Es fängt immer wieder so harmlos an. Ich brauche ein Passwort für mein Zeitungsabo: Na gut, was fällt einem dazu ein? Genau: „Abo“.
Zusätzlich brauche ich Passwörter für diverse andere Abos und natürlich für hoch sensible Bereiche wie Konten und so weiter. Die Frage nach dem Passwort kommt immer zur Unzeit. Ich will etwas Bestimmtes erledigen und muss mich statt dessen mit etwas völlig anderem, dem Passwort, beschäftigen. Diese Passwortanfragen machen mich klein, geradezu lächerlich. Das, was mir gerade wichtig erscheint, ist überhaupt nicht wichtig. Erst kommt das Passwort! Adorno und Horkheimer würden sich totlachen.
Aber die Passwortanfrage ist nur der Anfang. Von jetzt an kann ich mich nur noch blamieren. Nehme ich immer dasselbe Passwort, so wirke ich wie ein Irrer, der nicht bedenkt, dass ein Generalschlüssel auch gestohlen werden kann. Es gibt eine Handbewegung, um jemandem zu signalisieren, dass er wahnsinnig ist. Die sehe ich ständig vor mir, wenn ich immer dasselbe Passwort für diverse Zugänge eingebe. – Auf der anderen Seite hat das auch den Reiz des Verbotenen.
Um aus der Verbotszone herauszukommen, wechsele ich hin und wieder die Passwörter. Für das Zeitungs-Abo nehme ich vielleicht „Zeitung“, „Presse“ oder „Print“ und mein Geburtsdatum, für den Zugang zum Reiseanbieter vielleicht ein Wort, das mit Reisen zu tun hat und meine Hausnummer. Das geht natürlich nicht. Denn das liesse sich viel zu leicht erraten. Böse Terroristen könnten meine Konten hacken! Manchmal wäre ich froh, sie täten es, denn mittlerweile habe ich völlig vergessen, was mir zum Thema Reise eingefallen ist: „Traveller“, „Voyager“, „Delay“ oder „Lost“? Und habe ich nun mein Geburtsjahr, meine Postleitzahl, meine Hausnummer oder nur die Vorwahl meines Landes eingeben?
Wer so fragt, hat noch nicht begriffen, was ein richtiges Passwort ist. Denn richtige Passwörter sollen mit ihren wirren Buchstaben- und Zahlenfolgen, den Sonderzeichen und Gross- und Kleinschreibungen so geheim sein, dass selbst ihr Nutzer sie sich nicht mehr merken kann. Denn kann er sie sich merken, ist das nur ein Zeichen dafür, dass das Passwort bei weitem zu einfach ist. Man kann das auch Emanzipation von der Sprache nennen. Denn alles, was sprachlich erinnert werden kann, ist als Passwort zu schwach.
Verboten ist es natürlich auch, seine völlig assoziationsfreien Passwörter in einer Liste in einer Cloud zu speichern. Jeder böse Hacker wird diese Liste sofort entdecken und hämisch grinsend meinen Untergang vorbereiten. Aber so weit muss ich gar nicht gehen. Denn aus eigener Erfahrung weiss ich, dass viele Passwörter weder erinnert noch gespeichert werden, weil im entscheidenden Moment alle mit anderen Problemen als mit dem zukünftig entscheidenden Passwort beschäftigt sind.
So hätten sich einige technische Probleme in den letzten Monaten leicht lösen lassen, waren aber unlösbar, weil keiner der Beteiligten das Passwort kannte: Ein Router war abgestürzt, das Telefon funktionierte nicht. Support, Support, Support. Entsprechende Kosten. Kein Techniker hatte eine Ahnung, welcher andere Techniker das Passwort eingegeben hatte. Dann kam die Antwort unter dem Siegel der Verschwiegenheit: „Wir haben ein technisches Standardpasswort: 0000 oder 1234.“ In einem Märchen hiess das mal: „Simsalabim“.