Auch einige Abgeordnete im Parlament fordern Javad Zarif auf, zu bleiben. Doch einerlei, ob er geht oder nicht: Seine Ohnmacht hat er der ganzen Welt offenbart. Zarif und seinem Land stehen schwierige Zeiten bevor.
Was war das? Eine echte Rücktrittserklärung, ein wütendes Protestmanifest, ein cleveres Machtspiel oder alles zusammen? Es war am Ende des Tages, kurz vor 24 Uhr iranischer Zeit, als die Ankündigung des Abschieds über den Onlinedienst Instagram kam: Der iranische Aussenminister Mohammad Javad Zarif entschuldigte sich beim iranischen Volk, dass er sich nicht mehr in der Lage sehe, sein Amt weiter auszuüben. Daher bitte er für alle Unzulänglichkeiten in seiner Amtszeit um Verzeihung. Mit diesen Sätzen offenbarte der iranische Aussenminister nicht nur der eigenen Bevölkerung, sondern der ganzen Welt seine Ohnmacht.
Noch hat Irans Präsident Hassan Rouhani Zarifs Rücktritt nicht akzeptiert. Im Gegenteil. Sein Büro liess wenige Stunden später verlauten, Zarif werde bleiben.
40 Jahre im Dienst der Islamischen Republik
Aber wer beschneidet Zarifs Macht? Warum ist er nicht in der Lage, sein Amt auszuüben – wer hindert ihn daran?
Um das zu beantworten, braucht man nicht die ganze Biographie dieses 58-jährigen Diplomaten Revue passieren zu lassen, der seit seinem siebzehnten Lebensjahr im Dienste der islamischen Republik steht. Es reicht, den Tag dieses angekündigten Abschieds genauer anzusehen. Turbulent sind in letzter Zeit fast alle Tage der Islamischen Republik, doch an diesem Montag ging es in den Teheraner Machtzirkeln besonders stürmisch zu, jedenfalls nach all dem, was aus diesen dunklen Sphären an die Oberfläche kam.
Am Vormittag sprach Präsident Rouhani im Arbeitsministerium über die US-Sanktionen und den miserablen Zustand der Wirtschaft. Seine Rede hatte nur einen roten Faden: die Omnipräsenz der Revolutionsgarden in der iranischen Wirtschaft. Manche Rouhani nahe stehende Agenturen wählten für ihre Berichte über seine Rede diese klare Überschrift: „Die Garden sollen die Wirtschaft in Ruhe lassen.“ Die den Revolutionsgarden nahe stehenden Medien reagierten prompt: Der Präsident phantasiere, entgegnete umgehend etwa das Portal Javan, eines der wichtigsten Organ der Revolutionsgarden.
Der Tag ist noch jung
Gegen Mittag griff Rouhani dann die Justizbehörde seines Landes frontal an. Mit fadenscheinigen Begründungen wolle man den jüngsten Minister seines Kabinetts, Kommunikationsminister Azari Jahromi, entmachten. Doch der werde im Amt bleiben und wie viele andere junge Menschen auch notfalls die Justiz ignorieren, sagte der Präsident zornig in die Mikrophone und Kameras. Der 36-jährige Azari Jahromi ist zwar kein Jugendlicher mehr, doch unter einer Machtelite, deren Mitglieder alle jenseits der Siebzig, Achtzig und sogar Neunzig und seit vierzig Jahren an der Macht sind, gilt der Kommunikationsminister, der vier Jahre nach der Revolution geboren wurde, als Jugendlicher. In der Tat benimmt er sich in der Öffentlichkeit und vor allem in der virtuellen Welt wie ein Teenager.
Der Hintergrund: Der Generalstaatsanwalt hat den Kommunikationsminister angeklagt, weil dieser Onlinedienste wie Telegram und Instagram nicht strikt filtere. Es lägen Unterschriften von 2’000 Menschen aus Ahwaz vor, die den Kommunikationsminister beschuldigen, sein Umgang mit den Onlinediensten sei für einen IS-Terroranschlag im vergangenen September in ihrer Stadt verantwortlich.
