Man kann dies mit Sicherheit voraussagen, weil es nur einen Gegenkandidaten gegen den gegenwärtigen Präsidenten gibt, der für ein zweites Mandat von vier Jahren wiedergewählt werden will. Dieser Gegenkandidat heisst Moussa Mustafa Moussa. Er ist Abgeordneter im ägyptischen Parlament und Vorsitzender einer kleinen Partei, die sich die „Morgenpartei“ nennt. Er selbst und seine Partei haben vor 10. Januar öffentlich erklärt, sie befürworteten ein zweites Mandat für Präsident Sissi.
Kaltgestellte potentielle Rivalen
Dennoch liess sich Mousa Mustafa Moussa am 29. Januar wenige Stunden, bevor die Frist, um Kandidaturen zu registrieren, zu Ende ging, als Gegenkandidat gegen Sissi aufstellen. Dies geschah offensichtlich auf Wunsch der Anhänger und Gefolgsleute Sissis und wahrscheinlich auf einen Wink hin, der von Sissi selbst kam. Das Manöver dient dazu, die Peinlichkeit einer „Wahl“ mit nur einem Kandidaten zu vermeiden. An der Versammlung der „Morgenpartei“, die nach der Ankündigung des Gegenkandidaten Sissis durchgeführt wurde, sollen 24 Personen teilgenommen haben.
Bevor dieser Pro-forma-Gegenkandidat lanciert wurde, sorgten die Geheimdienste und die dem Regime hörigen Richter dafür, dass alle wirklichen Konkurrenten Sissis, die eine grössere oder kleinere Chance gehabt hätten, gegen ihn zu gewinnen, oder mindestens einen Prozentsatz der Stimmen für sich zu mobilisieren, ausgeschaltet wurden. Einige haben unter Druck „freiwillig“ aufgegeben, andere sitzen in den Gefängnissen. Die wichtigsten dieser Ausgeschalteten sind:
Ahmed Shafiq, der Gegenspieler Mursis in der einzigen freien Präsidentenwahl, die es in der 6000- jährigen Geschichte Ägyptens je gab. Dies war im Juni 2012. In der Stichwahl erhielt Mursi 51,7 Prozent der Stimmen, Shafiq 48,3 Prozent. Zuvor, unter Mubarak, war Shafiq Kommandant der ägyptischen Luftwaffe und später Minister für Luftfahrt gewesen. Kurz vor seinem Sturz, im Januar 2011, hatte Mubarak ihn zu seinem letzten Ministerpräsidenten ernannt.
Rückritt unter dem Druck der Geheimpolizei
Nach der Machtergreifung von Sissi im Sommer 2013 hatte Shafiq in den arabischen Emiraten gelebt. Wegen seiner Kandidatur war er im November nach Kairo zurückgekehrt. Er wurde jedoch auf dem Flughafen von Kairo von ägyptischen Sicherheitskräften in Empfang genommen und verschwand für 24 Stunden, ohne dass seine Angehörigen wussten, was mit ihm geschehen sei.
Nach dieser Zeit tauchte er in einem Hotel in Kairo auf, das er offenbar nicht verlassen durfte, bis er Tage später eine Erklärung des Inhalts abgab, er verzichte auf seine Kandidatur. Er habe in den Emiraten die Lage in Ägypten nicht richtig einschätzen können. Erst nach seiner Heimkehr sei sie ihm deutlich geworden.
Gerüchte, die umgingen, wollten wissen, er sei von den Geheimdiensten mit Skandalenthüllungen bezüglich seines Sexuallebens und dem seiner Tochter bedroht worden, um ihn zu dem Rückzug zu bewegen.
Der frühere Generalstabschef im Militärgefängnis
Noch gewichtiger als eine Kandidatur Shafiqs wäre diejenige gewesen, um die sich General Sami Anan bewarb. Sami Anan war Generalstabschef in den letzten Jahren Mubaraks, und er wirkte als das zweithöchste Mitglied des Obersten Rates der Bewaffneten Kräfte (SCAF), den die Armeeführer nach dem Abgang Mubaraks bildeten, um Ägypten als Übergangsregime zu regieren, bis demokratische Wahlen organisiert werden konnten.
