Die Zürcher Wissenschaftstage von Universität und ETH am Wochenende (Scientifica, 31.8/1.9.13) boten die ideale Gelegenheit, im Schosse der ehemaligen Studenten der Uni Zürich im Rahmen einer speziellen Veranstaltung über Risiko zu diskutieren.
Kaum eine Universität mehr, welche sich heutzutage nicht aktiv um Auf- und Ausbau eines Netzwerkes der ehemaligen Studierenden bemüht. Wie der zukünftige Rektor der Universität Zürich, Michael Hengartner, am Jahresevent der Dachvereinigung aller ehemaligen Studenten(Alumni UZH) betonte, geht es einmal um Loyalität (auch finanzieller Art) mit der alma mater. Die primär von öffentlichen Geldern lebende Ausbildungsstätte ist Grundlage vieler erfolgreicher Laufbahnen.
Darüber hinaus seien aber solche Organisationen nicht allein spendierfreudige ‘Altherren/Altdamen Clubs’ sondern eines der Verbindungsglieder der Hochschulen zur Zivilgesellschaft. Dies im Sinne der Umsetzung von lebenslanger Weiterbildung, von spezieller Schulung für Junioren und Senioren und ganz allgemein als Begegnungs- und Gesprächsforum.
Medizinische Fortschritte ohne Risiken gibt es nicht
Nachdem in der Vergangenheit die Uni, welche im Gegensatz zu lokaler (ETH) und nationaler (Uni St. Gallen) Konkurrenz mit Bezug auf Alumni Mühe hatte, aus den Startblöcken herauszukommen, hat nun das Jahresevent zum Thema `Risiko` diese letzte Funktion zweifelsohne erfüllt. Ein Panel von Ehemaligen aus Medizin (Philip Stahel, Neurochirurg in den USA), Umweltswissenschaft (Bernhard Schmid, UniZH) und Wirtschaft (Marianne Fassbind, SRF) wurden von einem unserer Tagesschau-Gesichtern der Nation, Florian Inhauser, ebenfalls Ehemaliger, zu persönlichem und kollektivem Risikoverhalten ausgefragt.
Die beiden Naturwissenschafter legten überzeugend dar, dass das Risiko - dessen positive Kehrseite ja die Chance darstellt - für Forschung und Fortschritt unumgänglich ist. Dabei wurde das Paradox sichtbar, dass beispielsweise in der Medizin Fortschritte zur Risikoverminderung, rsp. Chancen zur Überlebenssicherung nur um den Preis gewisser Risiken für Tier und Mensch zu haben sind.
Ersetzung des Risiko-Begriffs
Eine risikolose Gesellschaft ist also nicht möglich und noch weniger wünschenswert. Und doch erhalten im menschlichen Empfinden, so Philip Stahel, statistisch kleine Risiken wie Flugzeugabstürze oder Haifischattacken übermässige und ständige steigende Bedeutung. Er plädiert damit für die Ersetzung des Risikobegriffes durch eine rationalere Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten.
Dieser Wahrscheinlichkeit will sich Marianne Fassbind mit spezifischen Fragen näheren. Könnten damit die Wiederholung von Finanzkrisen, oder überhaupt von Wirtschaftsblasen, durch systemrelevante Massnahmen verhindert werden? Oder ist hier die Gier stärker, womit wir, wie mit Blick auf das aktuelle Stocken von Reformen in der internationalen Finanzarchitektur auch in Betrachtungen von führenden Wirtschaftstheoretikern zu lesen ist, zu einem immerwährenden Zyklus von `boom and bust` verdammt wären?
Nachdenklich stimmte das Urteil des, durchaus noch jungen Ehemaligen Stahel, dass in der medizinischen Forschung heute im Gegensatz zu früher zu wenig Risiko eingegangen werde, weil allgemein sowohl der Erwartungs- als auch der Rentabiltätshorizont geschrumpft seien. Hier stellt sich die Anschlussfrage, wie und wer die steigenden Grenzkosten zur individuell geforderten Risikominderung tragen soll. Der öffentliche Sektor, der Privatsektor oder halböffentliches, das heisst ungebundenes Mäzenatentum? Letzteres hätte in der Schweiz im Vergleich etwa zu den USA durchaus noch Wachstumspotential.
Enthusiasmus, Idealismus, Risikolust
Zudem besteht hier eine direkte Verbindung zur wachsenden Problematik gesellschaftspolitischer Verteilungsgerechtigkeit. Oder in Abänderung des helvetischen bonmots “ Mer häts, aber zeigts nöd”, neu “ Mer häts und gits zrugg”.
Alle Panelteilnehmer waren sich einig, dass der Vermittlung und Übertragung von Risikolust, Enthusiasmus und Idealismus von einer zur nächsten Generation grösste Bedeutung zukomme. Kaum anders zu erwarten von einer Versammlung Ehemaliger, für die ja sprichwörtlich früher alles besser war, mag man hier einwenden.
In seinen einrahmenden Worten nannte der amtierende Rektor der Uni, Andreas Fischer, indes gleich zwei Beispiele prominenter ehemaliger Studenten, welche durch eben diese Eigenschaften bereits in jungen Jahren glänzten . Der Basler Chemiker Albert Hofmann, der sich durch die von ihm als Medikament gefundene Substanz, in grossen Mengen später als Psychodroge LSD bekannt, bei Versuchen fast um den Verstand brachte sowie der Berner Nobelpreisträger Kurt Wüthrich welcher durch beharrliches, ja besessenes Tüfteln ohne unmittelbare Aussicht auf Resultat und Rendite schliesslich den Durchbruch schaffte.
Man pflegt zu Recht stolz zu sein auf die traditionellen wissenschaftlichen Spitzenleistungen in der Schweiz. Diese fortzuführen verlangt indes immer wieder neue Anstrengungen. Mit `Wissenschaft im Land der Esoterik` umschreibt Thomas Held, früherer Chef von Avenir Suisse, in einem klugen Kommentar die `Scientifica`. Diese, und speziell die hier angezeigte Veranstaltung zur Bedeutung von Risiko für Wissenschaft und Fortschritt, sind damit ebenso begrüssenswert wie nötig .