Auch wenn man ihn heute schematisierend gerne bei den Symbolisten einreiht – ganz eindeutig ist das Werk dieses aus Bordeaux stammenden Künstlers nicht einzuordnen. Ob Symbolist, Vorläufer des Surrealismus oder gar der Fauves oder des Futurismus – Redon ging seinen eigenen Weg und liess sich nie vom Mainstream vereinnahmen.
Pariser Retrospektive nach 50 Jahren
Das ist auch sicher mit ein Grund, weshalb es über 50 Jahre dauerte, bis die französische Hauptstadt ihm erstmals nach 1956 wieder eine retrospektive Ausstellung widmet. In einem Flügel des Pariser Grand Palais hat der Ausstellungsarchitekt Hubert Le Gall einen dreiteiligen, in gedämpftem Licht gehaltenen Parcours durch das Lebenswerk Redons eingerichtet. Natürlich erfordern allein schon die vielen empfindlichen Werke auf Papier zurückgenommene Lichtverhältnisse. Durch die raffinierte Inszenierung entsteht während des Ganges durch die Räume aber auch ein geradezu voyeuristisches Gefühl, das Gefühl vom Eindringen in die privateste Sphäre eines mit ausufernder Phantasie begabten und von vielen Ängsten, aber auch Verzückungen erfüllten Geistes.
Von den Symbolisten bis zu den Fauves
Mehr als 180 Bilder, Pastelle, Kohle- und Bleistiftzeichnungen wurden aus internationalen Sammlungen zusammengetragen, darunter auch einige noch nie gezeigte Werke. Was die Ausstellung jedoch zum einmaligen Erlebnis werden lässt, ist eine ausserordentliche Gruppe von Redons graphischem Oeuvre, insgesamt 100 Werke aus der französischen Nationalbibliothek. Beginnend mit seinem Eintritt in den Symbolismus nach Texten von Joris-Karl Huysmans (1848-1907) mit „Dans le Rêve“, setzt Redon sich in der Folge mit Darwins Ursprungs-Theorie, mit Texten von Edgar Allan Poe, Stéphane Mallarmé und Gustave Flaubert oder Vorlagen von Francisco Goya auseinander. Ab den 1890er Jahren entstehen die berühmten „Noirs“, Redons schwarze Periode, in der er, immer in kleineren bis mittleren Papierformaten bleibend, ganz in eine metaphysische Welt eintaucht. Das Sich-Verlieren, scheinbar ohne Bezug zum Zeitgeschehen, (Redon nahm sehr jung als einfacher Soldat am deutsch-französischen Krieg teil, was wohl viel vom puren Entsetzen erklärt, das seine Bilder oft ausstrahlen) zieht den Betrachter in einen dunklen Sog , dessen Strudeln er sich erst wieder im dritten Teil der Ausstellung mit den farbigen Bildern einigermassen entziehen kann.
Aus öffentlichen Schweizer Sammlungen sind in diesem dritten und letzten Ausstellungsteil das zart leuchtende Blumenbild aus dem Kunstmuseum St. Gallen von 1903 vertreten sowie das Ölbild des in seiner erbarmungswürdigen Nacktheit ausgesetzten Saint Sébastien von 1910 aus dem Kunstmuseum Basel. Einen Höhepunkt bildet das auf Goldhintergrund gemalte, tiefblaue Frauenporträt „La Cellule d’Or“ von 1892/93 aus dem British Museum London, das auch als Ausstellungsplakat gewählt wurde. Antikische Themen in überraschender Farbigkeit oder auch, wie die Pferde- und Pegasusbilder mit ihren menschlich wissenden Augen, oft graphisch umgesetzt, fallen hier auf. So ein „Orphée“ aus Privatbesitz, der, vor dem Fluss Lethe mit geschlossenen Augen träumend, strahlende Farbigkeit und Schönheit vereint – eine Annäherung an die Farbpalette eines Gauguin und sich damit den Fauves annähernd. Gegen Ende seines Lebens entwarf Redon grossflächige Blumendekors, in denen alle Düsternis abgestreift und ein harmonischer, wohl auch altersweiser Grundton angeschlagen wird.
Literarische Bildtitel
Die Bildtitel sagen viel aus und sind oft literarische Schlüssel an sich. So blickt auf der ganz am Beginn der Schau platzierten Bleistiftzeichnung von 1870 ein nackter, gebückter Mensch von einem kahlen Berg ins All: „Le silence éternel de ces espaces infinis m’effraie“ – und fixiert damit sofort den roten Faden von Lebensangst und -hoffnung, der sich bis zum Tode des Künstlers im Jahre 1916 hinziehen sollte. „J’ai fait un art selon moi. Je l’ai fait avec les yeux ouverts sur les merveilles du monde visible, et, qui qu’on en ait pu dire, avec le souci constant d’obéir aux lois du naturel et de la vie.“ („Ich habe eine Kunst nach mir selbst gemacht. Ich habe sie gemacht mit offenen Augen für die Schönheiten der sichtbaren Welt, und, was man auch immer darüber sagen mag, unter dem andauernden Bemühen, den Gesetzen der Natur und des Lebens zu folgen.“)
„Odilon Redon – Prince du Rêve“ in: Paris, Grand Palais, Galerie nationales, bis 20. Juni 2011. Katalog 496 Seiten: 50 Euro, broschiert, 400 Seiten: 18.50 Euro. www.rmn.fr