Indiens "Tag der Republik" ist wie in vielen Ländern ein bisschen Besinnung und viel staatliche Folklore. Da sich dabei das ganze Staatswesen feiert, sind es auch hier Präsident und Vizepräsident, die im Mittelpunkt stehen.
In der Sonne der Macht
Dieser 26. Januar war auch der erste "Republic Day" für Premierminister Modi, dafür bekannt, jede Gelegenheit zur Selbstinszenierung zu ergreifen. Kein Anlass ist so symbolträchtig wie dieser Tag. Wenn mit dem amerikanischen Präsidenten noch der mächtigste Mann der Erde offizieller Gast ist, war vorauszusehen, dass sich Modi in dessen Lichtkegel sonnen würde.
So wurde denn der Vizepräsident, der mit dem Staatspräsidenten den Gast zur Ehrentribüne führt und dort flankiert, in den zweiten Rang zurückversetzt. Es war der Regierungschef, der neben Barack Obama sass. Oder war es umgekehrt? Denn was konnte der diskrete Anzug des Präsidenten schon gegen Modis gefiederten Turban anrichten? Und während Präsident Mukherjee stumm dasass, erklärte der Premierminister dem Gast die Bedeutung jedes Umzugwagens und jeder Waffeneinheit, die an ihnen vorbeiparadierte. Die ausladenden Gesten sahen aus, als führe der "Diener des Volks" eigenhändig Regie.
Modis Anzug
Schon am Tag zuvor hatte Modi seinen "Freund Barack" mit Hilfe seines Kostüms überstrahlt, als er in einem gestreiften Anzug mit geschlossenem Kragen neben Obama vor die Mikrophone trat. Die Medien, die inzwischen wissen, wie Modi seine Kleider mit politischer Symbolik auflädt, entdeckten sofort, aus welchem Tuch er geschnitten war. Die langen Streifennähte waren eine Aneinanderreihung des Namens ihres Trägers "Narendra Damodardas Modi". Modis "Spin Doctors" waren sofort zur Stelle und streuten die Information, der Anzug sei in London gefertigt worden und habe 10'000 englische Pfund gekostet.
Obama tat so, als hätte er nichts bemerkt. Er spielte die Rolle des willigen Komparsen, der sich vom untersetzten Premierminister heftig drücken liess, der mit ihm zwischen Blumenbeeten wandelte, als seien sie zwei Staatsmänner, tief versunken in einem philosophischen Diskurs über den schlimmen Gang der Welt. Und er liess sich vom Sohn des Teeverkäufers während einer Verhandlungspause in der winterlichen Sonne einen feinen Darjeeling einschenken.
Staatsmänner auf Augenhöhe
Obama und Modi sind im Augenblick vielleicht die beiden agilsten Schauspieler auf der politischen Weltbühne, und beide spielten ihren Part à perfection. Westliche Beobachter mochten im Auftritt der beiden deutliche Unterschiede feststellen – Obama der höflich-zurückhaltende, warmherzige Gast, Modi übertrieben in seinem Gehabe des stolzen Hausherrn. Doch für die Inder stimmte die Rollenverteilung. Nach Jahrzehnten des höflichen (und ressentimentgeladenen) Buckelns vor den Grössen der Weltpolitik können sie sich nun mit einem Mann identifizieren, der selbst dem Präsidenten der USA ins Auge schaut, mehr noch: ihn zu instrumentalisieren versteht.
Dafür bedurfte es natürlich einer perfekten Regie, die weit über die Kleiderdetails hinausging. Nach dem ängstlichen Manmohan Singh wollte sich Modi als Staatsmann präsentieren, der sich der globalen Verantwortung Indiens bewusst ist und der sich gegenüber einem Freund und Alliierten auch "grosszügig" zeigen kann. Der Besuch musste unbedingt erfolgreich, mehr noch – ein "historischer" werden.
Wechsel an Stelle von Verträgen
Tatsächlich regnete es Vereinbarungen – über die Operationalisierung des Paktes für die Lieferung von Nuklearenergie, eine engere Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Waffensystemen, über den baldigen Abschluss eines Freihandelsvertrags, die Erneuerung der strategischen Partnerschaft mit einer Ausweitung der Rolle Indiens als maritime Macht auch im östlichen Teil des Indischen Ozeans, bis zu einer engeren Abstimmung in multilateralen Klimagesprächen.
