Nach kurzer Verschnaufpause seit dem Urnengang des vorletzten Septemberwochenendes ist der Abstimmungskampf für den 24. November definitiv lanciert. Interessierte Bürgerinnen und Bürger finden auf der Pro- und Kontra-Seite umfassende Argumentarien. Abgesehen von den einander widersprechenden Folgenabschätzungen hinsichtlich Arbeitsplätzen, Steuereinnahmen und Finanzierung von Sozialwerken operieren die beiden Lager auf verschiedenen Ebenen und kommen sich kaum direkt ins Gehege. Die Debatten-Seite der NZZ vom 30. September mit Voten von Christian Levrat, Präsident der SP Schweiz, und Heinz Karrer, Präsident von Economiesuisse, illustriert das aufs schönste. Spricht der eine von Gerechtigkeit, von den in den letzten 15 Jahren explodierten Spitzengehältern, von Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste, so betont der andere das Schweizer Erfolgsmodell von freier Privatwirtschaft und eingespielter Sozialpartnerschaft und warnt vor staatlichem Lohndiktat mit entsprechender Bürokratie. Wer diese Plädoyers liest, kann beide für richtig und überzeugend halten. Sie fechten auf verschiedenen Etagen. Die Initiative ist ein Produkt «idealistischer» Politik. Sie will den Staat mittels Verfassung, Gesetz und Exekutivinstrumenten mit Auftrag und Kompetenz versehen, auf dass er eine vom Volk beschlossene Verbesserung der Gesellschaft autoritativ durchsetze. Gegner der Initiative bekämpfen eine solche «Politik von oben». Nach ihrem Verständnis soll der Staat im Fall eines Regelungsbedarfs jeweils nicht inhaltliche Ziele, sondern vielmehr Verfahren festlegen – in methodischer Hinsicht also möglichst eine «Politik von unten» betreiben. Den Initianten hat das in diesem Fall (anders als bei der Abzocker-Initiative) nicht gereicht. Sie streben den direktiven demokratischen Eingriff in die Wirtschaft an, ein politisches Kommando für die in spektakulären Einzelfällen aus dem Ruder gelaufene Arbeitswelt. Man darf gespannt sein, ob dieser Aspekt im Abstimmungskampf neben der berechtigten Aufregung um die Abzockerei Gehör findet.
Politik von oben
Die 1:12-Initiative kommt zwar «von unten», will aber die Wirtschaft «von oben» steuern.