Doch es ist nicht die Ikone von Gattenliebe-über-den-Tod hinaus, die Obama besucht, sondern ein Symbol des Schreckens und des Terrors gleichen Namens. Es liegt mitten im Hafen von Mumbai, und dass es ein Luxushotel ist, gehoert ebenso zur Symbolik wie beim Taj im nordindischen Agra der Umstand, dass es ein Grabmal ist.
Wenn sich die Fähre von meinem Wohnort in Alibagh jeweils der Südspitze der Hafeneinfahrt nähert, denke ich oft an jenen Abend vor zwei Jahren, als wir, unterwegs fuer einen Kinoabend in der Stadt, im diffusen Licht des Sonnenuntergangs die vertrauten Umrisse der breiten Hotelfassade des Taj Mahal-Hotels sahen, auch sie gekrönt von einem Kuppeldom.
Dreitägiger Totentanz
Es war der gleiche Sonnenuntergang, der an jenem Abend auch die zehn Terrorgesellen begleitete, die sich in einem Gummiboot dem kleinen Fischerhafen in der Innenbucht näherten. Drei Stunden später erschien der Dom auf den Fernsehschirmen, eingehüllt nicht im Smog sondern in Rauchschwaden, und das Leuchten des Sonnenuntergangs war in Feuergarben übergegangen, die aus den Fenstern des Hotels schlugen.
Hinter der Luxuskulisse vollführten vier pakistanische Terroristen einen dreitägigen Totentanz von Granatexplosionen und Rauchvergiftung, Kopfschüssen und Schnellfeuer-Serien, der das Gebäude Millionen von Fernsehzuschauern als Todesort schmerzhaft ins Gedächtnis ritzte.
Wie bei vielen indischen Fernsehzuschauern weckten die Bilder auch in mir ein Gefühl von beklemmender Unwirklichkeit, als stünde der Taj Mahal selber – das Mausoleum der Mogulkaiserin Mumtaz – in Flammen, als koennte so etwas Ungeheuerliches nur in einer Bollywoodphantasie es wagen, Gestalt annehmen.
Der Taj von Mumbai - politisches Symbol
Denn wie der Zenotaph war auch das Taj Mahal-Hotel in den 107 Jahren seiner Existenz zu einer Ikone geworden, einzig dass statt des Zwiebelturms eine Kuppel das Gebaeude krönt, das eher Brunelleschis Florentiner Dom ähnlich ist als einem islamischen Sakralbau.
Es mag in seiner Symbolkraft weit hinter dem Bau von Agra zurückbleiben, denn was ist schon eine Absteige fuer Könige im Vergleich zu kaiserlicher Liebe? Als politisches Symbol allerdings hat der Taj von Mumbai seinen berühmteren Namensvetter in Agra übertroffen.
Bereits der Bau des Hotels war ein politischer Akt gewesen. Jamshedji Tata, der Begründer des Tata-Konzerns, hatte es bauen lassen, aus Protest gegen das Verbot der Kolonialherren, die in ihren Hotels keine Inder sehen wollten. Wenn sich die Schiffspassagiere aus dem ‚Mutterland‘ dem Hafen näherten, war es nicht mehr der britische Triumphbogen des ‚Gateway of India‘, der sie begrüsste, sondern die Hotelkuppel eines Inders, eines Nationalisten, eines lokalen Kapitalisten und Vertreters einer religiösen Minderheit.
Und es war wohl dieses seltsame symbolische Gemisch, das auch die Fadenzieher des Attentats beeinflusst haben mag, als sie sich an die Wahl ihrer Feuerziele fuer den 26.November 2008 machten.
Der Besuch des amerikanischen Präsidenten ist natuerlich ebenso ein Teil dieses Kriegs um die Besetzung und den Besitz politischer Symbole. Mit seinem Abstecher in die Wirtschaftsmetropole Mumbai erweist er nicht nur dem ‚Emerging Market‘ Indien seine Reverenz. Er will dort auch Flagge zeigen – wohnen -, und dies konnte er, zum Schrecken der indischen und amerikanischen Sicherheitsdienste, nur in einem der beiden Hotels, die von den Terroristen damals drei Tage lang besetzt worden waren.
