Trumps Präsidentschaft löst Irritation und Ratlosigkeit aus. Die Tatsache seiner Wahl und inzwischen mehr noch sein Agieren im Amt machen ihn zu einem beunruhigenden Rätsel. Um es zu verstehen, genügen herkömmliche politische Kategorien augenscheinlich nicht.
Offensive Missachtung von Regeln
Eines der oft zur Deutung herangezogenen Schemata ist der Populismus. Der Begriff ist jedoch so dehnbar, dass er als Kategorie der politischen Analyse für den Einzelfall nicht eben viel hergibt. Zudem sollte man nicht vergessen, dass Populismus in der amerikanischen Politik seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine Konstante darstellt. Mit ihrer typischen Mischung von sozial progressiven Elementen und Traditionalismus ist diese in den USA verankerte Spielart auch in Trumps Wahlkampf eingeflossen. Generell aber sind populistische Elemente heute geradezu politischer Normalfall. Der Begriff passt durchaus auf Trump, eignet sich aber nicht zur Charakterisierung seiner unverwechselbaren Besonderheiten.
Nicht Populismus macht den twitternden „real Donald Trump“ aus, sondern seine offensive Missachtung von Regeln und Institutionen. Sie beginnt mit mangelnder Rechtschreibung und endet bei Geringschätzung von Richtern und Gerichten. Trump kümmert sich nicht um logische Basics wie das Axiom vom ausgeschlossenen Dritten (eine Aussage ist entweder wahr oder falsch, „tertium non datur“). Unverfroren setzt er seine eigenen Regeln.
Er behauptet, Dinge nie gesagt zu haben, obschon sie dokumentiert sind. Immer wieder verstösst er durch Rüpelhaftigkeit und Respektlosigkeit gegen Minimalstandards zivilen Verhaltens. Er setzt wilde Anschuldigungen in die Welt und hält daran fest, auch wenn sie von berufener Seite für gegenstandslos erklärt werden. Im Gegenzug weigert er sich, zur Aufklärung begründeter Verdachtsmomente gegen ihn selbst Hand zu bieten. Kurz, er tut alles, um sich als Präsident und Staatsmann unmöglich zu machen – und für einen wachsenden Teil der amerikanischen Bevölkerung ist er es denn auch.
Prinzip Krawall
Beim harten Kern seiner Anhängerschaft jedoch hat Trump durch all dies nicht an Glaubwürdigkeit eingebüsst. Diese Leute wollen ihn im Weissen Haus genau so sehen, wie sie ihn als Wahlkämpfer erlebt haben. So operiert denn Trump permanent im Wahlkampfmodus. Wahrscheinlich ist dies die Form von Politik, die ihm liegt und die er beherrscht. Als Kämpfer glaubt er, dass er sich nur mit Angriffen durchsetzen kann. Deshalb die permanenten Anschuldigungen gegen den Vorgänger, die Administration, die Medien (ausser Fox und Breitbart), China, Mexico etc. Deshalb auch sein halsstarriges Ignorieren von Fakten und Beweisen, die ihn so mancher Falschaussage überführt haben.
Trump ist kein politischer Leader, der sich den grossen Herausforderungen der Gegenwart stellen und im langwierigen Kampf mit der widerstrebenden Wirklichkeit ein durchdachtes Programm so gut als möglich umsetzen würde. Das berühmte „Bohren dicker Bretter“ (Max Weber) ist nicht sein Ding. Trump ist das Idol der Wütenden, der Favorit der Staatsverächter. Statt eines Programms repetiert er unablässig sein „America first“, den nahtlos an den Wahlkampf-Claim „Make America great again“ anschliessenden Schlachtruf.
Die Form seines exekutiven Handelns ist der Krawall: Der skandalöse Budgetentwurf, das groteske Mauerprojekt, die handelspolitischen Drohungen und der wiederholte Versuch zur Diskriminierung von Muslimen gehen nicht aus einem konstruktiven Regierungsprojekt hervor, sondern sollen die Stimmung am Kochen halten.
