Orgelpfeifen, Raketen, Fotografie: Die österreichische Künstlerin VALIE EXPORT (*1940) zeigt in Bregenz eine hochaktuelle neue Arbeit. Das Fotomuseum stellt sie als Multimedia-Künstlerin vor.
Der Erdgeschoss-Raum des Kunsthauses Bregenz wirkt gross, weit und hell. Der dunkle Boden glänzt, ebenso die geschliffenen Betonwände. Gegen den See hin dringt Licht durch die Glaswand. Der Atem kann sich hier frei entfalten. So wirkt die Architektur Peter Zumthors seit der Eröffnung des Kunsthauses im Jahr 1997: Ein guter Ort für die Installation der österreichischen Künstlerin VALIE EXPORT mit dem Titel «Oh Lord, Don’t Let Them Drop That Atomic Bomb on Me». Das ist ein 1961 entstandener Song des 1979 verstorbenen Kult-Jazzmusikers Charles Mingus. Der Song, der die wenigen Worte als angstvolles und einer tiefen Verzweiflung entspringendes Gebet ständig beschwörend wiederholt, erfüllt den Raum. Er erklingt in einer von Peter Madsen arrangierten Fassung, die Madsen und sechs weitere Musiker spielen. Madsen war zeitweise Mitglied der Charles Mingus Band.
Der Song, der rasch Kult wurde, entstand zur Höhepunkt-Zeit des Kalten Krieges und er thematisiert die Urangst vor atomarer Bedrohung. VALIE EXPORT, 83-jähriges weltbekanntes «Urgestein» feministischer Kunst, nimmt das Thema auf und installiert die ausgebauten Pfeifen einer Orgel aus ihrer Linzer Heimat so im Parterre-Raum des Bregenzer Kunsthauses, dass die Ambivalenz der Pfeifen-Form verstörend zum Ausdruck kommt. Einerseits ist die Orgel Botschafterin des Friedens. Eine Pfeife aus dem 18. Jahrhundert ist denn auch mit Musiknoten beklebt; zu sehen sind ein paar Noten, lesbar ist nur das Wort «Dona», was im kirchlichen Kontext der Orgel für den Anfang der Friedensbitte «Dona nobis pacem» steht: Die vielstimmige Orgel als Friedensinstrument, als Metapher für den gemeinsamen vielstimmigen Einsatz für den Frieden in Harmonie und Eintracht und gegen die vorlaute Macht des Einzelnen.
Doch die Form der Pfeifen ruft auch nach anderen Deutungen: Zwölf Pfeifen bündelte VALIE EXPORT und richtete sie so aufwärts, dass wir unwillkürlich an die «Stalinorgel» denken. Einige kleine Pfeifen stehen gebündelt in der Raummitte. Sie könnten gefährliche Geschosse sein. 15 grosse Pfeifen hängen frei im Raum. Die Spiegelung im Boden führt zu ihrer Verdoppelung. An einer Wand sind Holzpfeifen so präsentiert, als bilden sie einen Altar. Zumthors Raum wird, mit den hängenden Pfeifen als Pfeiler und der Erinnerung an den Altar, zum profane Kirchenraum, aber auch zum Raum der Widersprüche: hier die Bedrohung durch Raketen und Geschosse, dort die Harmonie. Die Orgelpfeifen stehen für beides. Und sie stehen überdies für die menschliche Stimme, für lebenswichtige organische Vorgänge wie das Atmen und für Luft und Wind als verändernde Kräfte. So die Künstlerin in einem Gespräch mit Thomas D. Trummer, dem Direktor des Kunsthauses Bregenz.
VALIE EXPORTs «Tonskulptur» – so nennt sie ihre neue Arbeit; sie will nicht von einer «Installation» reden – ist von brennender Aktualität. Sie ist nicht das Ergebnis einer langen Planung. An ihrem Anfang stand ein spontaner Entschluss. Wohl fasste sie schon vor einiger Zeit eine skulpturale Arbeit mit den ausgedienten Orgelpfeifen ins Auge, doch konkret wurde das Vorhaben erst, als sich die Künstlerin im vergangenen Dezember mit Thomas D. Trummer traf. Da das Kunsthaus gegenwärtig die Lichtanlagen saniert und keine grossen Ausstellungen ausrichten kann, bot sich das freie Erdgeschoss für eine «Zwischenlösung» an. In Rekordzeit war das raumbezogene Konzept der «Tonskulptur» ausführungsreif. Nun nimmt sie mit der Präzision ihrer Setzung, aber auch mit Pathos und Emotionalität die Besucherinnen in Beschlag.
Die Marke EXPORT
VALIE EXPORT spielt im Kunsthaus Bregenz zahlreiche sich überlappende Facetten ihrer Kunst aus und fügt sie zu einem spannungsreichen Ganzen. Gleichzeitig stellt das Fotomuseum Winterthur die Künstlerin in einer Schau mit dem Titel «VALIE EXPORT – Die Fotografien» mit zahlreichen Werken vor allem der 1970er und 1980er Jahre vor. Die Ausstellung wird nach Winterthur, an die Albertina (Wien) und an die C/O Berlin (ein privates Ausstellungshaus für Fotografie in Berlin) reisen. Walter Moser von der Albertina kuratierte die von einem ausführlichen Katalogbuch begleitete Ausstellung.
