«Wir wollen, dass sie uns die Gelegenheit geben, endlich dieses Kapitel zu schliessen, weil ich der festen Überzeugung bin, dass es schwierig wird, Frieden zu schliessen, wenn die Wunden Tausender Guatemalteken, die immer noch nicht verheilt sind, nicht geschlossen werden», sagte Rigoberta Menchú, eine der Nebenklägerinnen, zu Beginn des Prozesses vor vier Monaten.
Am 19. Januar sprach ein Zivilgericht in Guatemala-Stadt Pedro García Arredondo, den heute 70jährigen ehemaligen Polizeichef von Guatemala-Stadt schuldig, den Sturm auf die spanische Botschaft befohlen zu haben. Die Ereignisse, die verhandelt wurden, liegen 35 Jahre zurück und rufen noch einmal die Zeiten der gnadenlosen Militärdiktaturen der achtziger Jahre ins Gedächtnis, als die ursprünglichen Bewohner und Herren des Landes, die Mayas, von den Generälen für vogelfrei erklärt und wie Freiwild gejagt wurden.
Jahrelang schwelte der Konflikt in Quiché. Seit Menschengedenken bauten die Kekchi auf kommunalem Land in traditioneller Weise dort ihren Mais an. Doch dann waren Investoren aus Guatemala-Stadt gekommen, wiesen Besitztitel für das Land vor, vertrieben die Indianer, brannten ihre Hütten ab und bauten weitläufige Rinderfarmen auf. Vergebens hatten die Bauern aus Cotzal, aus Uspantán, Chajul und Nebaj bei den Behörden ihre Ansprüche auf das Land angemeldet. Sie waren sogar nach Guatemala-Stadt gefahren. Doch sie erhielten stets nur Versprechungen, manche bekamen wertlose provisorische Besitztitel und einige wenige sogar die Genehmigung, Mais anzubauen und zu ernten. Aber niemand erhielt ein Dokument, das die endgültige Rechtmässigkeit des Anspruchs bestätigt hätte.
Die Verfolgung der Mayas
Im Gegenteil, Menschen verschwanden spurlos und wurden später mit Foltermalen tot aufgefunden. Dörfer wurden bombardiert. Nach Angaben der Vereinten Nationen starben in den abgelegenen Gegenden Quichés, Alta Verapaz‘, Huehuetenagos oder Quetzaltenangos in den repressiven Jahren zwischen 1960 und 1996 rund 250’000 Menschen, in der überwiegenden Mehrzahl Mayas. Die Gegenden waren so abgelegen, dass niemand davon erfuhr. «Als die Sicherheitskräfte kamen, fürchteten wir uns sehr, weil wir kein Spanisch konnten und nicht verstanden, was sie wollten», erzählte die Quiché-Maya Rigoberta Menchú, die 1992 für ihren Kampf um die Rechte der Mayas den Friedensnobelpreis erhielt. «Sie zerstörten unsere wenigen Habseligkeiten. Also begannen wir, uns zu verteidigen. Aber niemand hörte uns zu, weder die Regierung noch die Medien.»
Sie wollten die Öffentlichkeit, die Welt auf ihr Leid aufmerksam machen. Mitte Januar 1980 zogen darum 130 Campesinos in die Hauptstadt und gaben Presseerklärungen bei den bedeutendsten Zeitungen ab, traten in Schulen auf, besetzten die Büros der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sowie zwei Radiostationen, um ihr Anliegen selbst den Hörern vorzutragen. Doch niemand beachtete sie, berichtete über ihre Probleme und die Verfolgungen. Stattdessen warnte die Regierung die Bevölkerung über Rundfunk und Fernsehen, die Störenfriede seien kommunistische Guerillas.
Am 31. Januar schliesslich besetzten 29 der Bauern, unter ihnen auch Rigobertas Vater Vicente, in Begleitung des ehemaligen Vizepräsidenten Eduardo Cáceres Lenhoff sowie des vormaligen Aussenministers Adolfo Molina Orantes die spanische Botschaft in Guatemala-Stadt. Sie hatten diese Botschaft ausgewählt, weil sie glaubten, dort Gehör zu finden. Schliesslich befanden sich unter den Opfern der Militärdiktatur auch einige spanische Priester. Sie erklärten dem Botschafter ihre friedlichen Absichten und baten um seine Hilfe, so dass ihre Forderung nach einer Untersuchung der Vorgänge in der Quiché-Provinz öffentlich gemacht werde.
