Für das Ja oder Nein zur Änderung des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) müssten die Bürgerinnen und Bürger ihren Stimmzettel im Kopfstand ausfüllen und im Handstand zur Post oder an die Urne bringen. Das wäre die angemessene Körperhaltung für die vertrackte Abstimmung vom 14. Juni, die für die Lösung eines Problems das Pferd am Schwanz aufzäumt. Vor der dringend notwendigen Klärung, was "Service public" heisst, müssen wir entscheiden, wie wir ihn bezahlen. Uns wird zugemutet, keinen Abstimmungszettel, sondern einen Blankoscheck auszufüllen.
Alte oder neue Eisenfaust?
Für die Zukunft von Radio und Fernsehen - und für unsere Zukunft mit den elektronischen Medien - spielt es eine untergeordnete Rolle, ob die erzwungene Gebühr für alle Gerätebesitzer in eine - naturgemäss auch erzwungene - Steuer für alle Haushalte und Unternehmen umgewandelt werden soll. Wenn schon, dann hiesse die brauchbare Alternative nicht alte oder neue Eisenfaust, sondern allgemeine Zahlungspflicht oder eine nach tatsächlicher Mediennutzung berechnete Abgeltung.
Jeder Finanzierungsüberlegung geht vernünftigerweise die Sachüberlegung voraus, welchem genauen und sauber überprüfbarem Zweck die Bezahlung dient. Das ist hier nicht der Fall. Eidgenössische Räte und Landesregierung schlichen um den heissen Brei, verschlossen die Augen vor dem tempogeladenen Medienwandel und behaupten einfachheitshalber kühn, die Radio- und Fernsehsteuer sichere den "Service public" der SRG.
Unverbindliche Verheissungen
Dieser nach allen Seiten unverschämt offene und je nach Interesse biegsame Begriff liesse sich durch ähnlich unverbindliche Verheissungen wie Lebensglück, Daseinserfüllung oder Heimatgefühl ersetzen. Noch störender als die Schwammigkeit ist die der SRG übertragene Deutungshoheit.
Das mit 7.400 Mitarbeitern und einem Budget von 1.6 Milliarden grösste Medienunternehmen der Schweiz bestimmt in eigener Vollkommenheit, was der "Service public" zum Inhalt hat, welche Expansionspläne er abdeckt, ja gebietet, und wozu er im Konkurrenzkampf mit den privaten elektronischen und gedruckten Medien berechtigt. Dieses nicht durch Leistung, sondern durch gesetzgeberische Wohltätigkeit verliehene Privileg rüstet die SRG zu einer die Medienentwicklung gefährdenden Macht auf.
Unbestritten: Die SRG sendet auch gute Programme und setzt stets wieder journalistische Glanzlichter. Der Vorwurf, sie produziere nur Schrott und Quote, ist so pauschal wie perfid. Umgekehrt zielt das Lob, sie garantiere den Zusammenhalt und den Fortbestand unserer Willensnation, idealisierend über die Wirklichkeit hinaus.
Aus dem Zusammenhang gerissen
Abgesehen davon: Am 14. Juni läuft keine Marktforschung, ob uns die SRG-Programme erfreuen, verdriessen oder kalt lassen. Für dieses Urteil verwenden wir jetzt und weiterhin die Fernbedienung und treffen Tatsachenentscheide wie die Schiedsrichter mit der Pfeife.
Wir sind lediglich zur Beantwortung der aus dem Zusammenhang gerissenen Frage aufgerufen, ob wir Radio und Fernsehen mit einer unechten oder echten Steuer finanzieren wollen. "Unecht" kostet es den Konzessionär jährlich 462 Franken, "echt" 400 Franken. Ob es sich bei der Preissenkung um einen netten Abstimmungsrabatt handelt oder einen dauerhaften Vorteil, wissen wir mangels bindender Verlautbarung nicht. Der Bundesrat ist frei, den Betrag jederzeit zu ändern: theoretisch auch nach unten, nach aller Lebenserfahrung eher nach oben.
Klare Leistungsaufträge
Aus dem Zusammenhang gerissen ist die Abstimmungsfrage deshalb, weil die überzeugende Festlegung der programmlichen, technischen und unternehmerischen Rahmenbedingungen der SRG und der privaten Veranstalter fehlt. Schlaffe Richtschnur bleibt der Allerweltsbegriff "Service public". Die Direktverantwortlichen dürfen ihn als Generalvollmacht für jegliches Tun und Lassen verstehen.
Bundesrat und Parlament stellten die Medienpolitik auf den Kopf. Sie gehört wieder auf die Füsse. Die Umdrehung gelingt zunächst mit einer breiten Diskussion über den "Service public" und hernach mit griffig formulierten Leistungsaufträgen für Radio und Fernsehen. Dann erst kann vernünftigerweise die Finanzierung geregelt werden. Für dieses geordnete Vorgehen ist es "10 vor 10" und noch lange nicht Fünf vor Zwölf.
Das Nein zum ohne Glanz und Gloria geänderten RTVG am 14. Juni schafft die Voraussetzungen für die demokratische Meinungsbildung und ist unbedenklich, weil es die Rundfunkveranstalter finanziell in keiner Weise belastet.