Das «System Oslo» zwingt die PA (Palästinensische Autorität) zur Sicherheitskooperation mit Israel, sprich zu Polizeidiensten für die israelische Besatzung. Ziel dieser Sicherheitskooperation und damit Aufgabe der palästinensischen Sicherheitsdienste ist die Kontrolle jeglicher Opposition gegen die Besatzung. Dies führt zwangsläufig zum permanenten Konflikt mit anderen politischen Parteien und Organisationen in den besetzten Gebieten, an erster Stelle mit der grössten politischen Bewegung, der Hamas.
Innerpalästinensische Konflikte wegen «System Oslo»
Dieser Konflikt ist systemisch bedingt und dem System Oslo immanent. Ein kurzer Blick auf die innerpalästinensischen Beziehungen verdeutlicht dies. Alle palästinensischen Organisationen, allen voran die Fatah und die Hamas, hatten sich 2003, am Ende der Zweiten Intifada, für den Primat der Politik entschieden. Auf dieser Grundlage konnte zu einer Periode von Wahlen in den besetzten Gebieten übergeleitet werden: Lokalwahlen 2004 bis 2005, im Januar 2005 Wahl eines neuen Präsidenten nach dem Tod Yasir Arafats und schliesslich Parlamentswahlen im Januar 2006.
Direkt nach den Parlamentswahlen, die von der Hamas gewonnen wurden mit einem Wahlprogramm, das für die 1967 besetzten Gebiete Ost-Jerusalem als Hauptstadt vorsah, einem Wahlprogramm, in dem die Anerkennung Israels implizit enthalten war, begann der dem System Oslo immanente Konflikt zu greifen. Die Fatah weigerte sich, einer von der Hamas angebotenen Regierung der nationalen Einheit zuzustimmen. Stattdessen nahm sie unter Führung von Mohammed Dahlan geheimdienstlich-militärische Vorbereitungen für einen Coup gegen den Wahlsieger Hamas auf, initiiert und uneingeschränkt unterstützt durch die USA. (7)
Sabotierung möglicher Kompromisse
Alvaro de Soto, der UN-Sondergesandte für den Nahost-Friedensprozess in Palästina, deckt dies in seinem Abschlussbericht am Ende seiner Amtszeit in unverblümter Sprache auf (8): «Ich möchte betonen, ....dass eine Regierung der nationalen Einheit mit einem Kompromissprogramm schon kurz nach den Wahlen, im Februar oder März 2006, möglich gewesen wäre, wenn die USA das Quartett nicht dazu gebracht hätte, unerfüllbare Forderungen zu stellen und eine Regierung der Nationalen Einheit prinzipiell abzulehnen.» (10)
Statt einer Regierung der nationalen Einheit waren die Monate direkt nach den Wahlen von blutigen Kämpfen zwischen Fatah und Hamas bestimmt, die schliesslich zur Teilung der besetzten palästinensischen Gebiete in einen von der Hamas kontrollierten Gazastreifen und eine von der Fatah kontrollierte Westbank führten. Eben damit aber wurde die 1948 durch die zionistische Bewegung bzw. durch den 1948 entstandenen Staat Israel eingeleitete palästinensische Fragmentierung weiter vertieft, inzwischen jedoch durch die palästinensischen Akteure selbst, die ihre je eigenen Interessen zu verfolgen meinten.
Israel erstickt Ansätze zur Versöhnung
Dennoch gab es immer wieder Anläufe in der palästinensischen Politik, massiv unterstützt aus der Gesellschaft, eine politische Kehrtwende zu unternehmen. Alle israelischen Regierungen erstickten jedoch schon im Ansatz jeden palästinensischen Versuch der Aussöhnung und der Überwindung dieser allen palästinensischen Interessen entgegenstehenden Teilung. Mittel dazu und Ziel war und ist die Zementierung und Expansion der kolonialistischen Siedlungspolitik, sprich Verhinderung eines palästinensischen Staates, uneingeschränkt unterstützt aus den USA, und nie entschieden genug kritisiert aus Europa.
Ein sehr bald völlig durchsichtiger Mechanismus entstand: Sobald sich die palästinensischen Parteien auf einen Einigungsprozess verständigt hatten, kam unweigerlich der massive Druck aus Tel Aviv, sich zu entscheiden zwischen «Terror», sprich Aussöhnung und Einigung mit der Hamas einerseits, und dem sogenannten Friedensprozess mit Israel andererseits. Dem folgte ebenso unweigerlich der Aufruf aus Washington, einer neuen von den USA initiierten Verhandlungsrunde zuzustimmen, die wie alle vorherigen in kürzeren oder längeren Abständen scheiterten, weil Israel nie bereit war, auch nur einen ersten Schritt in Richtung Implementierung einer Zweistaatenlösung zu gehen.