Wir nähern uns dem späten Nachmittag
In einer Ministerrunde droht Rouhanis Sprecher, der Iran müsse unbedingt und schnell dem internationalen Abkommen gegen Geldwäsche (FATF) beitreten, sonst könne man mit niemandem, nicht einmal mit syrischen Banken, mehr Geschäfte treiben. Wieder reagieren die Agentur Fars und andere Webseiten der Hardliner sofort und wiederholen ihre Argumente: Ein Beitritt zu FATF sei gegen die Souveränität des Landes, weil er die Unterstützung islamischer Widerstandsgruppen unmöglich mache
Der spektakuläre Abend naht
Als die Sonne in Teheran untergeht, gibt es aus der iranischen Hauptstadt Breaking News: Das Portal des Revolutionsführers Ali Khamenei meldet, dass der syrische Präsident Bashar al Assad vom „geehrten Führer“ empfangen worden sei. Assad sei ein „Held der arabischen Welt“, der Iran sei stolz, ihm bei seinem Sieg gegen die Supermächte und Israel geholfen zu haben, ist auf Khameneis Webseite zu lesen.
Mit dieser Eilmeldung werden auch Bilder geliefert. Man sieht, wie Khamenei wie ein gütiger Vater Assad umarmt und der syrische Präsident wie ein dankbarer Junge lächelt. Doch wichtiger als diese „Vater-Sohn-Umarmung“ ist ein anderes, grösseres Bild, das die Gesamtszene darstellen soll. Dort sind auf der iranischen Seite die Personen zu sehen, die für die Aussenpolitik des Landes eigentlich entscheidend sind. Weder der iranische Präsident Rouhani ist dabei noch sein Aussenminister Zarif.
Das Bild, das die wirkliche Macht zeigt
In dem schmucklosen und einfachen Raum ist Assad nur mit seinem Dolmetscher zu sehen, doch Khamenei hat gleich sieben Menschen um sich versammelt: Das sind Qasem Soleymani, der Kommandeur der Quds-Brigaden der Revolutionsgarden, Ali Akbar Velayati, Khameneis aussenpolitischer Berater, Golpaygani, sein Kabinettschef, der zugleich Schwiegervater einer seiner Töchter ist, und drei wichtige und mächtige Mitarbeiter seines Büros. Das bildet die Macht genau ab: Wenn es einen Sieg in Syrien gibt, heissen dessen Väter weder Rouhani noch Zarif.
Abschied um Mitternacht
Onlinedienste wie Telegram oder Facebook mögen im Iran offiziell verboten sein. Doch fast jeder umgeht dieses Verbot. Selbst der Revolutionsführer hat ein eigenes Internetportal. Und Aussenminister Zarif twittert regelmässig gegen den US-Präsidenten Donald Trump oder seinen amerikanischen Kollegen Pompeo an.
Auch Zarifs Paukenschlag kam über Instagram – als Assad Teheran längst verlassen hatte.
Rouhani nahestehende Webseiten wie Irandiplomacy werden wenige Stunden später schreiben, Zarifs Rücktritt habe mit seiner Unkenntnis dieses hohen Besuchs in Teheran zu tun. Für einige Stunden beherrschte die Message des Aussenministers die Topmeldungen der Agenturen. Wie es auch immer weitergehen mag, die kommenden Tage und Wochen werden für ihn und für den Iran entscheidend sein. Zumal er der ganzen Welt offenbart hat, wie ohnmächtig er als Aussenminister ist. Seine grosse und einzig nennenswerte Leistung war das Atomabkommen, das mit dem Austritt der USA inzwischen beinahe wertlos ist.
Der US-amerikanische Aussenminister Mike Pompeo twitterte zu Zarifs Rücktrittsmeldung: „We note @JZarif’s resignation. We’ll see if it sticks. Either way, he and @HassanRouhani are just front men for a corrupt religious mafia. We know @khamenei_ir makes all final decisions. Our policy is unchanged—the regime must behave like a normal country and respect its people.“
Zu deutsch: Rouhani und Zarif seien nur die Schaufensterpuppen einer religiösen Mafia. Darin steckt mehr als ein Körnchen Wahrheit.
Mit freundlicher Genehmigung vom Iran Journal
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