Als der Saudi vor einem Jahr gestellt wurde, waren es diese Poster, die junge Leute am Times Square begeistert über ihren Köpfen schwangen. Aber es war bei Bin Laden nicht anders als schon bei Jesse James und all den anderen Outlaws des Wilden Westens: Auf einer Suchliste zu erscheinen, war ein ‚Image Booster‘. Allemal in Pakistan, wo Osama in Meinungsumfragen regelmässig die Beliebtheitsliste anführte, weit vor seinem Beinahe-Namensdoppel in Washington, sogar vor dem Armee-Chef des Landes.
Nun hat die PR-Abteilung des amerikanischen Aussenministeriums einem weiteren Outlaw den Gefallen getan. Hafiz Saeed wird mit einer Kopfprämie von zehn Millionen Dollar zwar nur halb so hoch bewertet wie sein Guru. Die Texter in Washington haben die simple Botschaft – ‚Dead or Alive‘ – zudem bürokratisch verdrechselt und sprechen die Preissumme nun einer Person zu, „die Angaben liefert, die der Festnahme von Hafiz Saeed dienlich ist“. Doch schon hat sich eine Person gemeldet, die bereit ist, die geforderten Informationen zu liefern.
Den USA die lange Nase gezeigt
Der Mann ist zudem eine gute Quelle für allerlei Wissenswertes über den Gesuchten – es war Saeed selber, der Gründer der Terror-Organisation ‚Lashkar e-Toyba‘, der das Preisgeld einforderte. Bei einer Veranstaltung in Rawalpindi, die man nicht anders als Gratulationscour für die Ehre der steckbrieflichen Ausschreibung bezeichnen kann, appellierte er an die US-Behörden, doch bitte mit ihm Kontakt aufzunehmen; er sei ihnen gern behilflich, sie über seine ‚Whereabouts‘ auf dem Laufenden zu halten.
Anspielend auf das Diktum von Sheriff Bush, dass man die Terrorgesellen in ihren Höhlen und Schlupflöchern ‚ausräuchern‘ werde, sagte Saeed: „Ich verstecke mich nicht in Höhlen und Bergen. Ich bin hier in Rawalpindi. Die USA können sich mit mir jederzeit in Verbindung setzen“.
Uncle Sam war nicht der Einzige, dem einer der meistgesuchten Terroristen des Erdballs die lange Nase zeigte. Mit der Garnisonsstadt Rawalpindi hatte Saeed den Ort seines Auftritts sorgfältig gewählt. Denn er fand - was für ein Zufall! - im alten ‚Flashman’s Hotel‘ statt, direkt gegenüber dem Eingang des Hauptquartiers der pakistanischen Armee und dem Büro des starken Manns des Landes, General Parvez Kayani. Das charmant heruntergekommene Kolonialhotel, früher eine beliebte Absteige für uns Delhi-Korrespondenten, hatte bereits einmal als idealer Aussichtspunkt der Fernsehkameras gedient. In einem Fedayin-Angriff, der jedem Western gut anstehen würde, waren ‚Jehadis‘ im Oktober 2009 ins ‚GHQ‘ eingedrungen, hatten die Wachen erschossen, Geiseln genommen und sich im Innern, in Sichtweite von Kayanis Arbeitsplatz, verschanzt. Stunden danach – und lange Fernseheinstellungen später – wurden sie schliesslich liquidiert. Bis heute darf man darüber spekulieren, wer eigentlich hinter dem Angriff stand – Al-Kaida, pakistanische Taliban, afghanische Taliban, Panjabi-Jehadis, oder ein Gemisch von allen?