Sprengen Palästinenser das «System Oslo»?
Das Scheitern der Kerry-Initiative nach monatelangen ergebnislosen Verhandlungen vom Sommer 2013 bis zum Frühjahr 2014 führte zu einer völlig neuen Konstellation. Die Palästinenser, angeführt von Fatah unter Mahmud Abbas und Hamas unter Ismail Haniyeh, einigten sich auf eine Regierung der Nationalen Einheit, die im Mai 2014 vereidigt wurde und ihre Arbeit aufnahm. Zum ersten Mal seit dem Beginn des Osloer Prozesses waren die USA bereit, diese Regierung, eine Regierung von Technokraten ohne Vertreter der Fatah oder der Hamas, zu dulden, während die EU eine direkte Kooperation in die Wege leitete.
Die systematische Weigerung der israelischen Regierung, ihre Siedlungspolitik zu stoppen, wurde erstmals seitens der USA als der wichtigste Grund für das Scheitern jeglicher Versuche, in Richtung Lösung des Konfliktes zu gehen, benannt. Vor diesem Hintergrund blieb auch einem fast obsessiv auf Verhandlungen mit Israel versessenen Politiker wie dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas keine andere Alternative, als einen neuen Kurs einzuschlagen. Die PA unter seiner Führung einigte sich mit der Hamas auf die Regierung der Nationalen Einheit, die bis dato hält. Parallel dazu betrieb er die Mitgliedschaft Palästinas in mehreren UN Organisationen.
Wie ist dieser neue Kurs seitens der palästinensischen Politik einzuschätzen? Sind die Palästinenser, ist vor allem die PA in Ramallah unter Mahmud Abbas bereit, die Fesseln des Systems Oslo zu sprengen?
Was führte zur palästinensischen Einheitsregierung?
Die entscheidende erste Frage, die zu stellen ist, betrifft die Motive, die einerseits die Hamas, andererseits die Fatah/PA in Ramallah zur Einwilligung in eine Regierung der Nationalen Einheit führten.
Die Antwort fällt leicht, wenn die Entscheidung von Mahmud Abbas beleuchtet wird. Das Scheitern der Kerry-Initiative, die unerbittliche Expansion des kolonialistischen Siedlungsprojektes und die kontinuierliche Gewalt der israelischen Besatzung liessen Abbas keine Alternative. Offen bleibt, wie die politische Wende in Ramallah zu bewerten ist. Wird Ramallah am gewählten Kurs festhalten, oder wartet Abbas, wie schon oft in der Vergangenheit, auf ein – noch so schwaches – Signal aus Tel Aviv, um erneut in eine weitere, aller Voraussicht nach zum Scheitern bestimmte Verhandlungsrunde einzutreten?
Gegen den Internationalen Gerichtshof Den Haag
Zwei Entscheidungen Ramallahs verdeutlichen, auf welch tönernen Füssen der neue Kurs bisher steht. Abbas unterzeichnete zwar eine Reihe von Aufnahmeanträgen in internationale Organisationen. Die entscheidende und in eine neue Richtung weisende Unterschrift fehlt jedoch, die Unterzeichnung des Rom-Statuts und damit die Mitgliedschaft im Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Trotz massivem Druck aus der palästinensischen Zivilgesellschaft sowie inzwischen von allen palästinensischen Parteien (11) ist Abbas mit seiner Fatah bis dato nicht zu einer Unterschrift bereit.
Entgegen den öffentlichen Erklärungen von Aussenministers Riad al-Malki, er arbeite für die Unterzeichnung des Rom-Statuts, um Israel vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anzuklagen, zeigt ein Brief der Staatsanwaltschaft des Strafgerichtshofs, dass die PA nicht bereit war, eine in Den Haag vorliegende Klage aus Gaza als offizielle palästinensische Klage zu deklarieren und damit den juristischen Prozess in Gang zu setzen. Die Elite um Abbas will den internationalen Strafgerichtshof meiden, wie Interna aus einer PLO-Exekutivkomiteesitzung demonstrieren.
Noch problematischer ist das Festhalten von Abbas an der für das Fortbestehen des Systems Oslo zentralen Sicherheitskooperation mit Israel. In einer Rede vor israelischen Friedenskräften in Ramallah betonte er die Relevanz der Sicherheitskooperation, die er als «heilig» bezeichnete. (12)
An zwei Testfällen ist die Problematik der innerpalästinensischen Kooperation zu verdeutlichen, einmal an der Entführung von drei jugendlichen Siedlern im Westjordanland im Juni 2014, zum anderen an Israels drittem Krieg gegen Gaza unter der Hamas im Sommer (Juli - August) 2014, im israelischen Diskurs verniedlichend und verharmlosend «Operation Protective Edge» benannt.
