Mehr als eine Palastintrige wird hier deutlich, dass selbst die arabischen Monarchien nicht mehr über jene Stabilität verfügen, durch die sie den Arabischen Frühling überstehen konnten.
Monarchien als Fels in der Brandung
Die acht arabischen Monarchien haben bislang den Arabischen Frühling und dessen Folgen scheinbar unbeschadet überstanden. Nur im kleinen Königreich Bahrain bedrohten im Frühjahr 2011 soziale und politische Unruhen die bestehende Ordnung. Die Monarchien galten als Fels in der Brandung. Mithilfe eines geschickten Interessensausgleichs erreichten sie die gesellschaftliche Integration ihrer Untertanen, und selbst Jordanien und Marokko, die dies nicht durch hohe Renten an die Eliten gewährleisten können, verfügten bislang über hinreichend symbolisches Kapital, das deren Machtstellung sicherte.
Die Monarchien waren früh für den sozialen, politischen und kulturellen Wandel im Nahen Osten sensibilisiert und entwickelten im Unterschied zu den sehr konservativ wirkenden Republiken erfolgreiche Strategien, diesen Wandel selbst zu steuern. Vor allem die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien profilierten sich als die wahren Modernisierer im Nahen Osten und verhalfen damit den Monarchien zu neuer Anerkennung.
Eine gescheiterte Palastrevolte
Doch die schon seit einigen Monaten in Jordanien vorherrschende Proteststimmung zeigt, dass zehn Jahre nach dem Arabischen Frühling auch diese Monarchien nicht mehr unantastbar sind. Die Festsetzung des ehemaligen Kronprinzen Hamza Ibn Hussein, des ehemaligen Finanzministers Bāsim Awwād Allāh und des Beraters und entfernten Cousins des Königs, Hassan Bin Zaid, sowie etwa 20 anderer prominenter Persönlichkeiten deuten darauf hin, in welche Schieflage die jordanische Monarchie geraten ist. Dabei handelt es sich nicht allein um eine Palastintrige oder Palastrevolte, vielmehr drückt sich hier ein massiver Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber dem Königshaus aus.
Am 3. April 2021 suchten hochrangige Vertreter des Militärs und des Geheimdienstes Hamza Ibn Husayn in seinem Palast Bāb as-Salām („das Tor des Friedens“) auf. Der kleine Palast, 14 km nordwestlich des Stadtzentrums von Amman gelegen, war das letzte Zuhause von Hamzas Vater, König Hussein, gewesen. Dessen letzte Frau und Mutter von Hamza, Königin Noor, lebt noch heute mit ihrer Familie dort.
Die Militärs und Geheimdienstler unterrichteten den Prinzen, dass er unter Hausarrest gestellt und ihm jedweder Kontakt nach draussen verboten sei. Zudem solle er sich jeder politischen Äusserung enthalten, keinerlei Kritik mehr an der Herrschaft des Königs sowie der Regierung äussern und den Fortgang der gegen ihn gerichteten Ermittlungen abwarten. Diese würden über sein weiteres Schicksal entscheiden.
Zeitgleich wurden Prinz Hassan Ibn Zaid und Awwād Allāh sowie weitere namentlich nicht genannte Persönlichkeiten festgenommen. Tags darauf wurde als Grund für die Verhaftungen von der Regierung mitgeteilt, es bestünde der Verdacht auf Verschwörung gegen den Staat und Vorbereitung eines Umsturzes. Neben innenpolitischen Kräften seien auch „ausländische Mächte“ in die angeblichen Machenschaften verstrickt: Der Prinz habe in einem Komplott zur Destabilisierung Jordaniens mit Personen in Verbindung gestanden, die Kontakte zu (ungenannten) ausländischen Parteien hätten.