Brandbomben gegen eine Botschaftsbesetzung
Die Regierung schickte sofort 400 Soldaten, die das Botschaftsgelände abriegelten. Elias Barahona, ein Journalist und Mitglied der Guerillaarmee der Armen (EGP), hatte schon früher die Regierung infiltriert und bekleidete zum Zeitpunkt der Ereignisse die Position des Pressesprechers des Innenministeriums. Nach seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst im September desselben Jahres berichtete er, was sich zugetragen hatte:
«Als sich die Angelegenheit hinzog, rief (Präsident Fernando Romeo) Lucas García Innenminister Donaldo Alvarez Ruíz und fragte ihn, was los sei, warum er die Sache nicht geregelt habe. Er sagte, die Lage sei schwierig, weil die Botschaft nach internationalem Recht unverletzlich ist. Lucas sagte ihm, er solle aufhören, Nonsens zu quatschen, er habe das Problem umgehend zu lösen. Er wandte ein, dass der ehemalige Vizepräsident Cáceres Lenhoff und der ehemalige Aussenminister Molina Orantes ebenfalls drinnen seien. Ich erinnere mich noch gut an Lucas‘ Antwort: Das ist egal. Lösen Sie das Problem. Daraufhin bat der Minister, den Befehl zu präziseren, und daraufhin sagte er ihm: Holen Sie sie raus. Zu diesem Zeitpunkt stürmte die Polizei bereits die Botschaft und schoss um sich. Aber die Compañeros im Botschaftsgebäude verbarrikadierten sich im Büro des Botschafters. Die neue Situation wurde diskutiert, und Lucas sagte: Verbrennt sie. Dann verschloss die Polizei die Tür des Büros mit einem Vorhängeschloss und warf Brandbomben. Es war furchtbar… Auf der Strasse konnten Tausende sehen, wie sich 39 Menschen (einschliesslich des Botschaftspersonals) wanden , auf dem Boden wälzten und verbrannten.»
Nur zwei der Botschaftsinsassen überlebten. Gregorio Yujá, einer der Bauern, wurde mit schweren Verbrennungen ins Krankenhaus gebracht und noch in der folgenden Nacht aus dem Bett entführt, zu Tode gefoltert und anschliessend auf den Campus der San Carlos Universität geworfen. Und Botschafter Máximo Cajal, der vergebens den Abzug der Soldaten und Polizisten gefordert hatte. Er warf der Regierung Lucas unverantwortliches Vorgehen und Brutalität vor und verliess das Land. Die spanische Regierung brach die diplomatischen Beziehungen zu Guatemala ab. Tausende folgten zwei Tage später der Beerdigungsprozession durch die Strassen der Hauptstadt. Die Welt hatte der Rücksichtslosigkeit der Regierung und Armee zusehen können. Sie liess sich nicht mehr hinter einem Kampf gegen angebliche kommunistische Subversion verstecken. Und die Campesinos, die sich nicht der Botschaftsbesetzung angeschlossen hatten, kehrten in ihre Dörfer zurück, wohl wissend, dass die Unterdrückung niemals enden würde.
Nur ein Beispiel von vielen
«Es dauerte dreieinhalb Dekaden, aber schliesslich hat die Gerechtigkeit Pedro García Arredondo doch noch eingeholt», zeigte sich Amnesty International zufrieden. Nach Angaben des Gerichts, hatte García die Anordnung gegeben, das gesamte Botschaftsgelände hermetisch abzuriegeln, um zu verhindern, dass jemand entkommen könnte. Eine Zeuge sagte aus, García habe seinen Männern befohlen: «Niemand kommt dort lebend raus.» Dafür verurteilte ihn Richterin María Eugenia Castellanos zu vierzig Jahren Gefängnis. Zu zusätzlichen fünfzig Jahren verurteilte ihn das Gericht für die Ermordung von zwei Studenten bei der Beerdigung der Opfer des Sturmes auf die Botschaft.
«Diese Morde sind nur ein Beispiel für die vielen, die die guatemaltekischen Behörden während des langen Bürgerkriegs begingen», mahnte Erika Guevara Rosas, Direktor von Amnesty International USA. «Wir hoffen, dass weitere Fälle schwerer Menschenrechtsverletzungen, die derzeit vor Gerichten in Guatemala verhandelt werden, einschliesslich jener gegen Ríos Montt, in akzeptabler Weise abgeschlossen werden, so dass den vielen Tausenden von Opfern Gerechtigkeit widerfährt.»