Notstand der Hamas
Zunächst müssen aber die Motive der Hamas für die Zustimmung zur Regierung der Nationalen Einheit und zur Zusammenarbeit mit der PA in Ramallah untersucht werden.
Entscheidend scheint die veränderte regionale Situation gewesen zu sein, die prekäre Lage der Muslimbrüderschaft nur drei Jahre nach ihren Wahlerfolgen überall in Nordafrika, an erster Stelle der Militärcoup in Ägypten gegen die Regierung der Muslimbrüderschaft unter Präsident Mursi. Zum ersten Mal seit dem Wahlsieg der Hamas (die ja ihre Wurzeln in der Muslimbrüderschaft hat) in Palästina 2006 und des Beginns ihrer alleinigen internen Kontrolle über Gaza im Juni 2007 waren die Grenzen nicht nur zu Israel im Osten und Norden, sondern auch zu Ägypten im Süden fast hermetisch abgeschlossen.
Damit war der gesamte Gazastreifen im Würgegriff nicht nur Israels, sondern auch, und sehr viel nachhaltiger, Ägyptens. Der lebensnotwendige Tunnelhandel in Rafah kam fast vollständig zum Erliegen. Das Land, die gesamte Gesellschaft, jeder einzelne der dort lebenden Menschen, stand vor einer wirtschaftlichen Katastrophe und damit verbunden einem regelrechten politischen Notstand der Hamas.
Einheitsregierung als Ausweg für Hamas?
Die Öffnung nach Ramallah und zur Fatah bot einen Ausweg an. Die Regierung der Nationalen Einheit sollte den ersten Schritt bilden. Unklar bleibt dabei, ob die Hamas die neue Situation in Ramallah nach dem Scheitern der Kerry-Initiative und der weitverbreiteten Frustration und Skepsis der palästinensischen Gesellschaft mit «Friedensverhandlungen» und dem Kurs von Mahmud Abbas als Chance sah, gemeinsam mit Ramallah aus dem System Oslo auszubrechen. Wir wissen auch nicht, ob schon eine zukunftsträchtige neue Widerstandsstrategie in der Diskussion stand oder eine solche Diskussion aufgenommen werden sollte.
Eine wichtige Frage muss an diesem Punkt zumindest gestellt werden, auch wenn eine Antwort derzeit kaum möglich erscheint: War im politischen Kalkül der Hamas schon eine militärische Auseinandersetzung mit der israelischen Besatzung, und damit unzweifelhaft ein Sprengen der Fesseln von Oslo angelegt? Der offensichtlich schon seit Jahren intensiv und systematisch betriebene Ausbau des militärischen Tunnelsystems unter dem Gazastreifen und an den Ost-und Nordgrenzen zu Israel könnte darauf hindeuten.
In dieselbe Richtung deuten die militärischen Vorbereitungen auf eine neue Runde von Auseinandersetzungen mit Israel sowohl hinsichtlich der Bewaffnung als auch der militärischen Strategie der Hamas. Rechnete also die Hamas mit einem neuen Krieg Israels gegen Gaza und bereitete sie sich darauf vor? War der Eintritt in die Regierung der Nationalen Einheit ein Versuch, die Fatah und die PA auf die Seite der Hamas zu ziehen, oder sollte lediglich Zeit gewonnen werden für die Vorbereitung auf den nächsten Angriff Israels?
Versuchte Sprengung der palästinensischen Einheit
Die Entführung und Ermordung von drei jugendlichen Siedlern im Süden der besetzten Westbank ist ein erster Testfall. Sie geschah in der Nähe von Hebron in einem Gebiet unter voller militärischer Kontrolle der Besatzungsarmee und gab der Regierung Netanjahu die lang erhoffte Chance, einen massiven Schlag gegen die Hamas im Westjordanland zu führen und damit gleichzeitig einen ersten Schritt zur Untergrabung der Regierung der nationalen Einheit zu tun.
Tel Aviv hoffte, dass die Gewalt gegen die Hamas bei gleichzeitigem Festhalten Ramallahs an der Sicherheitskooperation mit Israel ein garantiertes Rezept für die Aufkündigung der neuen Regierung durch die Hamas sei. Tel Aviv verkalkulierte sich. Die Regierung der nationalen Einheit, die starken Rückhalt in der palästinensischen Bevölkerung hatte, konnte sich halten, führte aber zu einem weiteren Einbrechen der Unterstützung für Mahmud Abbas in der Westbank.