Die Medien konnten sich nicht satt essen von den täglichen Freudesbotschaften. Erst als der hohe Gast abgeflogen war, machten die etwas nüchterneren Kommentatoren einen ersten Kassensturz. Und wieder mussten sie – wie so oft bei den vielen brillanten Ankündigungen Modis – feststellen, dass fast alle Vereinbarungen Absichtserklärungen waren. Kein einziger der tosenden Durchbrüche gipfelte in Unterschriften unter Verträgen. Es sind ausgestellte Wechsel, die erst noch honoriert werden müssen.
Klimaschutz mit Kernenergie
Dies gilt gerade für den Durchbruch beim Nuklearvertrag, der wegen abweichender Standpunkte zehn Jahre nach seiner Unterzeichnung auf Eis lag. Es geht um Washingtons Forderung einer lückenlosen Kontrolle amerikanischer Güter und Prozesse, die in die Fertigung von zivilen Nuklearkraftwerken eingehen. Indien seinerseits hatte bisher auf die Verantwortlichkeit von Lieferanten bei Industrie-Unfällen gepocht ("Bhopal" lässt grüssen).
In beiden Fällen wurde eine Einigung erzielt, aber vielen Beobachtern ist sie zu vage, um die Industrie zu ermutigen, Nuklearanlagen auch zu bauen. Und wenn man die dürren Fäden einer engeren Kooperation in Klimafragen dagegenhält, erhält man fast das Gefühl, dass für beide Staaten der Ausweg aus der Energiekrise nicht die „Nutzung von Sonne, Erde und Wind“ ist, wie es Modi letztes Jahr weitsichtig verkündete, sondern viele neue Nuklearkraftwerke.
Narziss statt Diener
Dennoch wäre es kleinlich, das Positive aus dem Obama-Besuch auszusieben. Modis Stärke ist zweifellos sein instinktives Wissen um die politische Brisanz von Gesten und Symbolen. Auch der Obama-Besuch wurde von ihm dafür genutzt, das neue Selbstverständnis seines jungen Landes zu artikulieren und zu zementieren. Es ist eine optimistische (wenn nicht aggressive) Selbstsicht, die dem Land helfen kann, sich aus der Schmollecke des ewigen Verlierers herauszuwagen. Vorläufig scheint ihm das Land nicht übelzunehmen, wenn der Premierminister bei dieser Projektion Indiens mittels seiner Person den narzisstischen Goldmund in die Mitte stellt, und nicht den "Diener des Volkes".
Aber er muss achtgeben, dass Regie nicht zur Manipulation wird – gerade, wenn es sich wie bei den USA um die Weltmacht handelt, die sich nicht gern auf den Arm nehmen lässt. Präsident Obama demonstrierte dies am Ende seines Besuchs. Dieser hätte eigentlich mit einem romantischen Bild Barack und Michelle Obamas vor dem Taj Mahal enden sollen. Der Tod des saudischen Königs Abdullah machte der Regie einen Strich durch die Rechnung – Obama musste einem Kondolenzbesuch in Riyadh den Vorrang geben.
Obamas Qualität
Und er nutzte die Gelegenheit, quasi auf dem Weg zum Flughafen im Siri-Fort-Auditorium einen Halt einzulegen und sich vor 1200 kurzfristig aufgebotenen Studenten und Schülern direkt an sein Gastland zu wenden, ohne dass Narendra Modi dabei war.
Es war, wie konnte es anders sein, eine "Meisterklasse in politischer Kommunikation", wie ein Kommentator anmerkte – „freundschaftlich, ernst, schmeichelnd, visionär und magistral“. Auch Obama ist ein Goldmund, aber seine noch grössere Qualität liegt darin, dass er fähig ist, seine Person nicht zur "Message" zu machen.
Und diese Botschaft war überaus deutlich: Indien werde nur eine Erfolgsstory sein, wenn es auch seinen demokratischen Verfassungsgrundsätzen nachlebt. Dazu gehört namentlich Religionsfreiheit, die Toleranz von politischem Dissens, der Kampf gegen Menschenhandel und Leibeigenschaft. Es war ein Wink an Narendra Modi – dessen Duz-Angebot Obama übrigens nicht annahm –, dass Rhetorik nur so lange gut ist, als sie nicht die alten Ressentiments von Hindu-Fanatismus verstecken soll.