Spanien, Irland und Norwegen haben offiziell einen Palästinenserstaat anerkannt – Malta und Slowenien könnten in Kürze folgen. Die Zahl der Anerkenner, weltweit, würde dann auf 147 (von total 193 Ländern) steigen. Bringt das den Frieden im Nahen Osten um einen Schritt näher? Oder hat Israels Premier Netanjahu recht, wenn er sagt: Wer jetzt Ja sagt zur Schaffung eines palästinensischen Staats, belohnt die Hamas-Terroristen für ihren Massenmord, mit dem sie am 7. Oktober den jetzigen Krieg im Gaza-Streifen ausgelöst haben?
Die Realisten unter den Politikern und Medienschaffenden argumentieren: Die Anerkennung eines Palästinenserstaats ändert nichts an den Fakten. Und die sind so: Das Westjordanland mit seinen etwa 3,5 Millionen Palästinensern ist durch die israelischen Kleinstädte (die man beschönigend «Siedlungen» nennt) bereits so zerstückelt, dass die Schaffung eines kohärenten Staatsgebildes illusorisch geworden ist. Der Gaza-Streifen mit seinen circa 2,2 Millionen Menschen anderseits ist zur Trümmerwüste geworden, deren Wiederaufbau (im besten Fall) Jahrzehnte dauern wird. Gravierender noch: Durch die Hamas-Attacke vom 7. Oktober und den darauf folgenden Krieg Israels im Gaza-Streifen (gegenwärtige Bilanz: mehr als 35’000 Tote, über 70’000 Verletzte, rund drei Viertel aller Behausungen schwerwiegend beschädigt oder total zerstört) ist der Hass sowohl der Israeli auf die Palästinenser (da wird kaum mehr unterschieden zwischen jenen, die für die Gewalt verantwortlich sind und den Unbeteiligten) als auch umgekehrt so umfassend geworden, dass ein Dialog für lange Zeit nicht möglich ist.
Wenn das zutrifft, was sollen dann noch die Beschlüsse von Regierungen irgendwo in der Welt zugunsten der Schaffung eines palästinensischen Staats? Machen sie auch nur den geringsten Sinn?
Nebeneinander existieren
Ja, denn sie wollen zum Ausdruck bringen: Wir versuchen, der Komplexität des Konflikts mit den wenigen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gerecht zu werden. Niemand stellt in Abrede, dass Hamas am 7. Oktober mit Mordtaten und Geiselnahmen ein Verbrechen begangen hat, aber anderseits kann auch niemand in Abrede stellen, dass die politische und militärische Führung Israels in den seither vergangenen sieben Monaten die ganze Bevölkerung des Gaza-Streifens (in übertragenem Sinn) in Sippenhaft genommen hat, durch Bombardements und drastische Verknappung der Versorgung. Aus dem Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt herausführen kann/könnte nur ein grundsätzliches Umdenken, das auf der Erkenntnis beruht, dass nichts vorbei führt an der Tatsache, dass die beiden Ethnien dazu verdammt sind, wenn nicht miteinander, dann doch nebeneinander zu existieren. Also: Zweistaatenlösung, und der Weg dorthin, so die Message hinter den Deklarationen jetzt der Regierungen in Madrid, Dublin und Oslo, kann verkürzt werden durch die Anerkennung eines palästinensischen Staats.
Einmalig ist das in dem Sinn, als dieser Staat nur als Idee, nicht aber in der Realität besteht – auch wenn die Palästinensische Befreiungsorganisation, die PLO, schon 1988 eine Unabhängigkeitserklärung veröffentlicht hat. Israel nahm das zunächst nicht zur Kenntnis, aber 1993, durch die so genannten Oslo-Verträge (Yassir Arafat und Yitzhak Rabin wurden danach mit dem Friedens-Nobelpreis ausgezeichnet) kam die Wende – die PLO rang sich zur Anerkennung Israels durch, Israel allerdings lediglich zur Anerkennung der PLO als Interessenvertretung der Palästinenser. Die Bereitschaft zu Gesprächen über die Schaffung eines palästinensischen Staats erstarb allerdings schon bald: Rabin wurde ermordet, Benjamin Netanjahu wurde 1996 zum ersten Mal Regierungschef – und vom ersten Tag an machte er klar, dass er es als seine vorrangige Aufgabe sah, einen Palästinenserstaat zu verhindern. Die Spaltung der palästinensischen Führung in einen relativ gemässigten Fatah-Flügel und eine radikal-militante Hamas-Fraktion kam ihm zustatten, denn das garantierte genügend Zerstrittenheit bei den Palästinensern, um eine geradlinige Strategie in Richtung eines palästinensischen Staats an der Seite Israels zu torpedieren.
Geänderte Stimmungslage
International entwickelte sich die Frage Ja oder Nein zu einem Palästinenserstaat entlang von Linien der Geopolitik: Solange es den Ostblock unter der Führung Moskaus gab, entschlossen sich die meisten Länder hinter dem Eisernen Vorhang für die Anerkennung. Parallel dazu verlief die Entwicklung, mit wenigen Ausnahmen, im so genannten Globalen Süden – man verfiel dem Narrativ, dass Israel eine Kreation des Westens, also eine Variante des Kolonialismus, sei. Der Westen stemmte sich, mit der Ausnahme Schwedens (Anerkennung im Jahr 2014) dagegen – bis sich die Stimmungslage als Folge des Gaza-Kriegs zu ändern begann.
Die Anerkennung durch Spanien, Irland und Norwegen hat lediglich Signal-Charakter. Sie ist ein Zeichen dafür, dass die gegenwärtige Regierung Israels im Westen massiv an Solidarität verliert, dass sie Gefahr läuft, breitflächig in Isolation zu geraten. Ob und wie lange sie sich das leisten kann? Wenn Benjamin Netanjahu sich dazu äussern würde, dann (pardon für den zynischen Unterton dieser Anmerkung) würde er wohl sagen: Kein Problem, so lange die USA an meiner Seite stehen …