Wadenbisse gegen Uncle Sam
Vielleicht war sogar die ‚Lashkar al-Toyba‘ mit von der Partie gewesen, keine abwegige Hypothese, da zu den Verurteilten auch ehemalige Mitglieder des militärischen Geheimdienstes ISI gehörten. Und dass die ‚LeT‘ zum ISI exzellente Beziehungen pflegt, ist nicht nur kein Geheimnis, sondern ein sorgfältig verbreitetes Gerücht. Dessen Hauptzweck liegt darin, der pakistanischen Öffentlichkeit zu versichern, dass Hafiz Saeed und seine Organisationen ein nationaler ‚Asset‘ sind. Natürlich kommt diese Botschaft auch in Washington und in Delhi an. Die indische Regierung hat überwältigende Indizien zusammengetragen, dass beim blutigen Spektakel der Anschläge in Mumbai von 2008 (‚26/11‘) ein enger Mitarbeiter Saeeds Regie geführt hatte. Damals, im Jahr 2008, hatte Saeed seine Organisation offiziell bereits aufgehoben, um der pakistanischen Regierung rote Gesichter zu ersparen. Er landete im Hausarrest, der später zur Verhaftung aufgewertet wurde, wohl deshalb, um ihn besser vor möglichen Attentätern zu schützen, sei es aus der Küche der CIA, oder des indischen Geheimdienstes. Und als sich der Sturm um 26/11 gelegt hatte, wurde die Verhaftungs-Charade vom Obergericht in Lahore aufgehoben. Es taxierte die vom Staatsanwalt vorgebrachten Verhaftungsgründe als unzureichend und sprach ihn frei. Auch die Nachfolge-Organisation der LeT, eine ‚Wohlfahrtseinrichtung‘ namens ‚Jamaat ud-Dawa‘, solle in Ruhe gelassen werden. Es war einer der vielen kleinen Wadenbisse gegen Uncle Sam, der den ‚strategischen Partner‘ daran erinnern sollte, was man von dessen Einstufung der ‚Dawa‘ als Terror-Organisation hält.
Saeeds Tod würde ihn zum Märtyrer machen
Warum diese selbstmörderische Umarmung eines Manns und seiner Organisationen? Ist es der Sterbewunsch eines zerrütteten und schizophrenen Staats? Schizophren durchaus, aber dennoch nicht ohne Logik. Denn der westlich dominierte Diskurs des ‚Kriegs gegen den Terror‘ verdeckt oft den Blick dafür, dass dieser Krieg in Pakistan unter anderen Prämissen geführt wird: Es ist die Auseinandersetzung zwischen zwei Ideen des Islam, dem nationalistischen Islam des Staats Pakistan und einer radikalen Ideologie, die zwischen apokalyptischen Visionen und Millenarismus schwankt. Die erste hat sich in den sechzig Jahren ihrer Staatlichkeit verbraucht, hat die Gesellschaft arm und feudal belassen, den Staat intellektuell und materiell korrumpiert. Daher werden Pakistaner zunehmend anfällig für radikale anti-staatliche Lösungsangebote, auch wenn sie in ihrer grossen Mehrheit diesen noch misstrauen.
Es wäre ein Leichtes für das pakistanische Establishment, Hafiz Saeed zu beseitigen. Aber sein Tod würde nur einen Märtyrer schaffen und seinen Organisationen Auftrieb geben, namentlich in den unteren Offiziersrängen der Armee, die ohnehin schon ideologisiert sind. Deshalb hat sich der Staat mit Saeed arrangiert: Er schützt ihn vor CIA-Kugeln, dafür lässt sich Saeed dazu herbei, sich bei der Wahl seiner Zielscheiben ‚beraten‘ zu lassen, und wenn nötig als verlängerter Arm des Staats auf die noch radikaleren Gruppierungen im Kaida-Umfeld einzuwirken. Saeed weiss, was er wert ist, und er hört das Zähneknirschen, wenn er von politischen Parteien hofiert wird. Als die Regierung ihn vergangene Woche bat, seine Auftritte aus Sicherheitsgründen zu begrenzen (sprich: Attentatsversuche zu vermeiden) wies er dies entrüstet zurück.
Besser ein unsicherer Partner als ein unerbittlicher Feind
Amerikanische Attentatsversuche? Kaum, denn so dumm sind die Amis nicht. Mit dem ‚WANTED‘-Steckbrief spielt die Obama-Administration vielleicht den Sheriff, aber sie zielt damit eher auf die immer konservativere Öffentlichkeit zuhause, die Ende Jahr an die Urnen geht. Washington weiss, was für ein unsicherer Kampfgenosse Pakistan ist, aber es weiss auch, dass er dies mehr aus Schwäche denn aus freier Wahl ist. Und es ist immer noch besser, einen unsicheren Partner als einen unerbittlichen Feind zu haben. Sei’s drum, wenn die unheilige Allianz zwischen Kayani und Saeed ausgerechnet auf dem Boden des gemeinsamen Anti-Amerikanismus zelebriert wird. Und was wäre naheliegender, als diesen Boden mit einem Steckbrief gegen den populären Saeed zu zementieren