Nicht nur die besten, sondern auch die schönsten. Eine ‚Afus‘ sitzt so rund und satt in der Hand, als wäre sie ein Faberge-Ei. Nur dass ihre ovale Form am einen Ende noch eine kleine Beugung macht, um sich zwischen Daumen und Zeigefinger einzuschmiegen – die Urföm des berühmten Paisley-Musters. Und statt Porzellankälte verbreitet sie, in ihrem dunkelgoldenen Gelb, Wärme und einen betörenden Duft.
Vielleicht sind dies hitzebedingte Fieberfantasien. Denn immer wenn es in Indien auf den Monsun zugeht, wenn der ‚Ko-el‘ seinen monotonen Klageruf hören lässt und der ‚Rainfever Bird‘ die lähmende Stille unterbricht, wenn man, hitzegelähmt, fünf Minuten überlegen muss, ob man den Papierfetzen auf dem Boden aufheben soll: Dann reifen die besten Mangos. Andere Sorten, wie die südindischen ‚Pairi‘, die ‚Totapuri‘ und ‚Baganpalli‘, reifen früher. Und im Norden, dem Land der ‚Dassehri‘ und ‚Langra‘, kommen sie erst mitten im Monsun zur Reife. Doch den Hitze-Kumulationspunkt in ihrer Reise vom Süden in den Norden, von Februar bis August, vom Frühling in die Regenzeit, erreichen sie in der Region von Bombay. Wenn sich der glasige Himmel am westlichen Horizont über der ‚Arabian Sea‘ erstmals mit Wolkenbergen füllt, wenn der heisse Wind plötzlich umschlägt und vom Meer zu blasen beginnt, ist der Boden bereit, seine Königin preiszugeben.
Ein wichtiges Familienritual
Die Früchte, manche ein halbes Kilo schwer, werden geerntet, noch bevor sie sich gelblich färben. Damit wollen die Bauern vermeiden, dass die fetten Damen auf den Boden fallen und Schaden nehmen. Die meisten Mangobäume werden heute zwar kurz gezüchtet, so dass der Stamm schon einen Meter über dem Boden sein Astwerk auszubreiten beginnt und ein Fall die Frucht kaum beschädigt. Das Pflücken erfolgt aber immer noch, wie zur Zeit als Mangobäume noch vierzig Meter hoch wuchsen, mit Bambusstangen. An deren Spitze wird ein Sichelmesser angebunden, und darunter eine kleine Netztasche, die die abgeschnittene Frucht auffängt.
Es gibt noch einen weiteren Grund für das frühe Pflücken. Bevor man sie isst, macht man sie ein. Grüne Mangos – meist sind es mehrere Sorten mit unterschiedlichem Reifungsgrad – werden für die Konservierung zu süss-sauren Chutneys, Pickles und bitteren ‚Achar‘ aufbereitet – geschnitten, mit Masalas eingerieben, in Öl eingelegt.
Es ist ein wichtiges Familienritual, so erzählte mir eine Frau im Dorf, eine Zeit, in der die erwachsenen Töchter für einige Tage nach Hause kommen. Dort verteilt die Matriarchin die Rollen: Eine Schwiegertochter wählt die Sorten aus, eine andere ist gut beim Schneiden, eine Enkelin hat einen feinen Gaumen zum Abstimmen der Gewürze und prüft, ob bei einem bestimmten Pickle der Nacken auch in Schweiss ausbricht. Während sie zusammensitzen, erzählen sie ihre Geschichten, geben sich Ratschläge, lachen auf Kosten ihrer Männer. Dazu wird das grüne ‚Panha‘ getrunken, der Saft von eingekochten süss-sauren Rohmangos, dickflüssig und mit viel Eis gekühlt. Es ist ein Vorgeschmack auf den den eigentlichen Nektar - den gelbwurzfarbenen ‚Aam Ras‘ (‚Aam‘ ist das indische Wort für ‚Mango‘), dasselbe Getränk, aber mit dem vollen Aroma der ausgereiften Frucht.
Mango-Wallstreet
Doch all diese Lustbarkeiten drohen dieses Jahr dem Mango-Hopper zum Opfer zu fallen. Im Crawford Market von Bombay, der Mango-Wallstreet, von wo aus sie in alle Welt gehen, wurden bisher nur 20 Prozent des jährlichen Solls angeliefert. „Normalerweise“, erzählte mir ein Händler, als ich zu Wochenbeginn dort vorbeiging, „werden hier über 100‘000 Kisten täglich gehandelt, heuer sind es 20-bis-25‘000“ (Jedes Kistchen enthält 48 Früchte). „Dies wird eine kurze Saison“. Was ihn aber nicht allzu sehr stört, denn die Grosshandelspreise sind hochgeschnellt, bis auf 5000 Rupien pro Kiste. Heute haben sie sich bei rund 1500 Rupien für die besten Lose stabilisiert, aber dies ist immer noch fast dreimal so viel wie bei einem normalen Jahr. Es ist ein Zeichen, wie wenig namentlich die Bombaywallahs auf ihre ‚Kheri‘ verzichten mögen, und koste sie ein Vermögen.
Doch was ist geschehen? Es ist nicht ungewöhnlich, dass Mango-Ernten fluktuieren. Dies hängt damit zusammen, dass die meisten Knospen nur jedes zweite Jahr Blüten treiben und besamt werden. Dafür sind sie dann umso generöser, wenn sie befruchtet werden – auf einem ‚Acre‘ (4000 qm.) können in einem guten Jahr bis zu 14 Tonnen geerntet werden, und bis zu 4000 Früchte von einem grossen Baum. Im vergangenen Winter sah es nach einer Rekordernte aus. Beim Spazieren über die Felder lief ich manchmal in einen regelrechten Dunstschleier hinein, so dicht hatte sich der feine Blütenstaub von den männlichen Blüten abgesondert und wurde von den langen weiblichen Kelchen aufgesogen.
Nichts für feine Tisch-Manieren
Aber schon damals, im Dezember und Januar, erzählte mir ein Baür, es habe dieses Jahr verdächtig viele Blüten. Vielleicht liess dies die Bevölkerung der ‚Mango Hoppers‘ explodieren, wie im ‚Indian Express‘ spekuliert wurde. Die winzigen Maden hätten dann begonnen, Stiele und Fruchtknospen zu fressen. Dann hielt die Kälte im Februar länger an als gewöhnlich. Dies behinderte das Wachstum von anderen Insekten, die sich normalerweise an den Mango-Maden gütlich tun. Das Resultat: statt Früchte zu treiben, begannen die Blüten zu faulen.
„Ein trauriges Bild“ sagte mir mein Nachbar Behruz Zarathushti. „Letztes Jahr wusste ich nicht, wohin mit den vielen Früchten. Und heuer? Vielleicht dreissig Früchte von meinen 250 Bäumen!“. Es ist ein Bild, das mir espart blieb. Meine fünf Mangobäume sind dreijährig und kaum mannshoch. Bei einem hat sich erstmals eine prächtige Afus-Frucht entwickelt. Als wir sie heute pflückten, um sie in die Schweiz zu schmuggeln, gab sie bereits einen Hauch jenes vieltönigen Parfums ab, das Mango-Junkies kirre macht – besser als jede Opernarie. Meine Alphonso-Freunde müssen sich indessen wohl bis zum nächsten Jahr gedulden, bevor sie mit einem Dutzend ‚Afus‘ in die Badewanne steigen - Mango-Essen eignet sich nicht für feine Tischmanieren.