Die Volksabstimmung in Ungarn gegen die Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen der Verpflichtungen gegenüber der EU endete ganz anders als von Viktor Orbán erwartet.
Viktor Orbán hat eine schallende Ohrfeige erhalten. Offensichtlich war er sich seiner Sache zu sicher, sonst wäre er das Risiko mit diesem Plebiszit nicht eingegangen.
Teuer und widerwärtig
Sein Referendum, mit welchem er das Volksplazet dafür wollte, dass Ungarn keine von der EU zugeteilten Flüchtlinge aufnimmt, hat das nötige Quorum der gültigen Wahlzettel von 50 Prozent nicht erreicht. Insgesamt gingen nur 38 Prozent gültige Stimmzettel ein, sieben Prozent der Wahlzettel waren ungültig, während 55 Prozent der Stimmberechtigten gar nicht an die Urne ging.
Mit diesem fraglos erfreulichen Ausgang war nicht unbedingt zu rechnen. Vor allem wenn man in Rechnung stellt, dass diese über Monate laufende Kampagne an die 50 Millionen Franken gekostet hat; ein erheblicher Teil davon waren Steuergelder. Orbán ging es um alles, seine ganze Ministerriege stand im Einsatz, Rieseninserate erschienen und die öffentlich-rechtlichen Medien orchestrierten eine antiislamische rassistische Kampagne. Wie wir Korrespondentenberichten entnehmen können, überbot sie an Widerwärtigkeit das, was wir von der SVP gewohnt sind, bei weitem. Orbáns Ungarn soll nur noch für das stehen, wofür Trump in den USA wirbt: weiss, männlich und ausschliesslich christlich. Anders als für die USA – und auch die Schweiz – ist eine islamfreie Gesellschaft für Ungarn keineswegs illusionär.
Prekäre Flüchtlingspolitik
An dieser deftigen Niederlage ändert nichts, dass 95 Prozent der gültigen Stimmzettel auf ein Nein zu einer Flüchtlingsquote der EU lauteten, jene, die an die Urne gingen, also praktisch alle keine Flüchtlinge wollen. Das Resultat insgesamt zu bewerten, erweist sich deshalb als äusserst schwierig.
Orbán tut nun natürlich so, als ob nichts geschehen wäre, und reklamiert eine überwältigende Mehrheit für sich. Er peilt nun offenbar eine entsprechende Verfassungsänderung an. Die Mitte-Links-Opposition sieht ihrerseits bereits Anzeichen einer Wende in Ungarn, was Kenner der Szene bezweifeln. Der TA-Media Korrespondent meint wohl zu Recht, Orbán habe eine Schlacht, nicht aber den Krieg verloren. Dieser Eindruck wird dadurch gestärkt, dass in absoluten Zahlen nun mehr Nein-Stimmen ergingen, als damals Ja-Stimmen für den EU-Beitritt. Allerdings hat die Rechte insgesamt gegenüber den letzten Wahlen in absoluten Zahlen nicht zugelegt, was bestimmt nicht dem Kalkül von Orbán entsprach.
An der prekären Situation der EU bezüglich ihrer Flüchtlingspolitik wird sich kaum viel ändern. Nicht nur Ungarn, sondern die Visegrad-Staaten insgesamt werden sich weiterhin sträuben, Flüchtlinge aufzunehmen. Zudem scheint sich die Donaumonarchie wieder zu finden, vor allem, wenn man dem österreichischen Aussenminister zuhört, der sich bei Anne Wills Talkshow wohlzufühlen scheint: Man nähert sich in einer restriktiven Asylpolitik immer näher an.
Islamfreie Staaten
Die EU wird ihre Quoten mithin kaum je durchsetzen können, so symbolisch sie auch sind. Dazu kommt: Angesichts der politischen Entwicklung in den meisten Visegrad-Ländern wird es immer schwieriger werden, Flüchtlingen überhaupt zuzumuten, in diesen Ländern zu leben. Es ist davon auszugehen, dass diese Staaten weitgehend islamfrei bleiben werden, was dem Selbstverständnis der EU gehörig widerspricht.
Als Gegenargument wird vorgebracht – dies ist auch das Lieblingsargument von Roger Köppel – wer diese Politik kritisiere, stelle sich zu Unrecht als moralisch hochwertiger dar. Das indessen ist Quatsch, denn es geht gar nicht um Moral. Diese Staaten sind freiwillig noch so gerne der EU beigetreten, weil sie davon wirtschaftspolitisch fraglos profitierten, und sind damit ebenso freiwillig Teil von Schengen und Dublin. Sie wollen aber auch wertemässig zur EU gehören, denn genau damit grenzen sie sich von Russland und ihrer aufoktroyierten Vergangenheit ab.
Inszenierte Zustimmungsrituale
Nun beweisen aber vor allem Ungarn, genauso Polen, dass sie es nicht so ernst meinen mit der Wertegemeinschaft, zu deren Bestandteil eine Asylpolitik zählt, die keine religiösen Restriktionen kennt. Wenn sich überdies Obergrenzen durchsetzen, ist das europäische Asylrecht tot. Mithin wird sich die EU, will sie auch als rechtsstaatliche Institution ernst genommen werden, dem schleunigst widersetzen müssen.
Die Niederlage Orbáns erfreut aber abschliessend aus einem noch viel profunderen Grund. Plebiszite, wie jenes des letzten Wochenendes in Ungarn oder im Juni über den Brexit in England, haben mit Demokratie nichts zu tun. Bei ihnen handelt es sich vielmehr um von der Macht inszenierte Zustimmungsrituale, die nun beide Male schief ausgingen. Im Gegensatz zu Cameron wird aber Orbán nicht zurücktreten, was eigentlich am Platz wäre. Wir warten gespannt auf das nächste Plebiszit, jenes in Italien.