Maître Frenhofer, der alte Maler, ist die Hauptfigur in Balzacs Novelle „Le chef-d’oeuvre inconnu“. Ambroise Vollard, einer der wichtigsten Kunsthändler und Galeristen nach dem Ersten Weltkrieg, hatte Picasso geben, die Novelle zu illustrieren. Der spanische Maler tat es mit Inbrunst.
Die Beziehung zwischen Vollard und Picasso hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts begonnen. Vollard, auf La Réunion geboren, hatte ein feines Gespür für die damals neue Malerei. Er sollte bald Genies wie Renoir, Matisse, Cézanne, Gauguin und Rouault vermarkten.
Entdeckung Picassos
Im Jahre 1901 organisierte Vollard in seinem Pariser Atelier die erste Ausstellung von Picasso, der ohne Geld in Frankreich angekommen war. Gezeigt wurden vor allem Werke aus Picassos „Blauer Periode“. Die Beziehung des Genies und des genialen Vermarkters waren nicht immer ungetrübt, doch sie war äusserst wertvoll und dauerten bis zum Tod Vollards im Jahre 1939.
Welches sind die Früchte dieser langjährigen Beziehung? Es sind vor allem Illustrationen, Grafiken und Tusch-Ätzungen. Zum ersten Mal widmet sich jetzt eine Ausstellung im Detail dieser Zusammenarbeit zwischen Picasso und Vollard. „Picasso e Vollard, il genio e il mercante“ heisst die Ausstellung im Palazzo Loredan-Franchetti. 150 grafische Werke Picassos sind jetzt dort ausgestellt.
Vollard hatte Picassos Genie schnell erkannt. Er förderte vor allem seine grafische Begabung. Picassos Faszination für Balzacs „Chef d’oeuvre inconnu“ (Das unbekannte Meisterwerk) ging soweit, dass er in der Pariser Rue des Grands-Augustins ein Atelier mietete – dort, wo Balzacs Novelle spielt. Im gleichen Atelier malte Picasso viele Jahre später sein weltberühmtes „Guernica“.
Neue Tiefdrucktechnik
In den Jahren von 1930 bis 1937 schuf Picasso etwa hundert Grafiken, die später „Suite Vollard“ genannt wurden. Vollard hatte den Zyklus in Auftrag gegeben. Es war die Zeit des spanischen Bürgerkrieges, den Picasso sehr belastete. Sie gelten als Höhepunkt von Picassos grafischem Schaffen.
Picasso machte sich auch – auf Bestellung Vollards – an die monumentale Naturgeschichte des Naturforschers Georges-Louis Leclerc de Buffon heran. Er illustrierte das 44-bändige Werk mit 32 Grafiken, für die er zum Teil völlig neue Techniken anwendete.
Vollard erkannte nicht nur Picassos Talent: Er setzte sich auch für eine neue Tiefdrucktechnik ein, für neue Verfahren der künstlerischen Druckgrafik, die vor allem auch reproduzierbar sein sollten. In Picasso sah er jemanden, der ihm bei dieser Mission behilflich sein konnte.
So bestellte er bei ihm Stiche oder später die ‚Aquatinti’, reproduzierbare Werke, auch als Tuschätzung, Bistermanier oder Ätzlavierung bezeichnet, die in einem speziellen Verfahren der künstlerischen Druckgrafik entstehen, bei der über Flächenätzung Halbtöne erzeugt werden. Sie gilt als eine der malerischsten Tiefdrucktechniken.
Von einer Statue erschlagen
Der Palazzo Loredan-Franchetti, in dem die Werke jetzt gezeigt werden, ist mit seinem spektakulären Treppenhaus, den meterhohen Fensterfronten und dem gepflegten Garten einer der schönsten und grosszügigsten Paläste Venedigs.
Die sorgfältig gerahmten Werke haben in den weiten Sälen einen gebührenden Platz. Allerdings ist das Licht jeweils so angebracht, dass der Besucher, direkt davor stehend, mit seinem eigenen Schatten das Werk verdeckt. So tänzeln die Besucher vor den jeweiligen Exponaten hin und her, bis sie einen Blickwinkel gefunden hatten, aus dem sie zwar das Bild, doch nicht sich selbst sehen konnten.
Ambroise Vollard opferte sein Leben auch im buchstäblichsten Sinne der Kunst. Als er 1939 in seinem Auto eine Statue eines Künstler transportierte, musste er plötzlich scharf bremsen. Die Plastik rutschte nach vorne und brach dem Galeristen das Genick.