Geschwächt durch das Scheitern Kerrys, massiv kritisiert, wenn nicht schon als Karikatur seiner selbst angesehen, musste Abbas seit Juni um sein politisches Überleben kämpfen. Zum ersten Schritt aus Oslo heraus war er trotzdem nicht bereit. Weder gab er die Sicherheitskooperation auf noch unterschrieb er das Rom-Statut. Stattdessen hielt er sich an die roten Linien, die von den USA gesetzt waren.
Der Gazakrieg als Testfall
Der Krieg Israels gegen Gaza, als Krieg gegen die «terroristische» Hamas deklariert, in Wirklichkeit ein gnaden- und rücksichtsloser Krieg gegen die gesamte palästinensische Gesellschaft in Gaza, forderte die neue politische Einheitsfront der Palästinenser, vor allem Abbas‘ PA in Ramallah, heraus. Würde sie bestehen können? Würde sie auch die Zeit nach dem Krieg, die Verhandlungen für Übergangslösungen, für einen Wiederaufbau des zerstörten Gazastreifens überstehen können und wollen? (13)
Zwei zentrale Probleme warten auf eine Lösung:
- Die Bezahlung der Angestellten der Palästinensischen Autorität in Gaza, die 2006/7 von der Hamas-Regierung eingestellt werden mussten wegen der Arbeitsverweigerung der alten PA Angestellten, die Abbas angeordnet hatte.
- Die Verhandlungen mit Israel über die Aufhebung der Blockade von Gaza und die Frage, ob die von Abbas ausgesprochene Drohung, die Sicherheitskooperation mit Israel aufzukündigen und in der UN ein Ende der Besatzung einzufordern, falls Israel sich weiterhin weigere, einen palästinensischen Staat zu akzeptieren, ernst gemeint sei. (14)
Machtkampf zwischen Hamas und Fatah
Heute, nur wenige Wochen nach Kriegsende, sind die Palästinenser weiter denn je von einer Lösung entfernt. Der Konflikt zwischen Fatah und Hamas eskaliert tagtäglich. Dazu haben sicher von israelischen Sicherheitskreisen lancierte Informationen über die angebliche Vorbereitung eines Coups der Hamas gegen die PA in Ramallah beigetragen. Es scheint, dass Abbas den israelischen Informationen Glauben schenkt und nicht der Version der Hamas folgt, dass dies ein weiterer, fast schon verzweifelter israelischer Versuch sei, die Regierung der nationalen Einheit zu untergraben.
Im Mittelpunkt der palästinensischen Politik steht statt der Zukunft des Gazastreifens und der Zukunft Palästinas, statt der palästinensischen Forderungen nach Ende der Besatzung, nach Freiheit und nach politischer Unabhängigkeit, wieder der Machtkampf zwischen Fatah und Hamas.
In ihrem Versuch, sich gegen die wachsende Popularität der Hamas zu behaupten, greift die Fatah zu einer Polemik, die in der Geschichte innerpalästinensischer Konflikte wohl ohne Präzedenzfall ist. Fatah- und PA-Vertreter machen nicht Israel, sondern die Hamas für den Krieg Israels gegen Gaza verantwortlich. Abbas wirft der Hamas vor, die Westbank zerstören zu wollen, Chaos zu schaffen, um aus diesem Chaos heraus einen Coup gegen die PA durchzuführen. Ein offizieller Vertreter der Regierung der Nationalen Einheit geht so weit, die Hamas nicht mehr als Palästinenser zu betrachten. (15) – Das System Oslo greift also nach wie vor sehr wirkungsvoll.
Militante palästinensische Öffentlichkeit
Die palästinensische Öffentlichkeit hat derweil klar Position bezogen. Laut einer Umfrage von Ende August bis Anfang September 2014 (16) sind 53 Prozent der Bevölkerung der Meinung, dass bewaffneter Widerstand der effizienteste Weg zu einem palästinensischen Staat sei. Nur 22 Prozent betrachten Verhandlungen als den besten Weg, während 20 Prozent friedlichen Massenwiderstand bevorzugen.
86 Prozent sprachen sich für Raketenangriffe aus Gaza auf Israel aus, solange Israel die Blockade Gazas nicht beende. 79 Prozent halten Israel für verantwortlich für den Ausbruch des Krieges, und ebenso viele meinen, dass Hamas den Krieg gewonnen habe.
