Neben dem zurzeit alles in den Schatten stellenden Thema der Pandemie ist die Meldung fast untergegangen: Die britische Labour-Partei hat nach monatelanger Wahlprozedur einen neuen Chef. Er heisst Keir Starmer, ist 57 Jahre alt, Menschenrechtsanwalt und seit 2015 Mitglied des Unterhauses. Der Vorgänger Jeremy Corbyn hatte für Labour bei der Parlamentswahl vom vergangenen Dezember das schlechteste Ergebnis seit 85 Jahren geholt. Die wichtigste Oppositionspartei im Königreich war so gut wie tot.
Für die britische Politik des periodischen Wechsels zwischen (im Wesentlichen) zwei mächtigen, traditionsreichen und permanent rivalisierenden Parteien ist dies der schlimmste Zustand, der sich denken lässt. Eine glaubwürdige Gegenkraft zur jeweils herrschenden Partei ist der Sauerstoff für die Demokratie in diesem Westminster-System, das den Wahlsiegern grosse Machtbefugnisse gibt.
Labour ist zerstritten. Mit Corbyn war die etatistische klassenkämpferische Linke an der Macht. Die sozialdemokratische Fraktion hatte kaum Einfluss, was einer der Gründe für die vernichtende Wahlniederlage vom Dezember war. Mit der Wahl Starmers hat sich das Blatt gewendet: Er steht für eine gemässigte Linkspolitik. Wie diese konkret aussehen wird, verrät seine Laufbahn allerdings nur andeutungsweise.
Immerhin an zwei nicht unwichtigen Stellen hat er Pflöcke eingeschlagen. Erstens hat er sich unzweideutig von Corbyns Schummeleien bezüglich der antisemitischen Strömungen der eigenen Partei verabschiedet und die Juden um Entschuldigung gebeten. «Ich werde dieses Gift mit den Wurzeln ausjäten und den Erfolg beurteilen anhand der Rückkehr jüdischer Mitglieder sowie derer, die uns nicht länger unterstützen konnten», sagte Starmer nach seiner Wahl.
Ein weiteres Signal Starmers ist seine Absage an eine Kampagne von Labour-Leuten, die darauf zielt, dass künftig jede Person ihr Geschlecht offiziell völlig frei deklarieren kann. Der neue Chef zeigt so, dass er die Partei aus dem Soziotop des linken Aktivismus hinaussteuern und für die in der Ära Corbyn verlorenen Milieus von Mitte-Links wieder wählbar machen will.
Keir Starmer wird als sympathischer und grundseriöser Typ, guter Debattierer, aber bislang in den grossen Streitfragen nicht sehr profilierter Politiker beschrieben. So war er gegen den Brexit, trug aber Corbyns schwammige Politik mit und will jetzt das Thema nicht mehr anpacken. «Der Streit um Austritt oder Verbleib ist vorbei», sagte er bei einer Veranstaltung im Kampf um das Parteipräsidium. Möglicherweise ist solche Zurückhaltung bei der Sisyphusarbeit, die zerrissene Partei zu einen, von Vorteil. Ein Erfolg täte nicht nur Labour, sondern dem Land gut.