Die Open Opera feiert die zwanzig Jahre ihres Bestehens mit einer mutigen Idee und ihrer geglückten Umsetzung. Als Auftragswerke entstanden vier Kurzopern zu zwanzig Minuten, in denen je die Figuren Fräulein Bär, Herr Wolf, Frau Fuchs, Herr Fink und Rüdisüli in den Stimmlagen Sopran, Mezzo, Alt, Tenor und Bass-bariton vorkommen mussten.
Für die Kompositionen und Libretti konnten Noldi Alder mit Urs Widmer für die „Die toten Tiere“ gewonnen werden, Regina Irman mit Ilma Rakusa für „Schöne Frau auf einem Hirsch“ und Bruno Karrer mit Bernhard Kathan für „Im Park“. Kaspar Ewald schrieb für „Spekulator Isegrim – Eine Wald-revue“ sowohl die Musik als auch den Text.
Ein Ensemble besticht
„Rüdisüli in der Oper – etwas Fabelhaftes“ bot, was der Titel des Gesamtwerkes versprach, nämlich etwas Fabelhaftes, das Mitfiebern und Mitleiden auslöste, Verblüffung und Vergnüglichkeit.
Es gelang eine perfekte künstlerische Ensembleleistung. David Philip Hefti dirigierte das kleine Orchester präzis, Dodó Deér führte phantasiebegabt Regie, Peter Schweiger besorgte die packende Dramaturgie, Daniel Fueter war der erfahrene musikalische Berater. Hiroko Fukuda, Rea Kost, Ulrike Andersen, Tino Brütsch und Levente György bewältigten ihre schwierigen Rollen stimm-lich, schauspielerisch und tänzerisch mit Bravour.
Spiegel unserer selbst
Das Publikum sitzt auf Metallgerüsten, die um die Arena als Spielort angeordnet sind. Das verlangt von der Inszenierung und den Sängerinnen und Sängern eine ausstrahlende Wirkung auf 360 Grad. Der Erfolg stellt sich im wahrsten Sinne des Wortes optisch und akustisch rundum ein. Die Zuschauer bilden um die vier Opern einen Ring. Die Parabel-Assoziation ist reizvoll er-zeugt. Sie fügt sich zur Fabelwelt La Fontaines.
Fuchs, Wolf, Bär und Fink erlebt das Publikum als menschenhafte Tiere, Rüdisüli als tierhaften Menschen. Sie drehen ihr Verhalten vom Friedlichen ins Böse und wechseln von der Wirklichkeit zum Märchen und zum Traum. Aber nichts ist eindeutig. Die Grenzen sind fliessend und wunderbar verwirrend. Jede Kurzoper funktio-niert eigenständig, alle vier interpretieren sich gegenseitig. Sehend und hörend halten wir mal den Atem an und lachen mal befreit.
Die vier Opern sind vier Spiegel unserer selbst. Wir begegnen uns als komische Tiere und folgern erheitert oder bestürzt, die Tiere seien die besseren Menschen. Das Schönste der fabulösen Spiegelbilder aber ist die Vielzahl der möglichen Erkenntnisse. Wir werden nicht belehrt, sondern köstlich angeregt.
Bühnenbild als Augenfreude
Durchs Bühnenbild werden die vier Kurzopern zusätzlich span-nend zu einem Ganzen gefügt. Als Grundausstattung dienen an die hundert zusammenklappbare grüne Gemüsekistchen aus Plastik. Ihre Verwandelbarkeit vom Waldboden über das Sprechzimmer und den eleganten Park bis zum Büro ist eine Augenfreude für sich, das Umbauteam auf offener Arena eingeschlossen.
Lokremise St. Gallen, bis 3. September 2011