Diese Einstellungen resultieren in einer klaren Umkehr in den seit 2007 dominanten politischen Positionen. Zum ersten Mal würde Ismail Haniyeh, der 2006 gewählte und 2007 von Abbas abgesetzte Premierminister, Präsidentschaftswahlen gegen Mahmud Abbas mit einer klaren Mehrheit gewinnen: 61 Prozent gegenüber 32 Prozent im Jahr 2006. In Parlamentswahlen würde die Hamas 46 Prozent der Stimmen erhalten, während nur 31 Prozent die Fatah wählen würden.
83 Prozent der Bevölkerung wollen, im Gegensatz zu Fatah und zur Regierung in Ramallah, die Gehälter der Angestellten in Gaza, die von der abgelösten Hamas-Regierung eingestellt worden waren, durch die Regierung der nationalen Einheit bezahlen lassen. Eine zentrale Rolle wird für die Regierung der nationalen Einheit sowohl für die Kontrolle der Grenzübergänge (51 Prozent) als auch für den Wiederaufbau in Gaza (44 Prozent) gefordert. Überhaupt ist der Optimismus in der Bevölkerung im Hinblick auf eine Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas und ein Ende der Teilung enorm angestiegen auf 69 Prozent. 60 Prozent sprechen sich anstelle der derzeitigen Technokratenregierung sogar für eine Einheitsregierung aus, die von Fatah und Hamas gebildet ist.
Wie weiter nach dem Krieg gegen Gaza?
Wo steht heute die palästinensische Politik mit ihren beiden wichtigsten Repräsentanten Fatah und Hamas? Wo steht die palästinensische Öffentlichkeit? Wird bzw. kann Israel das «System Oslo» aufrecht erhalten? Wer auf der palästinensischen Seite ist bereit und in der Lage, dieses System zu zerschlagen bzw. aus ihm auszubrechen?
Mahmud Abbas und seine politische Elite in Ramallah scheinen so im System Oslo gefangen, dass von ihnen keine zukunftsweisenden Schritte zu erwarten sind. Sie werden im Gegenteil alles tun, ein System zu erhalten, von dessen Pfründen sie seit 1993 vor allem finanziell profitiert haben. Die Hamas dagegen versucht die Fesseln des Systems mit militärischem Widerstand zu sprengen. Gleichzeitig zeigt sie die Bereitschaft, eine Zwei-Staaten-Lösung zu akzeptieren und innerhalb dieses Rahmens zu agieren.
Die palästinensische Öffentlichkeit unterstützt die Hamas auf ihrem Kurs. Bis dato konnten damit jedoch keine wirklichen Erfolge erzielt werden. Dazu fehlen die Bereitschaft und die Fähigkeit der palästinensischen Gesellschaft, sich einzubringen in einen gewaltlosen Massenwiderstand und Aufstand, der allein das System Oslo zerschlagen könnte. Ein Weg dahin könnte über die Stärkung der BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) gehen, die inzwischen auch in den Besetzten Gebieten immer stärker angewandt wird mit einem Boykott israelischer Waren, die den palästinensischen Markt seit 1967 dominiert haben.
Prof. Dr. Helga Baumgarten lehrt seit 1993 an der Bir Zeit Universität bei Ramallah im Westjordanland. Ihre neueste Publikation: Kampf um Palästina. Was wollen Hamas und Fatah? Herder-Verlag Freiburg-Basel-Wien 2013
Der Beitrag erschien erstmals im Herbst 2014 in der in Berliner Zeitschrift Inamo, «Informationsprojekt für den Nahen und Mittleren Osten». Die Publikation erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Inamo-Redaktion.
Anmerkungen:
(8) David Rose: The Gaza Bombshell, Vanity Fair, April 2008:
(9) Helga Baumgarten: Kampf um Palästina, Freiburg 2013, 155-157
(10) De Soto Bericht von 2007, S.21, zitiert nach Baumgarten (Anm. 9, S.157)
(11) Umfrage-Ergebnis per August 2014: 84 Prozent der Palästinenser wollen eine Unterzeichnung (siehe Anm. 16).
(12) Amira Hass: Haaretz, 8.7.2014
(13) Protokoll des Treffens Abbas-Meshaal in Qatar in al-Akhbar, 5.und 6.9.2014: http://english.al-akhbar.com/print21402
(14) Dazu im Detail die Qatar-Protokolle in al-Akhbar
(15) Al-Akhbar (Qatar-Protokolle), Fatah-Sprecher Ahmed Assaf in al-Mayadeen am 30.8.2014, sowie Rede eines PA-Offiziellen auf dem PASSIA Seminar am 9.9.2014 in Ost-Jerusalem, das die Autorin besuchte.
(16) PSR Special Gaza War Poll