Die «Orpheum Stiftung zur Förderung junger Solisten» hat einen neuen künstlerischen Leiter bekommen.
Nachmittag im Café Moser in Baden. Bewohnerinnen und Bewohner eines Altersheims plaudern angeregt bei Kaffee und Kuchen, Kindergärtler quietschen vergnügt in einer höheren Tonlage und die Mütter tauschen engagiert ihre Erfahrungen aus.
Hier treffe ich Oliver Schnyder, einen der bekanntesten, hochkarätigsten Pianisten der Schweiz. Neu ist er auch künstlerischer Leiter der renommierten Orpheum-Stiftung zur Förderung junger Musik-Talente. Genau der richtige Ort, denn Kultur soll Teil des allgemeinen Lebens sein und nicht im Elfenbeinturm ein abgehobenes Dasein fristen.
Oliver Schnyder strahlt, wenn er von seiner neuen Aufgabe spricht. «Ich habe selber so viel Unterstützung bekommen und dank meines Orpheum-Auftritts im Jahr 2002 ist meine Karriere so richtig in Schwung gekommen. Ich habe das Bedürfnis, das Wissen, das ich mir aneignen konnte, an Junge weiterzugeben.»
Gutes Gespür für Talente
Und was bedeutet das nun konkret für Oliver Schnyder? «In erster Linie bin ich Talent-Scout, was ich ja auch in anderer Funktion schon mache, als Intendant im Kulturzentrum La Prairie in Bellmund und bei der Lenzburgiade, im Piano-District in Baden oder als Juror in nationalen und internationalen Wettbewerben. Ich glaube, ich habe da eine ganz gute Antenne, um Talente zu erkennen und junge Leute bis zu einem Auftritt zu begleiten und ihnen später mit Rat und Tat zur Verfügung zu stehen.»
Seit 1991 gibt es die Orpheum-Stiftung und nun übernimmt also Oliver Schnyder die künstlerische Leitung von Howard Griffiths, der diese Funktion seit 2001 neben seiner Tätigkeit als Dirigent innehatte. Treibende Kraft hinter der privaten Stiftung war der Verleger Hans Heinrich Coninx (Tamedia), zusammen mit Leuten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.
Viele von ihnen taten sich, vor allem unter der Leitung von Howard Griffiths, auch zum «Orpheum Supporters Orchestra» zusammen. «Dieses Orchester ist ein Gefäss, um Gönner und Sponsoren auch musikalisch einzubinden», sagt Oliver Schnyder. «Es ist ein Amateurorchester, aber ein gutes. Viele der Mitglieder haben mal ein Musikstudium gemacht oder zumindest angefangen, bevor sie sich dann für etwas ‘Richtiges’ entschieden haben …» Schnyder sagt es mit einem Schmunzeln …
Aus «Nachwuchs» wurden «Stars»
Bei der Amtsübergabe von Howard Griffiths an Oliver Schnyder hat das «Orpheum Supporters Orchestra» noch einmal unter der Leitung seines langjährigen Dirigenten gespielt, während Oliver Schnyder – nunmehr der neue künstlerische Leiter – am Flügel sass. Gespielt wurde das Tripelkonzert von Ludwig van Beethoven, und als Orpheum-Nachwuchs-Musikerin durfte die dänische Geigerin Anna Agafia Egholm zeigen, was sie kann. Dritter im Bunde war der Cellist Maximilian Hornung, der 2004 unter den Fittichen von Orpheum in der Tonhalle debütierte und seither erfolgreich unterwegs ist.
Und so eine Amtsübergabe ist immer auch ein Anlass, Rückschau zu halten, wer – nicht zuletzt dank Starthilfe durch Orpheum – erfolgreich auf den internationalen Bühnen unterwegs ist. So hatte Shooting Star Yuja Wang 2003 in Zürich ihr grosses Orpheum-Debüt unter der Leitung von David Zinman, und hat seither Weltkarriere gemacht. Oder Nikolaj Znaider (Violine), Sol Gabetta (Cello), Martin Grubinger (Schlagzeug), Vilde Frang (Violine), Kian Soltani (Cello), Alice Sara Ott (Piano) oder Francesco Piemontesi (Piano), um nur ein paar Namen zu nennen.
Im März findet das nächste Orpheum-Konzert statt, dann mit der Nachwuchs-Pianistin Yilan Zhao, die zusammen mit Oliver Schnyder und dem Zürcher Kammerorchester Mozarts Doppelkonzert spielt. «Ich habe Yilan Zhao zuerst in einem Wettbewerb gehört und dann als Experte ihr Masterdiplom bewertet. Es war etwas vom Besten, das ich je an Schweizer Hochschulen gehört habe!», sagt Oliver Schnyder voller Bewunderung. «Sie hat an der ZHdK bei Konstantin Scherbakow studiert und ich finde, man muss ihr unbedingt eine Chance geben. Karrieretechnisch hat sie praktisch nichts gemacht. Es gibt viele junge Nachwuchstalente, die sind so in ihrer künstlerischen Welt versunken, die denken gar nicht daran, zu kommunizieren und Werbung für sich zu machen. Diese jungen Leute brauchen Hilfe, um Türen zu öffnen. Und dafür sind wir da …»
Die Spreu vom Weizen trennen …
Aber wie und wo findet man denn diese hochtalentierten, aber noch unbekannten jungen Musik-Talente? «Wir haben ein illustres Kuratorium, von dem wir Tipps bekommen. Ich selbst habe mein eigenes Kontaktnetz von internationalen Kollegen, die wissen, dass ich bei Orpheum bin und ihrerseits fleissig Empfehlungen aussprechen. Man kann sich aber auch selbst bei uns anmelden und bewerben. Manche fallen von vornherein durch, andere bleiben ‘pendent’ und werden genauer geprüft. Das ist eine Momentaufnahme und es braucht halt auch etwas Glück. Ich muss aber sagen, dass die meisten Bewerbungen auf einem sehr hohen Niveau sind. Ich habe gerade heute wieder einige bewertet und kann sagen, dass der Ruf, der ‘Orpheum’ vorauseilt, so dass sich nicht jeder x-Beliebige bewirbt. Man weiss, dass man schon einiges geleistet haben muss und ein grosses Repertoire besitzen sollte. Man muss professionelle Dossiers haben und Video-Links, die einen überzeugenden Eindruck geben können.»
