der Kandidat für die Präsidentenwahlen bestimmt wird.
Erstmals finden in Frankreich Primärwahlen in diesem Ausmass statt, worauf der PS trotz Organisationsschwierigkeiten stolz ist - und dies der Rechten auch vorwirft, wo sich der bisher noch nicht als Kandidat erklärte Nicolas Sarkozy mit einigen aussichtslosen Aussenseiterkandiaten dem Rennen stellen wird. Wählen kann jedermann, der einen staatlichen Wahlausweis besitzt oder zwischen 16 und 18 Jahre alt ist, einen Euro bezahlt und eine "Charta für die Werte der Linken" unterzeichnet. Die Wahl ist somit nicht auf Parteimitglieder beschränkt, um einen möglichst breiten Zulauf zu haben: Der Wahlkampf hat bereits begonnen.
Währent drei Stunden traten am Abend des 15. Septembers auf: Martine Aubry, frühere Ministerin und Parteisekretärin, François Holland, nie Minister, aber auch ehemaliger Parteiskeretär, Ségolène Royal, ex-Lebensgefährtin von Holland und 2007 abgeschlagene Präsidentschaftskandidatin, von der jungen Generation Arnaud Montebourg und Manuel Valls, je vom linken und rechten Parteiflügel, sowie Jean-Michel Baylet vom Parti radical de gauche.
Alle sind auf ein Wahlprogramm von nicht weniger als dreihundert Vorschlägen eingeschworen worden, aber alle machen es sich zu Pflicht, es fröhlich, wenn auch nur leicht zu variieren, damit sich auch jeder profilieren kann. Dennoch fiel es den Zuschauer manchmal schwer, die wirklichen Unterschiede zwischen den Kandidaten herauszufinden.
Alternative zu Sarkozy gesucht
Diesen fiel es ihrerseits einigermassen schwer, sich mit Ausnahme der Rückgängigmachung von Steuererleichterungen auf eine wirksame Defizitbekämpfung zu verpflichten, was die Regierungspartei am nächsten Tag genüsslich in den Vordergrund stellte. Der mehr oder weniger schnelle, aber nur teilweise Ausstieg aus der Atomkraft erklärt sich aus der Notwendigkeit, dass der PS, eine Pro-Atom-Partei, für den zweiten Wahlgang offen für eine Koalition mit den Grünen bleiben muss.
Holland bleibt auch in Wirtschafts- und Finanzfragen relativ offen, da er Zentrumswähler und enttäuschte Gaullisten anziehen will. Er hat laut Umfragen zur Zeit die besten Chancen, Nicolas Sarkozy zu schlagen, gefolgt von Martin Aubry, während die anderen Kandidaten deutlich abfallen. Deshalb wird angenommen, dass das Rennen in den Primärwahlen zwischen Holland und Aubry läuft. Beide sind, wie Ségolène Royal, einem breiteren Publikum einigermassen bekannt, aber das Zuschauerinteresse zeigte doch, dass noch ein erheblicher Nachholbedarf bestand, zugleich mit dem regen Bedürfnis, eine Alternative zu Sarkozy zu finden, die nicht der rechtsextreme Front national ist.
Der Schrecken für die Sozialisten wäre eine Wiederholung der Konstellation von 2002, als sich in der zweiten Wahlrunde Chirac und Le Pen gegenüberstanden, und das "republikanische Gewissen" dazu zwang, Chirac zu wählen. Die Zuschauerzahlen besagen selbstverständlich noch nichts über den Zulauf zum PS, aber sie setzen hoffentlich ein Fragezeichen hinter die seit einiger Zeit als feste Grösse angenommene Politikverdrossenheit der französichen Wähler, die mit Proteststimmen den Front national begünstigen könnten.
Keine Einmischung von DSK?
Die andere Befürchtung, dass nämlich der Fall DSK die Primärwahlen empfindlich stören könnte, gilt heute als weniger gefährlich. Zwischen Aubry und DSK soll - vor dessen Verhaftung - ein Pakt bestanden haben, nicht gegeneinander anzutreten. Erst als das amerikanische Prozedere eine Teilnahme von DSK an den Primärwahlen unmöglich machte, konnte und musste sich Aubry als Kandidatin erklären. Sie wehrt sich nun gegen den - auch von DSK verbreiteten - Eindruck, nur eine "Ersatzkandidatin" zu sein.
Nachdem DSK wieder seine volle Freiheit gewonnen hatte, war es aber ohnehin zu spät für eine - von vielen, auch in seiner eigenen Partei, nun auch als undenkbar bezeichnete - Kandidatur. Aber es bestand die Ungewissheit, ob und wie sich DSK in die Primärwahlen einmischen würde. Dieser hat er nun selbst ein Ende gesetzt, indem er sich selbst eine politische Pause versprach, was bei den Sozialisten ein hörbares Aufatmen bewirkte. Seine Anhänger hatten sich bereits auf Holland und Aubry verteilt und ihm eine Denkpause gegönnt, die mindestens bis zu den Präsidentenwahlen dauern soll. Nachher gilt seine politische Zukunft wieder als offen - wenn auch als belastet.