Sami Anan war nach der Machtübernahme Sissis im Jahr 2013 aus der Armee ausgeschieden. Anan teilte über die sozialen Netzwerke mit, dass er zu kandidieren gedenke, und er deutete auch an, dass er die unter Sissi bestehende Vermischung der militärischen Belange mit jenen der zivilen Regierung missbillige. Er würde als Staatschef, so erklärte er, dafür sorgen, dass die Militärs sich mit militärischen Fragen und die zivile Regierung mit den politischen und wirtschaftlichen abgebe.
„Ein Keil zwischen Volk und Armee“
Er wurde daraufhin am 23. Januar verhaftet. Bewaffnete zerrten ihn auf offener Strasse aus seinem Auto. Seither befindet er sich in einem Militärgefängnis. Die Rechtfertigung für diese Massnahme bestand in der Behauptung, er habe einen „Keil zwischen Volk und Armee treiben wollen“. Ihm wurde auch vorgeworfen, er habe Dokumente gefälscht, die seinen Rücktritt aus der Armee belegen sollten. Aktive Offiziere können sich in Ägypten nur mit Zustimmung der Armee um politische Posten bewerben.
Ein unliebsamer Generalauditor
Als Leiter seiner Kampagne hatte General Sami Anan Hisham Geneine ernannt. Dieser hatte als Generalauditor des ägyptischen Finanzwesens gewirkt. Als solcher hatte er öffentlich erklärt, der Staat habe durch Korruption zwischen 2012 und 2015 etwa 65 Milliarden Dollar verloren. Sissi hatte daraufhin eine Kommission ernannt, die seine Behauptungen überprüfen sollte. Als diese erklärte, die Aussagen des Generalinspektors seien „übertrieben“ gewesen, liess Sissi ihn wegen Verbreitung falscher Nachrichten vor Gericht stellen. Die Richter liessen ihn auf freiem Fuss, doch sein Prozess war noch nicht beendet. Nach der Festnahme Anans wurde er auf der Strasse zusammengeschlagen und später verhaftet. Der Richter liess ihn gegen Kaution frei. Auch andere führende Mitglieder der Partei, die Anan unterstüzte, wurden festgenommen.
Abdelfattah, ein ehemaliger Muslimbruder
Der Arzt und Politiker Abdel Moneim kam ebenfalls in Haft, als er seine Kandidatur bekannt gab. Er ist Oberhaupt einer Partei, die er „Grosse Ägypten Partei“ nannte. Der für seine Wohltätigkeit in den Armenvierteln Kairos bekannte Arzt war Mitglied der Muslimbrüder gewesen, hatte sich aber im Vorfeld der Wahlen von 2012 von ihnen getrennt und seine eigene Partei gegründet. Auf sie gestützt hatte er in der ersten Runde der damaligen Präsidentschaftswahlen (aus denen später in der Stichwahl Mursi hervorging) 18 Prozent der Stimmen erhalten. Ihm wird nun vorgeworfen, Kontakt mit den Muslimbrüdern unterhalten zu haben. Diese hatte Sissi zu „Terroristen“ erklärt und verboten. Der Vorsitzende seiner „Grossen Ägypten-Partei“ und einige ihrer führenden Mitglieder wurden ebenfalls eingekerkert.
Verzicht angesichts der Gefahren und Schwierigkeiten
Weitere Politiker, die ursprünglich ihre Absicht zu kandidieren angekündigt hatten, verzichteten nun aufgrund dieser Umstände. Zu ihnen gehört Anwar Sadat, Abgeordneter und Neffe des 1981 ermordeten gleichnamigen Präsidenten. Hamdeen Sabahi, der „nasseristische“ Politiker, der 2012 die meisten Stimmen in der Grossstadt Kairo erlangte und 2014 als der einzige Gegenspieler gegen Sissi auftrat, wobei er 3,9 Prozent der Stimmen erhielt, hat erklärt, seine Partei werde die Wahlen boykottieren. Der Advokat und Menschenrechtsaktivist Khaled Ali verzichtete ebenfalls auf eine Kandidatur, die er ursprünglich angekündigt hatte.