Zerstörung des „Systems“
Der Anti-Politiker Trump macht Anti-Politik, indem er seinen Anhängern die erwarteten Zeichen sendet und seine Gegner gezielt in Ratlosigkeit stürzt. Wird er von der Opposition wegen Unfähigkeit gebrandmarkt und der Lüge überführt, so schadet es ihm nicht, im Gegenteil: Seine Anhänger sehen darin nur neue Beweise für die Hochnäsigkeit des politischen Establishments und die Rache des verhassten „Systems“.
Dass Trumps Handlungen und Äusserungen keinen verständlichen Sinn ergeben, passt genau zu Stephen Bannons Erklärungen über seine politische Taktik: „Finsternis ist gut. Dick Cheney. Darth Vader. Satan. Das ist Macht. Es kann uns nur helfen, wenn sie [gemeint waren Liberale und Fortschrittliche] uns missverstehen. Wenn sie blind dafür sind, wer wir sind und was wir tun.“ (zitiert nach Wikipedia/Badische Zeitung, 1.2.2017)
Verhüllung durch Offenlegung
Über das Gespann Bannon-Trump ist viel spekuliert worden. Der für einen erklärten Subversiven seltsam mitteilungsfreudige Bannon liefert angeblich die Leseanleitungen zu Trumps Eskapaden. Demnach geht es bei allem letztlich um die Zerstörung des „Systems“, sprich: des Verwaltungsstaats, der politischen Institutionen und der demokratischen Regeln.
Bannon geniesst augenscheinlich die Konsternation, die er mit seinen ungeheuerlichen Parolen auslöst. Er setzt sein Image des coolen Nihilisten und die Rätselhaftigkeit seiner destruktiven Aussagen zweifellos gezielt ein. Das Ziel ist Verwirrung und Ablenkung derer, die noch immer an rationales Handeln glauben wollen und deshalb vom Weissen Haus das erwarten, was gemeinhin unter Politik verstanden wird. Der Revolutionär Bannon – so seine Selbstbeschreibung – kann seine Ideen verhüllen, indem er sie offen darlegt. Sie sind nämlich so unglaublich, dass niemand sie wahrhaben will.
Und wenn Trump scheitert?
Stehen die USA vor einem Umsturz? – Viele Beobachter geben Entwarnung. Das in der Verfassung verankerte System der „Checks and balances“, so meinen sie, werde auch mit dieser Herausforderung klarkommen. Zudem bestehe Trumps Regierungsmannschaft nicht ausschliesslich aus treuen Adlaten. Auch könnten sich dem Präsidenten trotz republikanischer Dominanz im Kongress bei diversen Vorhaben Hindernisse in den Weg stellen. Schliesslich sei sogar ein „Impeachment“ im Bereich des Möglichen, da die ungeklärten Russland-Connections einiges an rechtlichem Sprengstoff enthalten könnten.
Ob Trump dem Land seinen Stempel wird aufdrücken können, ist also offen. Sollte er aber mit seiner Anti-Politik scheitern, so droht dem Land womöglich eine erst recht gefährliche Situation. Was würde ein gescheiterter Trump tun? Er könnte versucht sein, einen Krieg vom Zaun zu brechen, um im Nebel eines aufgeheizten Nationalismus seine Ziele ansteuern zu können. Er könnte – alternativ oder zusätzlich – seine Anhänger in einer Bewegung organisieren, die sich bei der Beeinflussung oder Indoktrinierung der Gesellschaft nicht mehr an die Begrenzungen hielte, die politischen Parteien nach amerikanischen Gepflogenheiten gesetzt sind.
Solche Mobilisierungen nach aussen und innen wären zwei „Notausgänge“, die auf unbekanntes Terrain führen. Es ist nicht auszuschliessen, dass Trump sie unter Umständen öffnen würde. Rhetorisch jedenfalls hat er beides schon vorbereitet.