Der politische Klimawandel beeinflusst Regierungen und Parlamente weltweit, ja sogar helvetische Gemeindeversammlungen. Gemeint ist die Art und Weise, wie mit Andersdenkenden auf der politischen Bühne umgegangen wird. Seit Präsident Trump die internationale Vorreiterrolle übernommen hat, Diffamierungen und Unterstellungen als Fake-News sozusagen salonfähig wurden, sind den persönlichen Angriffen auf demokratisch gewählte Politiker keine Grenzen mehr heilig.
Sachlichkeit und Faktenkenntnisse werden erfolgreich durch Polemik und Unterstellungen ersetzt. Gefördert wird dieser Trend durch die digitalen Kommunikationsforen, wo es oft primär um eine gesteuerte Diskussion und selten um Lösungsfindung geht. Eine unappetitliche Entwicklung, gelinde gesagt.
Wegbereiter absackender Gesprächskultur
Folgt man einer breit akzeptierten These, sind es weltweit die Globalisierungs-Verlierer und „abgehängten“ Bevölkerungsteile, die aufbegehren. Dies als Folge steigender Ungleichheit und schwieriger ökonomischer Bedingungen. Diese Menschen leiden an modernen „Mangelerscheinungen“: Statusverlust, verlorenes Verständnis für die technologische Entwicklung (Internet- und Social Media-Welt), Unverständnis für Ökologie, Menschenrechte und Migrationsbewegungen, ganz allgemein Angst vor Kontrollverlust über ihre persönliche Welt. Nicht selten negieren sie Klimawandel und Erderwärmung. Sie sind empfänglich für den grossen, radikalen Wandel in der Politik, da sie diese für ihr missliches Empfinden verantwortlich machen.
Die oben aufgeführte Begründungen, eben „Mangelerscheinungen“, gelten für viele westliche Demokratien, vor allem aber auch für die USA. In der Schweiz müssen allerdings (auch) andere Faktoren in Betracht gezogen werden. Weshalb in unserer relativ ausgeglichenen und vergleichsweise wohlhabenden Gesellschaft die populistisch aufgestellte SVP und ihr Mentor über eine starke Gefolgschaft verfügen, muss mit einer politisch-kulturellen Spaltung zu tun haben. Mit anderen Worten: hierzulande spielen Bildung, Beruf und Wohnlage (Stadt/Land) eine prägende Rolle. Es ist offensichtlich, dass dabei trennende soziale Netzwerke mit völlig verschiedenen Realitäten und Weltbildern entstehen. Die daraus resultierenden politischen Ansichten sind weitgehend inkompatibel und für andere Parteipolitiker oft völlig unverständlich, nicht nachvollziehbar. Enttäuschung, Frust beidseits sind die Folge, Reaktionen die nicht selten in offene Konfliktsituationen und zu eigentlichen Feindschaften führen.
Gräbt man in der Schweiz noch etwas tiefer, stösst man auf kommunaler Ebene auf die Dorfpolitik, auch Kirchturmpolitik genannt. Hier ist es die urschweizerische Gemeindeversammlung, die politische und gesellschaftliche Regeln erarbeitet. Und auch hier ist vielerorts eine veritable Zerfledderung der Diskussions-Kultur festzustellen. Immer öfter organisieren sich kleine, auch kleinste Minderheiten – ausgestattet mit üppigen finanziellen Mitteln – via Social Media (auch genannt „Hassbeschleuniger“) und eigentlichen Werbeauftritten zu schlagkräftigen „Sondereinheiten“, die ihre Partikularinteressen über das Gemeindewohl stellen. Persönliche, auch perfide Angriffe auf die Behörden und Andersdenkende werden als Kampfmittel eingesetzt – der Andersdenkende wird geradezu zum verhassten Feind.
Demokratisch gewählte Demagogen
Was war zuerst? Mit den „abgehängten“ Bevölkerungsteilen sind also vor allem jene Kreise gemeint, die von den globalen Trends überrannt werden, die materiell oder ideell ihr eigenständiges Handeln gefährdet sehen. Auf diesem instabilen Fundament wachsen und gedeihen jene cleveren Typen, die genau deshalb ihre persönliche Berufung gekommen sehen: die Demagogen.