Ein Rückschritt ist unerwünscht
Präsident Sissi war 2014 mit 96 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 47,5 Prozent gewählt worden. Damals gab es viele Ägypter, die in ihm den kommenden Retter ihres Landes sahen. In der Zwischenzeit ist seine Popularität ohne Zweifel stark gesunken. Unter ihm sah sich Ägypten gezwungen, die Subventionen für Brennstoff und für Grundnahrungsmittel zu reduzieren und das ägyptische Pfund zu entwerten. Für Millionen von Ägyptern bedeutete dies, dass von ihrem ohnehin prekären Lebensstandard in die Armut rutschten. Damit verbunden ist eine Repression durch Polizei und Geheimpolizei, der nicht nur die Muslimbrüder, sondern so gut wie alle oppositionellen oder regimekritischen Kräfte und Stimmen zum Opfer fielen. Es gibt Hunderttausende von politischen Gefangenen in Ägypten, und die Furcht vor den weit verbreiteten Folterungen durch Polizei und Geheimpolizei ist die wichtigste Stütze für den Machtapparat geworden.
Eine Kette von Misserfolgen
Im Sinai gibt es einen Aufstand, dessen die ägyptische Armee bisher nicht hat Herr werden können, obgleich sie heimlich die Hilfe der israelischen Luftwaffe erhält. Angesichts der katastrophalen Lage in Bezug auf die Menschenrechte haben die Amerikaner ihre Hilfsgelder reduziert, die sie seit 1979, dem Jahr des Friedensschlusses mit Israel, jährlich Ägypten und der ägyptischen Armee zukommen liessen.
Sissi konnte viele Gelder und Anleihen von Saudi Arabien und den Golfstaaten erhalten. Doch diese dienten nur dazu, Ägypten knapp über Wasser zu halten. Grosse Projekte wie der Bau eines „zweiten Suezkanals“, dessen Durchführung der Armee übertragen wurde, haben nicht die erhofften Gewinne gebracht.
Die heiklen Gespräche mit Äthiopien über den Bau des grossen Nildamms am Weissen Nil, von dem die Ägypter fürchten, dass er die Menge des ihnen zur Verfügung stehenden Nilwassers reduzieren wird, sind nicht voran gekommen. Der Sudan konnte sich mit Äthiopien verständigen, und Ägypten fand sich dadurch isoliert und in einer Position der Schwäche gegenüber den beiden weiter oben gelegenen Nilanrainern.
Libyenpolitik
Präsident Sissi sah sich veranlasst, zwei unbewohnte Inseln in der Meerenge von Tiran, die zu Ägypten gehörten, an Saudi Arabien abzutreten. Sie sind dem weiten Gelände vorgelagert, auf dem der saudische Kronprinz das Grossprojekt einer Industriestadt und Freihandelszone errichten will. Viele Ägypter wehrten sich leidenschaftlich gegen die Abtretung „ägyptischen Territoriums“.
Das Obergericht entschied, sie verstosse gegen die ägyptische Verfassung, was lautstark gefeiert wurde. Doch Sissi übte auf die Richter einen derartigen Druck aus, dass sie schliesslich die Abtretung der beiden Inseln doch als zulässig erklärten. Die Libyenpolitik Sissis beruht auf dem Versuch, mit dem starken Mann von Tobruk, General Khalifa Haftar, zusammenzuarbeiten. Doch Haftar beherrscht nur die östliche Hälfte Libyens, und seine „Nationale Armee„ kommt sogar dort nur sehr langsam voran, wie die jahrelangen Kämpfe um Bengasi und Derna zeigen. In Tripolis ist Haftar verhasst.
Die Angst vor abnehmender Zustimmung
All dies zusammengenommen dürfte bewirken, dass Präsident Sissi für die kommenden Wahlen nicht damit rechnen kann, wieder mit 96 Prozent der Stimmen und einer Wahlbeteiligung von über 47 Prozent gewählt zu werden. Vielmehr könnten einer oder mehrere der Oppositionskandidaten ihm grössere Teile des Wahlvolks abspenstig machen. Für ihn wäre jedoch eine Wiederwahl mit einer geringeren Mehrheit oder die Notwendigkeit einer Stichwahl unerträglich, weil sie die angeblichen grossen Erfolge nicht bestätigen würde, die er für sich als der Retter Ägyptens in Anspruch nimmt. Dies dürfte der Hauptgrund dafür sein, dass er nun „Wahlen“ abhält, deren Ergebnis er völlig selbst steuern kann und zu steuern gedenkt. Mit Sicherheit wird er die Wahlen gewinnen. Selbst wenn die Wahlbeteiligung niedrig ausfallen sollte, wird ihn nichts daran hindern, höhere als die tatsächlichen Zahlen der Wahlbeteiligung bekannt zu geben.