Dass die Künstlerin ihren Namen stets in Grossbuchstaben schreibt und schreiben lässt, hat mit ihrer Biographie und ihrem Selbstverständnis als Medienkünstlerin zu tun: Im Alter von 27 Jahren löste sie sich von ihrer Herkunft. Sie erfand sich neu, gab sich einen neuen Namen und erklärte sich zur Marke. Sie illustrierte das mit dem Layout der österreichischen Smart-Zigarette: In einem Selbstportrait als rauchende Frau (1970) hält sie die Zigarettenpackung hoch. Darauf steht nun aber VALIE EXPORT statt original SMART EXPORT. Das erscheint beinahe subversiv und wie ein Schwimmen gegen den Strom: In den 1960er Jahren, als die revolutionäre Aufbruchsstimmung gegen alles antrat, was nach Kapitalismus roch, wählte sie für ihr Bild in der Öffentlichkeit ausgerechnet die plakative Sprache der Werbung – und erklärt sich vielleicht gar selbstbewusst (oder selbstironisch?) zu Österreichs Export-Artikel Nummer eins.
Das Bild in der Öffentlichkeit
Für dieses, ihr Bild in der Öffentlichkeit entwickelte sie ein besonderes Sensorium. Ihre damals Aufsehen erregenden und bald skandalisierten Aktionen und Performances in der Wiener Innenstadt wirkten spontan, doch VALIE EXPORT inszenierte sie präzise und liess sie nach ihrer eigenen Regie in Fotos festhalten. Die Bilder geben den flüchtigen Performances Dauer, sind aber zugleich eigenständige Werke, da die Aktionen oft auf die Fotografie hin inszeniert waren. Sie zeigen, wie VALIE EXPORT ihren damaligen Künstlerkollegen Peter Weibel wie einen Hund an einer Leine durch die Kärtnerstrasse führte («Aus der Mappe der Hundigkeit», 1968), oder wie sie sich, vor der nackten Brust einen Kasten mit Öffnungen, von Männern (wohl einer Art Schauspielern?) betasten liess («Tapp- und Tastkino», 1968). Die Bilder gingen um die Welt als beredtes Zeugnis für ein damals noch weitgehend neues und vor allem radikaleres feministisches Aufbegehren und Befragen der eigenen Rolle als Frau. Der effektvollen Selbstinszenierung bleibt sie bis heute treu: Es ist wohl kein Zufall, dass sie sich im Fotomuseum Winterthur für ihre Statements ausgerechnet vor ein grossformatiges Foto stellte, das ihren mit einem Strumpfband tätowierten nackten Oberschenkel zeigt («Body Sign Action», 1970). Für die Künstlerin ist das ein Exempel für die Rolle, welche die Gesellschaft der Frau zuweist, und für die Zwänge, denen ihre Geschlechtsgenossinnen unterliegen.
Nicht nur Feministisches
Die Rolle der Frau, das Bild der Frau in der Gesellschaft – das waren lange Jahre zentrale Themen im Schaffen von VALIE EXPORT. Mit ihren oft skandalträchtigen Selbstinszenierungen erreichte sie bald weit über die Grenzen Österreichs mit seinem eher reaktionären Kulturklima hinaus den Status einer Pionierin feministischer Kunst. Das Medium Fotografie und bald auch das Medium Video trugen zu ihrem internationalen Echo bei: 1977 war sie an der documenta 6 vertreten. 1980 gestaltete sie zusammen mit Maria Lassnig Österreichs Pavillon der Biennale Venedig, und 1982 hatte sie im Kunstmuseum Winterthur in der Ausstellung «Körperzeichen – Österreich» einen Auftritt. Diese Ausstellung thematisierte einen in der Kunst Österreichs seit Beginn des 20. Jahrhunderts, seit Egon Schiele, manifesten Körperbezug, der oft an Schmerzgrenzen rührt. VALIE EXPORTs Werk kann in dieser Tradition gesehen werden: Sie ritzte ihre Haut oder wälzte sich in Glasscherben. Sie liess Models Posen von Frauen auf berühmten Werken der Kunstgeschichte (Michelangelo, Botticelli, Rogier van der Weiden, Martin Schongauer) einnehmen.
Ging es dabei noch um Frauenrollen in der Gesellschaft, so gibt es auch zahlreiche Werke von VALIE EXPORT, denen ein kämpferisch-feministischer Hintergrund fehlt, und die sich mit dem weit verbreiten Zeitgeist der jungen Kunst der 1970er Jahre treffen: Es finden sich da Auseinandersetzungen mit der Landschaft und ihren Formen, mit Stadt-Architektur, als deren Teil sie sich begreift, um die Möglichkeiten der fotografischen Umsetzung räumlicher Situationen. Allerdings bringt sie auch hier ihre Person und meist auch ihren Körper – oder jenen weiblicher Models – ins Spiel.
Die Winterthurer Ausstellung fächert die Pionier-Jahre im Schaffen VALIE EXPORTs mit Fotografie, Video, Installation breit auf und macht damit auch deutlich, worin die «Tonskulptur» im Kunsthaus Bregenz letztlich gründet – im Sensorium für den Raum und seine Qualitäten, im Wissen um die Ambivalenz der Formen, im Erfahren organischer Vorgänge und im wachen Reagieren auf politische Gegebenheiten.
VALIE EXPORT (*1940, Linz), Medienkünstlerin, Performancekünstlerin, Filmemacherin, lebt und arbeitet in Wien. 1967 erfindet sie für sich den Namen VALIE EXPORT als künstlerisches Konzept und Logo. 2019 wird sie mit dem Roswitha Haftmann-Preis und 2020 mit der «Golden Nica», dem Prix Ars Electronica (Linz), ausgezeichnet. 2022 erhält sie den Max-Beckmann-Preis der Stadt Frankfurt.
Kunsthaus Bregenz. Bis 10 April.
Fotomuseum Winterthur. Bis 29. Mai. Katalog im Prestel-Verlag. 245 Seiten. 40 Franken.