Die chinesische Saison der ebenfalls mit dem englischen Fussball-Lehnwort «Superleague» veredelten nationalen Liga dauert von März bis Oktober. Chinas Superleague wird nicht wie in der Schweiz von einer Bank, sondern von einer Versicherung gesponsert. Nur die Löhne der Balltreter, vor allem der im Ausland eingekauften, sind um einiges höher als in der Schweiz, zum Teil höher als in den prominenten europäischen Ligen.
Torhüter Mao
Während also in Italien, Spanien, Deutschland und England erst im Laufe des Augusts angepfiffen wird, strömten die chinesischen Fans selbst während des Weltturniers in die Stadien. Es sind, nicht nur zur Freude der Club-Manager sondern auch der politischen Führung, immer mehr. Füllten 2010 im Schnitt an 30 Spieltagen mit 240 Matches noch 14’890 Besucher die Stadien der 16 Klubs, waren es im vergangenen Jahr bereits 23’766. Darunter im Pekinger Arbeiterstadion auch Ihr Korrespondent, bekennender FCB-Anhänger – FC Basel 1893 und FC Bejing Guoan 1992.
Dort freilich war Chinas oberster Fussballfan, der Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping, nach Kenntnis Ihres Korrespondenten nicht zu sehen. Nach verlässlichen Quellen freilich soll Xi, der in jungen Jahren – wie der Parteilegende nach auch Mao, als Torhüter – selbst das runde Leder getreten haben soll, das WM-Finalspiel spät abends Pekinger Zeit selbst am Fernsehen verfolgt haben. Das macht Sinn, denn Xi hat mit Fussball Grosses vor.
China nämlich will nicht nur in Wirtschaft und Politik, sondern auch mit weicher Macht (Neudeutsch: „soft power“), also in Kultur und Sport, seinen Einfluss ausbauen. Nun übertreffen Tischtennis und Basketball an Beliebtheit bei Chinas Sportfans noch immer den Weltsport Fussball. Das soll sich in den nächsten zwei Jahrzehnten rasant verändern. Schliesslich haben die Chinesen ja wie so vieles auch den Fussball erfunden, wie einst Professor Helmut Brinker von der Universität Zürich in seiner Arbeit «Laozi flankt, Konfuzius dribbelt» beschrieben hat.
In Xi Jinpings grossem «Chinesischen Traum» fehlt deshalb auch der Fussball nicht. «Ich habe», so Xi, «drei Wünsche: China soll sich für eine WM qualifizieren, China soll eine WM austragen, und China soll eine WM gewinnen.»
Fussball-Internate
Bei 1,4 Milliarden Einwohnern sollte das möglich sein. Vor drei Jahren hat die Zentrale Planungs- und Entwicklungskommission zusammen mit dem Erziehungsministerium das ganze Projekt an die Hand genommen. Fussball ist sozusagen Pflichtfach geworden. Die Jugend hat es nämlich nicht leicht. Vom Kindergarten bis zur alles entscheidenden Uni-Aufnahmeprüfung Gaokao büffeln die Knaben und Mädchen, gnadenlos angetrieben von den Eltern und Grosseltern, unentwegt für Prüfungen. Für Sport ist deshalb wenig Zeit mehr übrig.
Fussball-Akademien sollen nun Schule und Sport verbinden und verträglich machen. Der chinesische Vorzeigeverein und langjährige Fussballmeister Guangzhou Evergrande betreibt eine solche Fussball-Akademie mit dreitausend Schülern und Schülerinnen. Weitere Fussball-Internate sind mittlerweile über das ganze Riesenreich verstreut gegründet worden. Zehntausende von Fussballfeldern wurden angelegt und Tausende Trainer – darunter nicht wenige aus Europa – angeheuert. Bis 2030 sollen fünfzig Millionen Kinder Fussball spielen.
«Schändliche Fussballverhältnisse»
Parteichef Xi Jinping hat einst von «schändlichen Fussballverhältnissen» gesprochen. In der Tat wurde Chinas Fussball immer wieder von Skandalen und Korruption erschüttert. 2003 zum Beispiel war die Hälfte aller Meisterschaftsspiele manipuliert, und zehn Jahre später wanderten der Präsident und der Vizepräsident des Fussballverbandes wegen Korruption ins Gefängnis.
Für viele chinesischen Fussballfans waren deshalb ausländische Ligen – vor allem Englands Superleague und die deutsche Bundesliga – attraktiver. Die Fans bezahlten Pay-TV und schlossen nicht selten illegale Internet-Wetten auf englische und deutsche Matches ab. Doch mit der neuen Initiative hat sich die Situation seit drei Jahren merklich verbessert. «Ein Aufleben des Fussballs», so die Zentrale Planungs- und Entwicklungskommission, «ist entscheidend auf Chinas Weg zur Sportnation.»
Weg nach oben
Der Weg nach ganz oben freilich ist noch weit. China konnte sich gerade einmal 2002 für die WM qualifizieren. In Südkorea und Japan erlitt das Nationalteam drei Niederlagen und erzielte kein einziges Tor. Bei den Qualifikationen 2006, 2010, 2014 und 2018 scheiterte China an den Nationalteams etwa von Katar, Irak, Jordanien, Syrien, Iran, Usbekistan. In der Fifa-Weltrangliste schafft es China zwar unter die Top 100, ist aber noch hinter Haiti oder Äquatorialguinea platziert. Wenn alles nach Plan geht, wird sich das in absehbarer Zeit ändern.
Die Chancen stehen gut. 2022 in Katar oder spätestens in Nordamerika 2026 werden Chinas Kicker dabei sein. Bereits 2030 könnte China die Weltmeisterschaften ausrichten. Schliesslich ist China ein gigantischer (Sport-)Markt. Das wird sich die Fifa nicht entgehen lassen, ebenso wenig wie sich das Internationale Olympische Komitee diese Chance mit den Pekinger Sommerspielen 2008 und den Pekinger Winterspielen 2022 hat entgehen lassen.
Und wann wird China Weltmeister? Wird das Chinas oberster Fussballer noch erleben? Die letzte Prognose Ihres Korrespondenten vor einem Jahr lautete auf das Jahr 2038 an der WM in Grönland. Dank den von oberster Stelle getroffenen Massnahmen ist die Prognose auf 2034 in Bora-Bora abzuändern. Dort treffen im Final die von Ronaldo gecoachten Chinesen auf die von Streller und Wicky trainierten Schweizer. Das Resultat ist eindeutig: 4:1.
Trotz allem, auch der FCB kann doch noch gewinnen. FC Beijing besiegt eine Woche nach dem WM-Final den FC Tianjin Quanjian mit 3:2 Toren. Gleichentags verlor der FCB gegen St.Gallen 1:2. Oder um mit Xi Jinping zu reden: «schändliche Fussballverhältnisse» in Basel.