Es ist ein willkommener Familienzwist. Inmitten von Krisen, die kaum begriffen und noch weniger gelöst werden können, kommt der deutschstämmige Papst zu Besuch und lädt zum guten alten Streit zur guten alten Frage ein: Wie hältst Du es mit der Religion? Da mag sich jeder ereifern. Inzwischen bietet die Religion ein solideres Fundament für Streit als etwa die Geldwertstabilität. Denn im Streit um die Geldwertstabilität braucht man neben dem Glauben auch noch die Mathematik. Alter Streit über Religion hat dagegen etwas Beruhigendes - wie alles Alte.
Die Kirche als Anker und zugleich als Metapher für Prätention und Leerlauf: Der Papst in seiner gebrechlichen, verweiblichten Form der Jesusdarstellung, seine Komparsen wie aus einer Low-Budget-Produktion eines miserablen Antikirchenfilms entlaufen, erwecken immer noch ein Interesse der Medien, die das breite Publikum schon längst verloren hat. Aber für kurze Momente öffnet es die schläfrigen Augen, wenn wieder einmal der Papst auf den Bildschirmen vorüberhuscht.
Gott und der Euro
Bei einem Schiffsuntergang gibt es keine Atheisten, und in schlechten Zeiten ist es nicht ganz verkehrt, an die Ahnen zu erinnern. Irgendwie haben die ja auch überlebt, und wer weiss schon so genau, was ihnen geholfen hat? Entsprechend raunt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass unsere Gesellschaft ohne die christliche Religion mehr oder weniger dem Untergang geweiht sei. Das sagt sie so ähnlich auch vom Euro und von Griechenland.
Ein paar Unentwegte fahren mächtig auf, um gegen den Auftritt des Papstes – in diesem Fall dem Vertreter des Vatikanstaats – vor dem Deutschen Bundestag anzugehen. Etwa 100 Abgeordnete bleiben aus Protest fern. Das hat auch etwas Lächerliches, denn das Problem des Bundestages besteht derzeit nicht in der Gastrede des Papstes in seiner Rolle als Vertreter des Vatikanstaates, sondern in der Entmachtung bei der zentralen Frage, was die Regierung mit den Steuergeldern anstellt. Der einfache Abgeordnete, so wird jetzt von den „Entscheidern“ mitgeteilt, sei nicht in der Lage, die Komplexität der finanzpolitischen Fragen zu durchschauen. Wäre der Papst auf der Höhe der Zeit, würde er entsprechend seine Rede vor dem Bundestag auf Latein halten.
Abschreckendes Personal
Es tut ja so gut, zurück zu buchstabieren, wenn die Zeiten undurchschaubar sind und die Zukunft nichts Gutes mehr verheisst. Warum es nicht mal mit der katholischen Kirche probieren? Es kann ja auch geradezu schick sein, sie als Mittel gegen die Verflachung unserer unsäglichen Gegenwart auszuspielen. Das ist der Trip des SPIEGEL-Autors Matthias Matussek. Wie kein Zweiter verkauft er den Papst und sein drittrangiges Personal als den letzten Schrei. Seinen Überdruss an unserer gewiss nicht besonders attraktiven Mainstream-Kultur mit ihrer Political Correctness und dem Feminismus lenkt er in den Katholizismus. Damit lässt sich Aufmerksamkeit erzeugen. Und man würde ihm so gerne zustimmen, wenn er nicht so augenfällig Unrecht hätte.
Man muss sich einmal klarmachen: In Zeiten der brutalsten Wirtschaftskrise bietet die katholische Kirche interessante und sichere Arbeitsplätze für junge halbwegs intelligente Männer. Niemand, der nicht ganz beschränkt ist, wird sich am Zölibat aufreiben. In jeder Diktatur gibt es Nebenwege. Aber nirgends, auch in Spanien mit der exorbitant hohen Jugendarbeitslosigkeit nicht, gibt es auch nur eine Handvoll junger Leute, die ihren Lebensweg in der katholischen Kirche sehen. Wie abschreckend muss das Personal wirken!
Unentwegte pochen auf Reformen. In der Abwehr dieses Ansinnens hat der Papst genauso Recht wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Aufspannen ihrer Rettungsschirme. Merkel wird den Papst nun als Tochter eines evangelischen Pfarrers, aufgewachsen unter der Repression der ehemaligen DDR, willkommen heissen. Sie sagt, wer am Euro rüttelt, also den Ausschluss einzelner Länder auch nur ins Kalkül zieht, gefährde die Einheit Europas. Der Papst sagt, wer sich eine liberalere katholische Kirche nach dem Muster des Protestantismus wünsche, untergrabe ihre Fundamente. Beide haben Recht, aber das Problem besteht darin, dass das, was sie schützen wollen, nicht in der Weise zu schützen ist, wie sie sich das vorstellen.
Frauenkleider und viel zu grosse Räume
In diesem Dilemma ist der Papst sogar im Vorteil. Denn er hat die Geschichte auf seiner Seite. Was sind ein paar Jahre Demokratie gegen 2000 Jahre kirchlicher Dominanz und Repression? Jeder Kenner weiss, dass die heutigen TheologInnen der Gewalttätigkeit und Intoleranz der christlichen Religion mit ihrem unberechenbaren und launischen Gott in keiner Weise nahe kommen. Man muss ihnen das nicht vorwerfen, denn auch TheologInnen sind nicht gezwungen, sich für Theologie zu interessieren. Das Problem besteht nur darin, dass sie nicht mehr zu sagen haben als das, was jedem beim Smalltalk sowieso einfällt.
Vor diesem Hintergrund wirkt der Papst mit seinen „Frauenkleidern“ und seinem Personal „in den viel zu grossen Räumen“ – so der Philosoph Peter Sloterdijk – noch irgendwie eckig und kantig, weil sein Beharrungsvermögen und das seiner Institution locker jede Währungskrise übersteht. - Aber das ist etwas zu salopp formuliert. Schliesslich gibt es die Sehnsucht nach dem „ganz Anderen“, wie einmal die neomarxistischen Denker Theodor W. Adorno und Max Horkheimer geschrieben haben. Davon leben die katholische Kirche und der Papst. Eine andere vergleichbare Sehnsucht gibt es nicht. Die Politik, wie sie uns heute dargeboten wird, ist stets „ohne Alternative“. Dagegen wirkt der Papst richtig alternativ. Dafür aber hat es schon schlimm kommen müssen.