Das derzeit in Basel zu bestaunende Ergebnis ist ein hinreissender, temporeicher Abend voller Witz und ein ganzer Koffer voller Assoziationen. Diese erschliessen sich den staunenden, meist lachenden Zuschauern je nach klassischem Vorwissen zwar unterschiedlich, aber in jeder Variante höchst vergnüglich. Und man staunt, wie in dieser Koproduktion die beiden Gäste vom Thalia-Theater Hamburg, Thomas Niehaus und Paul Schröder, unterstützt von Musikcollagen und geradezu barockem Bühnenzauber, fast zwei Stunden lang in einem aberwitzigen Durchgang ungebrochen zu fesseln vermögen.
Die unbekannten Brüder
Fesseln ja. Aber da ist nicht nur Lachen. Wenn die beiden Söhne am Sarge ihres Übervaters Odysseus im nüchternen, gekachelten Raum eines heutigen Bestattungsunternehmens erstmals in ihrem Leben aufeinandertreffen und in einem unglaublichen Sprachenmix miteinander diskutieren, ist da erst mal natürlich auch Rivalität und Fremdheit, die in Aggression umschlägt. Denn beide wussten voneinander ja – laut antikem homerischen Epos – gar nichts.
Da ist Penelopes Sohn Telemachos, dessen Suche nach dem verschollenen Vater in einem eigenen Buch („Telemachie“) festgehalten und aller Welt bekannt wurde. Auf der anderen Seite steht der jüngere, mit der Zauberin Kirke gezeugte Sohn Telegonos, der Odysseus nicht bekannt war, durch den er jedoch – Telegonos erkennt den Vater nicht – im Kampf den Tod fand. Dieser unwissentlich verübte Vatermord – ein beliebtes antikes Thema, siehe die ungewollte Ermordung von König Laertes durch dessen Sohn Ödipus – beziehungsweise dessen Auswirkungen gingen in die der homerischen „Odyssee“ nachfolgenden Dichtung Hesiods, der „Telegonie“, ein.
Aber auf diese antiken Konstellationen geht Basels neuer Schauspieldirektor und Regisseur Antu Romero Nunes nicht vordergründig ein. Er stellt einfach zwei junge Männer von heute auf die Bühne, welche sich an der Figur des Übervaters abarbeiten, sich dabei immer mehr annähern, sogar in einer von ihnen live musizierten Jam-Session harmonieren, aber schliesslich ihre ambivalenten Gefühle in einem Gewaltausbruch enden lassen. Zum Schluss zersägen sie mit kreischenden Kettensägen den (leeren) Sarg des Odysseus in bester Zaubertrick-Manier und berauschen sich immer mehr an der Macht, welche von den aggressiven Instrumenten ausgeht. Im Schlussbild stehen sie, die Kettensägen wie Kalaschnikoffs geschultert, in Taliban-Pose vor einem flammenden Horizont: Das Erbe des Odysseus?
Ein Lehrstück
Ein Lehrstück, wie aus Lächerlichem unvermittelt Gewalt entspringen kann – der Sagenkreis um Troja ins Jetzt und Heute transponiert. Ein Politdrama in bester Kabarett-Manier, dass sich die Balken biegen; aber trotzdem kein Kabarett, sondern ein veritables Schau-Spiel. Und dies, bei allem Ernst des Hintergrundes, mit Witz und auch augenzwinkernder Ironie. Das soll den drei Hauptbeteiligten einmal einer nachmachen!
Das Theater Basel ist zuversichtlich und hat viele Vorstellungen des Stücks angesetzt. Denn die Warteliste ist heute schon fast höher als das Fassungsvermögen mit jeweils nur 50 Zuschauern. Corona hat auch hier wie bei allen Veranstaltern zugeschlagen. So konnte das ambitionierte „Foyer public“, „Herzstück“ der neuen Intendanz von Benedikt von Peter im Grossen Haus, leider nicht wie geplant Mitte November mit einem grossen Eröffnungsfest beginnen. Das Prinzip des für alle, nicht nur für Theaterbesucher, offenen Hauses wird derzeit wenigstens mit dem neu eröffneten Theatercafé an den Spieltagen umgesetzt.
Odyssee. Eine Irrfahrt nach Homer
Nächste Vorstellungen:
19., 27., 29.11., 15., 17., 18., 23.12.
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