Das Durchschnitts-Niveau im instrumentalen Bereich sei heute höher als vor etwa dreissig Jahren, sagt Schnyder. «Aber auch auf hohem Niveau die Spreu vom Weizen zu trennen», das ist meine Aufgabe. «Durch die vielen Kanäle auf Social Media und die zahlreichen Referenzaufnahmen haben sich die Interpretationen in den letzten Jahrzehnten sehr angeglichen und das finde ich sehr schade. Ich möchte Eigenständiges hören und Unerhörtes. Ich suche Musiker – und selbstverständlich auch Musikerinnen –, die mit ihrem Spiel ganz Persönliches zu erzählen haben. Dass man sein Instrument beherrscht, ist natürlich Voraussetzung!»
Sinfonieorchester und Kammerensembles
Stiftungszweck und Kernaufgabe von Orpheum ist und bleibt die Förderung von internationalen jungen Solisten. «Wir bringen sie mit namhaften Dirigenten und grossen Orchestern zusammen», so Schnyder. Das sind zum Beispiel das Tonhalle-Orchester, das Konzerthaus-Orchester Berlin oder die Wiener Symphoniker. «Indem wir solche Orchester und grosse Dirigenten wie David Zinman, Sir Neville Marriner, Mariss Jansons, Zubin Mehta, Philippe Jordan oder Christoph Eschenbach engagieren, treten wir ja auch als Veranstalter auf. Das ist etwas anderes, als wenn das Opernhaus im Opernstudio junge Talente nachzieht und in eigene Produktionen einbaut.»
Neben einem Konzert auf der grossen Bühne stehen den Jungen bei Orpheum aber auch noch andere Möglichkeiten zur Verfügung. «Zum Beispiel schreiben wir Kammermusik – neu – noch grösser», sagt Schnyder. «Die Idee vom grossen Dirigenten oder Solisten an der Seite der Jungen gehört auch hier dazu. Letztes Jahr hatten wir Andras Schiff, der mit jungen Leuten ein Kammermusik-Projekt erarbeitet hat. Oder Fazil Say … Solche Projekte wollen wir fest installieren und grosse Instrumentalisten und Instrumentalistinnen engagieren, die über mehrere Tage mit den Jungen arbeiten. Das gibt uns die Möglichkeit, sie genauer zu beobachten: Wie funktionieren sie? Wie kommunizieren sie künstlerisch?
«Anhand dieser Beobachtungen können wir sie später allenfalls auch zu einem Orchesterkonzert einladen.» Manche Junge erreichen allerdings auch über Social Media einen gewissen Bekanntheitsgrad. «Das geht heute so schnell», sagt Schnyder, «Früher war das ein Schritt nach dem anderen, und vielleicht war das auch gesünder … Es gibt viele, die Popularität mit künstlerischer Aussage verwechseln …»
Meilenstein für Oliver Schnyder: die «Goldberg-Variationen»
Man spürt, die Arbeit mit und für den Nachwuchs ist Oliver Schnyder wichtig, und er ist mit ganzem Herzen dabei. Und wie steht es da mit dem eigenen Klavierspiel? Bleibt er Pianist? «Ja klar!», sagt er und lacht. «Das ist meine Hauptbeschäftigung! Ich gebe nicht mehr so viele Konzerte wie vor zehn Jahren, aber immer noch rund 50 pro Jahr. Es gab auch Jahre, in denen ich 90 Konzerte gespielt habe, aber das muss ich nicht mehr haben …» Denn neben dem eigentlichen Klavierspiel bedeutet das auch viel administrative Arbeit: «Als reisender Konzertpianist ist man eine ‘Ich-AG’.»
Stattdessen hat er soeben eine neue CD herausgegeben: Die «Goldberg-Variationen» von Johann Sebastian Bach. Ein Meilenstein für Schnyder, der dieses Jahr auch seinen 50. Geburtstag feiern kann. Wobei das eine nichts mit dem anderen zu tun hat. Es war der Corona-Lockdown und die viele Zeit, die durch die Konzertabsagen unverhofft vorhanden war, die Schnyder die vertiefte Arbeit an diesen legendären Pianostücken ermöglichte. «Ich wusste, dass ich diesen Zyklus nicht während meines normalen Musiker-Alltags bewältigen würde.» Herausgekommen ist eine wunderbare CD mit Goldberg-Variationen in einem ganz eigenen Rhythmus, eindringlich, melancholisch, und sinnlich zum immer und immer wieder Hören.
CD: Johann Sebastian Bach: «Goldberg-Variationen», Oliver Schnyder Piano, PROSP 0038