Bis zum Beginn dieses Jahrs schien es ausgemacht, dass die deutschen Piraten in diesem Herbst den Bundestag entern. Sie segelten auf einer Erfolgswelle, und die Umfragewerte bewegten sich im zweistelligen Bereich. 2012 waren sie bereits in vier Landesparlamenten vertreten. Doch nach den niedersächsischen Wahlen von 2013 ist alles anders gekommen. Die Umfragewerte sind auf 2-4 Prozent geschrumpft; Schlagzeilen machen vor allem die internen Auseinandersetzungen. Nach wochenlangen Schlammschlachten ist der umstrittene Geschäftsführer Johannes Ponader eben zurückgetreten.
Was zudem ins Gewicht fällt: Der Ruf als unumstrittene Protestpartei erhält neuerdings Konkurrenz. So fischt auch die Anti-Euro-Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) bei all jenen, welche ein Zeichen gegen die etablierte Politik setzen wollen.
Die Partei der Netzpolitik
Der Aufstieg der Piraten ist mit dem Internet und einer Politik verbunden, welche die Freiheit im Netz reklamiert. So hatte die Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen 2009 eine Debatte angestossen, welche den Zugang zum Netz erschweren wollte, um kinderpornogarfische Inhalte zu verhindern. Viele jüngere Netzaktivisten und Internetnutzer sahen darin das Einfallstor für eine umfassende Zensur des Internets. Der Durchbruch der neuen Partei kam 2011 mit der Landtagswahl von Berlin, wo die Piraten in der Hauptstadt der deutschen Netzpolitik auf Anhieb 8,9 Prozent der Wählerstimmen gewannen.
Je mehr sich die Piraten aber als Partei in den Parlamenten etablierten, desto mehr forderte man von ihnen Antworten, die über die Anliegen der Netzpolitik hinausgingen. Klar war noch die Forderungen nach einem Grundeinkommen. Es entspricht den Bedürfnissen von jungen Menschen in der IT Branche, die oft schlecht gegen Armut abgesichert sind. Mit einer stärkeren Bürgerbeteiligung nahmen die Piraten zudem plebiszitäre Strömungen auf, wie sie im Streit Diskussionen um den Stuttgarter Bahnhof artikuliert wurden. Doch bis heute fehlt der Partei ein klares und breit formuliertes Programm. Vorherrschend ist ein vages sozialliberales Grundverständnis, das man schon als modernen Ersatz für die angeschlagenen Freien Demokraten (FDP) interpretierte. Doch der Wind hat sich gedreht: Viele sehen die FDP wieder bei 5 Prozent und mit Chancen auf den Bundestag, während die Piraten eingebrochen sind.
Die Altparteien reagieren
Inhaltlich haben es die Piraten auch deshalb schwer, weil die etablierten Parteien auf die Anliegen der Piraten reagierten. Sie haben mittlerweile ebenfalls netzpolitische Kompetenzen aufgebaut und können diese genauso wirksam vertreten. Und auch Facebook-Profile oder die Präsenz von Politikern auf Twitter ist kein ausschliessliches Merkmal der Piraten – hier schon eher, dass bei ihnen besonders deutlich wird, welche Stürme erzeugt werden, wenn man sich unbedarft in den sozialen Medien äussert.
Die Transparenz der Politik
Zwiespältig ist es zudem, wenn die Piraten eine transparente Politik fordern und dies mit Mitteln des Internets wie der Software „Liquid Feedback“, welche helfen soll, die Demokratie transparenter zu machen. Die Macht der repräsentativ gewählten Politiker soll gebrochen werden, indem die Mitglieder jederzeit in die politischen Prozesse Einfluss eingreifen können. Alle politischen Prozesse sollen Im Selbstverständnis der Piraten möglichst im Internet dokumentiert sein.
Allerdings stellt sich die Frage, ob reine Transparenz im parlamentarischen System Deutschlands effizient ist. Vor allem dort, wo es um vertrauliche Vorbesprechungen oder um Meinungsbildung geht, und wo man nicht jedes geäusserte Argument auf die Goldwaage legen sollte, kommt es schnell zu Irritationen. So entfalten sich immer wieder groteske Auseinandersetzungen, die im Internetjargon als „Shitstorm“ bezeichnet werden. Doch auch gegen aussen kann das Fehlen von geschützten Räumen problematisch sein – etwa dann, wenn mit anderen politischen Playern Kompromisse gesucht werden oder wenn es um Lobbyarbeit geht.
Der Sündenkatalog der Piraten
Die Studie der Otto Brenner Stiftung zählt die Schwächen der Piraten minutiös auf: Der Verschleiss von Führungspersonal, die ineffiziente Basispartizipation, ein unprofessioneller öffentlicher Auftritt, die Mühen einer konsequenten Themen und Strategieplanung. Zwar sei ein Potenzial mit den vielen jungen politischen Newcomern gegeben. Auch die Mobilisierungsmöglichkeiten über das Internet seien längerfristig ein Vorteil. Doch startklar zum Entern zu sein ist schwierig, wenn der eigene Kahn absäuft.
Die Studie der Otto Brenner Stiftung: Die Piratenpartei - Havarie eines politischen Projekts