Ein Schweizer soll mithelfen, im Auftrag der Vereinten Nationen den Bürgerkrieg in Syrien zu beenden. Sein in der Öffentlichkeit kaum bekannter Name ist Nicolas Michel. Von 2004 bis 2008 war Michel Leiter der Rechtsabteilung der Uno mit dem Rang eines Unter-Generalsekretärs. Kein Schweizer übte vor oder nach ihm ein so hohes Amt in der Weltorganisation aus.
Vergangene Woche ernannte Uno-Generalsekretär Ban Ki-Moon den Freiburger zum Vorsitzenden einer Arbeitsgruppe, die die Einberufung einer neuen Friedenskonferenz für Syrien vorbereiten soll. Die anderen drei Arbeitsgruppen werden von einem Deutschen, einem Norweger und einer Schwedin geleitet. Michel ist in diesem Konzept für die politischen und rechtlichen Fragen zuständig.
Chef der Rechtsabteilung der Uno
Dem Völkerrecht hat der vor kurzem pensionierte Professor sein ganzes Berufsleben gewidmet. Nach seinen frühen Studien in der Schweiz erhielt er 1979 an der Universität Freiburg einen Doktortitel der Rechte und machte im gleichen Jahr einen „Master of Arts“ in internationalen Beziehungen an der Universität von Georgetown (Washington D.C.). 1987 wurde er Universitätsprofessor für internationales und europäisches Recht in seiner Heimatstadt Freiburg – ein Posten, den er elf Jahre lang ausfüllte.
1998 wanderte er in den Staatsdienst ab und wirkte während fünf Jahren als Rechtsberater des Departements für auswärtige Angelegenheiten in Bern. Dann beriet er ein Jahr lang den Europarat in Strassburg, bis ihn Uno-Generalsekretär Kofi Annan 2004 nach New York lockte. Die Rechtsabteilung der Uno, deren Chef er wurde, überprüft unter anderem Verträge zwischen Staaten auf ihre Konformität mit dem Völkerrecht.
Hingeschmissen
Während seiner Tätigkeit auf der Chefetage des Uno-Hauptsitzes vermittelte Michel in einem Grenzstreit zwischen Gabun und Äquatorialguinea. Er war auch aktiv am Aufbau des Sondertribunals für den Libanon beteiligt, das die Ermordung des Premierministers Rafik Hariri aufklären und ahnden soll. Auf den Mangel an Zusammenarbeit von Seiten der Regierung in Beirut angesprochen, erklärte Michel: „Die Libanesen müssen verstehen, dass die Straffreiheit unakzeptabel ist und das Tribunal ein unabhängiges Justizorgan sein wird und kein politisches Instrument in den Händen einer Partei.“
2008 warf Michel überraschend seinen Job in New York hin und kehrte in die Schweiz zurück. Unterdessen hatte Ban Ki-Moon die Nachfolge Annans an der Spitze der Weltorganisation übernommen. Michel bestritt, dass sein Abgang etwas mit dem aus Südkorea stammenden neuen Uno-Generalsekretär zu tun hatte. Familiäre Angelegenheiten und die Absicherung seiner Pension veranlassten ihn zu diesem Schritt, sagte er. Es ist aber kein Geheimnis, dass Ban Ki-Moon zu Beginn seiner Amtszeit alle hohen Uno-Beamten dazu drängte, nach fünf Jahren ihre Posten zu wechseln, um auf diese Jahre die Bürokratie aufzulockern und zu verjüngen.
Bilderbuchkarriere
Dank seiner akademischen Bilderbuchkarriere war es für Michel nicht schwer, eine neue Berufung zu finden. Zu seinen Titeln gehören die Ehrendoktorwürde der Robert-Schuman-Universität in Strassburg und die Präsidentschaft der Akademie für humanitäres Völkerrecht in Genf. Seine Haupttätigkeit seit 2008 war ein Lehrstuhl an der Genfer Universität und ein Professorat am ebenfalls in Genf angesiedelten Institut für hohe internationale Studien und Entwicklung (IHEID). Daneben unterrichtete an den Universitäten Paris II, Peking, Xiamen, Lausanne, Lugano und Neuenburg.
Im vergangenen Juli trat Michel in den Ruhestand, wurde aber nicht arbeitslos. Bereits im August bot ihm der Sonderbeauftragte der Uno für Syrien, der Schwede Staffan de Mistura, die Leitung einer Arbeitsgruppe an. Michel sagte zu. Bis ihn Ban Ki-Moon offiziell ernannte, verging ein Monat. Einige Uno-Mitglieder kritisierten, dass ausschliesslich Westeuropäer mit der Vermittlung im Syrienkonflikt betraut wurden.
„Ich bin überzeugt, dass es ohne Justiz keinen dauerhaften Frieden geben kann“, sagt Michel. Mit dem Syrienkonflikt kam er in Berührung, als er 2012 den damaligen Uno-Vermittler Kofi Annan nach Damaskus begleitete. Der 66-Jährige hat aber auch eine literarische Ader. 1999 veröffentlichte er im Pariser Verlag Gallimard einen Roman unter dem Titel „Un Revenant“, was sowohl Gespenst wie Heimkehrer bedeuten kann. Zwar gibt es etliche Diplomaten, die in ihrer Freizeit mit Vorliebe Krimis verfassen, denen auch kommerzieller Erfolg beschieden ist. Doch Michel erreichte ein Traumziel. Sein tiefsinnig-mystischer Roman gewann den begehrten „Prix Goncourt“ 1999 für das beste Erstlingswerk des Jahres.