„Auf Messers Schneide“, titeln die Medien. „Es geht hart auf hart“, „Jede Stimme zählt“, „Noch ist nichts entschieden“.
Für den 34-jährigen Nate Silver ist alles längst entschieden: Obama wird gewinnen.
Er wird 315 Elektoren-Stimmen erobern, Romney nur deren 222. Sagt Nate Silver am Dienstag früh. Benötigt, um gewählt zu werden, werden 270.
Mehr noch: Die Gewinnchancen für Obama liegen bei 92,0 Prozent. Landesweit wird Obama 50,9 Prozent der Stimmen erhalten, Romney deren 48,2. Sagt Nate Silver.
Die New York Times ist begeistert von ihm
Silver, der in Chicago Wirtschaftswissenschaft, Mathematik und Statistik studiert hat, betreibt den Umfrage-Blog „FiveThirtyEight“ (538). Silver führt keine eigenen Umfragen durch, aber er bewertet die Analysen der andern. Zudem zieht er frühere Ergebnisse und demografische Daten bei.
Die New York Times, das Schwergewicht in der amerikanischen Medienlandschaft, war so begeistert von seinen Analysen, dass sie ihn anheuerten. Seit dem 7. Juni dieses Jahres veröffentlicht er täglich eine oder zwei Analysen. Sein Blog heisst: “FiveThirtyEight: Nate Silver's Political Calculus.” Vor kurzem gewann er von der International Academy of Digital Arts einen “Webby Award ” für den besten Polit-Blog.
Kein Hokuspokus
Seine Ergebnisse stehen in scharfem Kontrast zu den Umfrageresultaten der grossen Meinungsforschungsinstitute. Zwar sprechen jetzt die meisten von ihnen von einem Sieg von Obama – doch von einem sehr, sehr knappen.
CNN, Politico, Rasmussen und Gravis sehen den Ausgang noch immer auf „Messers Schneide“. Eine Washington Post/ABC-Umfrage vom Sonntag gibt Obama jetzt drei Prozentpunkte mehr als Romney. Die Internet-Zeitung Huffington Post, die das Mittel vieler Meinungsumfragen ausrechnet, prognostiziert für Obama 271 der benötigten 270 Stimmen. Ziemlich viel weniger, als Silver voraussagt.
Doch Silvers Analysen sind kein Hokuspokus. Er legt detailliert dar, wie er zu seinen Schlüssen kommt. Und er kann auf viele Erfolge zurückblicken. Bei den letzten Präsidentenwahlen vor vier Jahren lag er in 49 von 50 Staaten richtig (nur in Indiana lag er ganz knapp daneben). Die Adelung folgte auf dem Fuss. Das Nachrichtenmagazin „Time“ erkor ihn 2009 zu einem der hundert einflussreichsten Menschen.
"Halbjude, Homosexueller, rational Progressiver"
Zuerst kümmerte sich Silver um Baseball. Der Poker-Fanatiker, der sich als „Halbjude“, „Homosexuellen“ und „rational Progressiven“ bezeichnet, analysierte Spieler und Spiele und fasste alles in Statistiken. Im Herbst 2007 beginnt er sich für die Politik zu interessieren. 2008 startet er mit dem 538-Blog. Die Zahl bezieht sich auf die Zahl der Wahlmänner (Elektoren), die den Präsidenten wählen.
Silver sah 2008 nicht nur bei den Präsidentschaftswahlen richtig. Auch alle 35 Senatswahlen endeten so, wie er es vorausgesagt hatte.
Diesmal pokert der Poker-Fan hoch. Mit seiner 92-Prozent-Chance für Obama wagt er sich weit auf die Äste hinaus. Wenn seine eindeutigen, unmissverständlichen Voraussagen nicht eintreffen, kann er den Laden schliessen. Dann wird ihn auch die New Times nicht mehr hätscheln.