Prinz Hamza seinerseits wies am Sonntag diese Anschuldigungen zurück. Er kritisierte erneut die Korruption und das Regierungsversagen der vergangenen 15 bis 20 Jahre, was in etwa dem Zeitraum der Herrschaft von König Abdallah entspricht, der 1999 inthronisiert worden war. Allerdings verneinte der Prinz, an irgendwelchen Aktivitäten der Opposition beteiligt gewesen zu sein. Nachdem die Justizbehörden noch am Ostersonntag verlautbart hatten, Prinz Hamza wegen Planung eines Umsturzes anklagen zu wollen, erklärte der Prinz tags darauf, dass er sich nicht an das ihm auferlegte Kontaktverbot halten würde. Königin Noor, die Witwe des verstorbenen Königs Hussein, bezeichnete am Ostersonntag die Anschuldigungen der Behörden gegen ihren Sohn als „üble Verleumdung“.
Der Prinz als Kritiker
Hamza Bin Hussein war 2004 von seinem 18 Jahre älteren Halbbruder, dem König Abdallah II., aus der Position eines Kronprinzen verdrängt worden zugunsten von Abdallahs Sohn Hussein, der 2009 auch offiziell Kronprinz wurde, und übte seitdem fast nur noch repräsentative Funktionen aus. Dabei machte er keinen Hehl aus seiner kritischen Haltung zur verbreiteten Korruptionsmentalität im Land, die von einer unfähigen Regierung gedeckt und sogar gefördert würde. Den König griff der Prinz nie direkt an, daher galt er auch nicht als eine Bedrohung.
Jedoch unterschätzte der Hof wohl die Aussenwirkung des Prinzen und seine Popularität, die er als Sohn der beliebten Königin Noor geniesst. Noor ihrerseits hielt Distanz zu ihrem Stiefsohn Abdallah und engagierte sich besonders in Menschenrechtsfragen.
Die wachsende Opposition der Stämme
In den vergangenen Wochen und Monaten hatte sich Prinz Hamza stärker mit jenen Stammesführern vernetzt, die mit einer informellen Opposition, die sich hirāk („Bewegung“) nennt, verbunden sind. Schon allein diese Tatsache beunruhigt den Hof in Amman, galten die Stammesführer doch bislang als die wichtigste Säule der haschemitischen Herrschaft im Land. Denn die Stämme sind nicht nur im Militär- und Sicherheitsapparat vorherrschend, sondern dominieren auch in zivilen Bereichen die Staatsverwaltung.
Allerdings wies die Loyalität der Stämme gegenüber dem Herrscherhaus bereits Brüche auf. 2011, auf dem Höhepunkt des Arabischen Frühlings, hatten 36 jordanische Stammesführer öffentlich Königin Rania wegen ihrer palästinensischen Herkunft und ihres politischen Engagements im haschemitischen Königreich angegriffen. Dies war auch eine Reaktion auf den Versuch des Königs, durch eine „Erste Kampagne“ genannte Staatsreform (2002) die Macht der Stämme zu brechen und einen auf das Königshaus zentrierten Nationalismus zu stiften.
Die Stämme als Verlierer des gesellschaftlichen Wandels
Seit jenen Jahren hat sich die Beziehung zwischen den Stammesbünden und dem Hof deutlich abgekühlt. Dies erlaubte es Prinz Hamza, sich einem wachsenden Risiko auszusetzen, indem er in den letzten Wochen vermehrt jene Stammesversammlungen besuchte, bei denen der König und seine Regierung offener kritisiert wurden. Dabei zeigte sich die Bruchlinie, die sich zwischen dem Königshaus und den Stämmen, den alteingesessenen ostjordanischen Familien, aufgetan hat. Unter König Abdallah hatten sich die Staatseliten mehr und mehr aus der tribalen Verflechtung gelöst und von der ökonomischen Globalisierung profitiert. Verlierer sind die ostjordanischen Stämme, die ihren sozialen Status als Angehörige der Mittelklasse bereits eingebüsst haben oder zumindest dabei sind, ihn zu verlieren. Zugleich sehen sich die Stämme einer wachsenden Anzahl syrischer und irakischer Flüchtlinge ausgesetzt, die der Staat auf „ihren Territorien“ ansiedelt.