Philantropische Verantwortung
Der Taj wie das Oberoi-Hotel wetteiferten um die Gunst des Staatsoberhaupts und unterwarfen sich wochenlangen Drills und Kontrollen vom Weinkeller bis zum Taubenschlag in der Turmspitze. Aber es war von vorneherein klar, wer den Andern ausstechen wuerde. Nur der Taj besass die symbolische Strahlkraft, um den Präsidenten effektvoll ins Szene zu setzen.
Doch es ist mehr als die stilvolle Patina des Gebäudes, die den Ausschlag gab. Ratan Tata, Jamshedjis Urenkel und Chef des Tata-Imperiums, war in jenen drei Tagen täglich mehrere Stunden hinter den Barrikaden gestanden und hatte die Gäste und Angestellten begrüsst, die sich, ueber Seiteneingaenge oder Fenster, ins Freie retten konnten. Noch während der Belagerung hatte er die Gründung einer Stiftung angeregt, die sich der Überlebenden und Hinterbliebenen annehmen würde.
Das war nicht mehr als billig, da die Tatas den Ruf geniessen, zu den wenigen indischen Unternehmen zu zählen, die ihre philanthropische Verantwortung ernstnehmen. Aber sie taten mehr. Der ‚Taj Public Service Welfare Trust‘ nahm sich der Hinterbliebenen aller 163 Attentatsopfer an – also auch jener im Hauptbahnhof, im Oberoi-Hotel, im jüdischen Gasthaus und im Restaurant Leopold - und sogar Jener in einer Vorstadt von Mumbai, als dort ein Taxi in die Luft gesprengt wurde, nachdem die Attentäter eine Bombe im Kofferraum versteckt hatten, um den Terror bis in die Vorstädte zu tragen.
Angehörige der Opfer wurden ausfindig gemacht, ihre Familien wurden für den Rest ihres Lebens mit einer Pension ausgestattet, Familienmitglieder wurden eingeladen, einer Tata-Firma beizutreten und entsprechend ausgebildet zu werden.
"Nur" Nächstenliebe
Die Stiftung bezahlte Reparaturkosten von Läden, die bei Schusswechseln beschädigt wurden, sie kaufte dem Früchteverkaeufer, dessen Karren vor dem ‚Cafe Leopold‘ zerstört wurde, einen Ersatz. Und sie sahen aus der Nähe, wie schwerfaellig der Staat in Katastrophen, natur- oder menschengemachten, reagiert, mit Versprechen von Schmerzensgeld, das jahrelang im bürokratischen Gewirr hängenbleibt. Sie stockten den Fonds um ein Mehrfaches auf – bisher wurden rund 50 Mio.Fr. ausgegeben - damit in Zukunft bei einer Überschwemmung in Bihar oder einer Dürre in Orissa rasch und unbürokratisch geholfen werden kann.
Die fünfzig Mitarbeiter, die im ‚Oxford House‘ hinter dem Taj heute die Stiftungsarbeit betreuen, sind zumeist Hinterbliebene der zwölf erschossenen und der grossen Zahl von verletzten Taj-Angestellten. „Wir sind dabei, das ‚Brand Image‘ des Taj Mahal-Hotels zu verändern“, erklärte Krishna Kumar, der Chef der Hotelgruppe, halb belustigt. Es ist ein Image von Luxus und Eleganz, das Symbol einer gesellschaftlichen Elite zudem, die auf historische Werte und politische Selbständigkeit pocht.
Und nun soll der Trust verhindern helfen, dass dieses Bild vom Kahlschlag eines blutigen Kulturkampfs besetzt wird. Nachdem er schon mit dem Namenverwandtschaft Staat gemacht hat, leiht sich der Taj noch ein bisschen von der Symbolik des beruehmten Vorbilds aus – Liebe-ueber-den-Tod-hinaus, auch wenn es in diesem Fall ‚nur’ Naechstenliebe ist.