Unlängst hörte ich einen sehr anregenden Vortrag über die Bedeutung der Geisteswissenschaften für die Demokratie. In diesem Zusammenhang kam der Referent auch auf das seiner Meinung nach bedauerliche Phänomen der „Ökonomisierung der Sprache“ zu sprechen. Ein Beispiel für diesen Trend sei etwa die da und dort schon artikulierte Zumutung an die Professoren, ihre Studenten an der Uni als „Kunden“ einzustufen. Die Universitätsleitungen wiederum sollten nach der gleichen Logik die Professoren ebenfalls als „Kunden“ betrachten.
Solche sprachlichen Verschiebungen wiederspiegeln den sehr viel akuter gewordenen Wettbewerb unter den Universitäten, der wiederum viel mit finanziellen - also ökonomischen - Ressourcen und Interessen zu tun hat.
Konsequenterweise müssten gemäss diesen Denkmustern dann ja auch die Kirchen und religiösen Gemeinschaften ihre Mitglieder als „Kunden“ titulieren.
Diese Art von sprachlicher Ökonomisierung, also die Ausbreitung von marktwirtschaftlichem Jargon in gesellschaftliche Bereiche, in denen bisher nicht-ökonomische Prinzipien eine dominantere Rolle spielten, kann man als eine gewisse geistige Verarmung oder Verengung bewerten. Denn eine vitale Gesellschaft zeichnet sich durch eine Vielfalt von Denkweisen und Perspektiven aus. Diese Vielfalt erscheint zumindest gefährdet, wenn die Sprachentwicklung signalisiert, dass die ökonomische Betrachtungsweise überall die Hauptrolle spielt und anderen Kriterien wie gemeinschaftlicher Nutzen oder geistig-ethische Rangordnungen nur noch sekundäre Bedeutung zugemessen wird.
Die Ökonomisierung der Sprache widerspiegelt sich nach einem Befund in der „Süddeutschen Zeitung“ auch in den rund 5000 neuen Wörtern, die in der neuesten Auflage des Dudens - erschienen im Sommer dieses Jahres - gegenüber der vorhergehenden Ausgabe von 2009 berücksichtigt worden sind. Ein grosser Teil dieser frischen Wörter haben laut diesem Bericht einen ökonomischen Hintergrund. Beispiele, die für diese These sprechen, sind die neu im Duden aufgeführten Wörter Eurobonds, Schuldenbremse, Fiskalpakt, Euro-Rettungsschirm.
Neben der Ökonomisierung sind den Verschiebungen des Wortschatzes aber auch andere gesellschaftliche Trends auszumachen. Zum Beispiel der ausgeprägte – und in öffentlichen Verkehrsmitteln deutlich hörbare - Hang unter jüngeren Frauen und Mädchen, von Fäkalwörtern wie „Scheisse“ und „Seich“ ungeniert Gebrauch zu machen. Dieses Phänomen ist auch der deutschen Publizistin Hannelore Schlaffer aufgefallen, die dazu eine Kolumne in der NZZ geschrieben hat. Was die Autorin nicht explizit erwähnt: Dieser Fäkaljargon ist unter männlichen Jugendlichen (und weit darüber hinaus) seit eh und je weit verbreitet. Sollte die Adaption dieses sprachlichen Vulgärbereichs durch junge Frauen also in erster Linie eine Folge des hehren Kampfes um die Gleichstellung der Geschlechter sein?