Die Folge ist eine dramatische Verarmung unter den Angehörigen der Stammesgesellschaft. Dies befördert allerdings zugleich die Loyalität unter den Stämmen. Drei Profile der Staatskritik dominieren zurzeit: Erstens eine loyalistische Kritik, die das Königshaus darauf verpflichten will, eine Expertenregierung für das Volk einzusetzen; zweitens eine institutionelle Kritik, die darauf abzielt, die Staatsordnung in eine konstitutionelle Monarchie zu verwandeln, und drittens eine republikanische Kritik, die dazu aufruft, eine Republik der Stämme zu gründen. Nur Letztgenannte will die Abschaffung der Monarchie. Begründet wird diese Forderung damit, dass das Land den Stämmen gehöre und nicht dem König und das Militär den Stämmen das Land geraubt habe. Auffällig ist dabei, in welchem Masse der Protest der Stämme durch zahlreiche öffentlich bekannte Frauen mitgetragen wird.
Wie der Wohlfahrtsstaat zerbröckelt
In der aktuellen Coronakrise zeigt sich, wie der jordanische Wohlfahrtsstaat zerbröckelt. König Abdallah versucht dies durch eine weitergehende Modernisierungspropaganda einzuhegen, die die Integration der Palästinenser, Ostjordanier und Flüchtlinge gewährleisten soll. Doch der Skandal an einem Krankenhaus in der Stadt Salt, wo sieben Coronapatienten starben, weil sie nicht mit Sauerstoff versorgt werden konnten, und der Zerfall der sozialen Wohlfahrt, durch den heute über 50% der Bevölkerung in Armut leben, befeuern eine Proteststimmung. Bislang sind grössere Strassenproteste allerdings ausgeblieben.
Aber die „Sauerstoffkrise“, die zum Rücktritt des Gesundheitsministers führte, trug massgeblich zu einem Stimmungsumschwung bei. Prinz Hamza, von manchen Medien als Populist verschrien, ging zu den Angehörigen der Getöteten, sein Beileid zu bekunden, und schien damit den König, der zuvor im Krankenhaus von Salt versucht hatte, die Wut zu entschärfen, zu übertrumpfen.
Die Aussenwirkung der Krise
Die interne Krise am Königshof erweist sich somit bloss als Teil einer tiefgreifenden Staats- und Gesellschafskrise. Kein Wunder, dass sich die Monarchen der Golfstaaten und allen voran die saudische Monarchie sofort meldeten, sich uneingeschränkt hinter König Abdallah stellten und erklärten, die Sicherheit Jordaniens berühre auch die Sicherheit ihrer Länder. Der saudische Kronprinz Muhammad Bin Salman opferte dafür sogar seinen engen Freund und Berater, eben jenen Prinz Hasan Bin Zaid, der bereits von den jordanischen Sicherheitsbehörden verhaftet worden war.
„Der Plan von Prinz Hamzeh und seiner inneren Clique, die Sicherheit Jordaniens zu untergraben, wurde vereitelt“, erklärte der stellvertretende jordanische Ministerpräsident Ayman Safadi am Ostersonntag. Aber die tiefgreifende Krise der jordanischen Monarchie, die die Palastrevolte sichtbar gemacht hat, wird damit nicht behoben sein. Deutlich wird nun, dass die Monarchien gegen die Dynamik, die der rapide soziale und politische Wandel im Nahen Osten ausgelöst hat, doch nicht gefeit sind.
Der saudi-arabische Kronprinz Muhammad Bin Salman wird die Entwicklung in Jordanien sicherlich genau verfolgen. Zeigt ihm doch Prinz Hamzas vermeintliche Palastintrige, wie schnell die Architektur monarchischer Herrschaft ins Rutschen geraten kann. Im März 2020 meldeten das „Wall Street Journal“ und die „New York Times“ die Verhaftung einer Gruppe prominenter saudischer Prinzen durch die Sicherheitsbehörden. Ihnen wurde vorgeworfen, eine Palastrevolte geplant zu haben. Unter ihnen seien auch der Bruder des saudischen Königs Salman, Prinz Ahmad Bin Abdal’aziz sowie Prinz Muhammad Bin Nayif gewesen, der im Juni 2017 von König Salman als Kronprinz abgesetzt worden war und seither unter Hausarrest stand. Muhammad Bin Salman weiss also, worum es geht.