Demagogen treten seit 2500 Jahren als Volksführer auf und ebenso lang werden sie von ihren Kritikern als Volksverführer beklagt. Sie nehmen die Unzufriedenheit und Verunsicherung des Volkes wahr und schüren beides durch ideologische, wortgewaltige Hetze. Damals wie heute sind sie hochbegabte Redner, daran ist nicht zu zweifeln. Dass die ursprüngliche Wertschätzung von Demagogen als Führer inzwischen in breite Kritik umgeschlagen hat, ist auf die undiskutable Ideologisierung der Massen durch ihre Auftritte zurückzuführen.
Und natürlich haben weite Kreise die verdeckte Zielsetzung dieser Demagogen durchschaut: Indem sie Emotionen und Vorurteile (neuerdings auch Fake-News) schüren, gelingt es ihnen selbst, persönliche Macht zu gewinnen. Nicht wenige von ihnen landen damit als Präsidenten von Demokratien an die Spitze der Regierungen. Ihre politische Propagandamaschinerie wird in diesem Moment zu einem eigentlichen Mittel der Volksverführung.
Vom Demagogen zum Populisten
Heute ist die Bezeichnung „Populist“ in aller Munde, Demagoge ist weitgehend aus der Nachrichtenwelt der Medien verschwunden. Haben Demagogen zu jeder Zeit danach getrachtet, ihre Meinung als die einzig richtige darzustellen und dies mit skandalösen Ausfällen und Provokationen, eindeutigen Unterstellungen und haarsträubenden Diffamierungen politisch Andersdenkender zu unterstreichen, so machen sich die heutigen Populisten all diese „Qualitäten“ ebenfalls zunutze. Doch in Zeiten der Globalisierung toppen sie dies mit perfiden Angriffen auf die sogenannten Eliten („die da oben“) und Institutionen (zum Beispiel Universitäten). Sie klopfen sich auf die Brust, beanspruchen für sich, als einzige die Stimme des Volkes zu vertreten und sorgen damit für Polarisierung, ja Spaltung der Bevölkerung.
Dieses Zusammengehen von Populisten und unzufriedener Bevölkerung hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass laufend neue Nationen freiwillig dieser Kategorie von Volksverführung und Ignorierung demokratischer Regeln beigetreten sind: Brasilien, die USA, Venezuela, die Türkei, Ungarn, Polen. Neuerdings liebäugeln auch Italien, Österreich und Spanien mit dieser Tendenz. Die grossen Herausforderungen und Probleme dieser Länder werden damit nicht gelöst, sondern auf nächste Generationen verschoben. Und nebenbei: dadurch werden Demokratien und friedvolles Zusammenleben der Völker weltweit gefährdet.
Gefährdete Demokratien
Mitschuldig an dieser Entwicklung sind – zumindest in einigen Fällen – die etablierten, alten politischen Parteien, die oft zu selbstgefällig, verkrustet, wenig innovativ und zukunftsgerichtet, dafür selbst gelegentlich ideologisch geworden sind. Einst Träger und Repräsentanten politischer Streitkultur und wirtschaftlicher Neuorientierung, bewirtschaften sie seit Jahrzehnten die gleichen alten Fragen und innerparteilichen Hierarchien – im Volk hat man das längst realisiert und ist deshalb offen für Alternativen.
In diese Lücke sind Facebook & Co. vorgeprescht. Dort sind es mit Vorliebe Themen wie Zuwanderung, kriminelle Flüchtlinge, böse EU, die beim Publikum Aufregung, Wut, Angst oder Hass erzeugen. Es erstaunt dann wenig, dass es die trügerisch einfachen Antworten und Versprechen der Populisten für bare Münze, die Ankündigung einer besseren, persönlichen Zukunft als politische Wende-Verheissung hält. Dieses Verhalten ist sogar teilweise verständlich. Doch die Folgen sind eine gefährliche Eintrübung des politischen Klimas und der Wahrnehmung der Voraussetzungen für Frieden und Freiheit der Nationen.