Dürfen künftig selbst in der Narrenbütt nur noch „politisch korrekte“ Vorträge gehalten werden? Wie niedrig muss selbst im Karneval die Messlatte des satirisch Erlaubten hängen, damit sich niemand getroffen, beleidigt, sogar diskriminiert fühlt? Wichtige, ja möglicherweise entscheidende Fragen für die Kultur und Lebensform im Land zwischen Rhein und Oder, Flensburg und Konstanz.
Wie wäre sonst die Aufregung zu verstehen, die jüngst entstand um ein Witzchen der neuen CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer im Fasching (übrigens seit Jahren schon im Saarland während der Fastnachts-Session auf der Bühne stehend)? Dass Humor so eine eigene Sache ist, sollte man doch schliesslich wissen. Und dass nicht jeder über jeden Spass lachen kann, ist eigentlich auch nichts Neues. Aber dass im ganzen Land – vor allem natürlich im „Netz“ – ein mit Einsatz praktisch sämtlicher verbaler Waffen geführter Krieg tobt, weil es jemand wagt, sich über Auswüchse des gegenwärtigen Gender-Hypes lustig zu machen, raubt einem schon fast den Atem.
Eine Staatsaffäre?
Über die süffisante Bemerkung der Politikerin zur angeblichen Notwendigkeit von neutralen (?) Toiletten für „diverse“ Mitbürger (also solche, die – vom Bundesverfassungsgericht anerkannt – sich weder als Männer noch als Frauen verstehen) wäre vor noch nicht allzu langer Zeit vermutlich allenfalls geschmunzelt worden. Heute reichen die Reaktionen von Beschimpfungen über das Verlangen nach Entschuldigung bis zur Forderung nach Rücktritt. Kündigt sich hier am Ende sogar eine Staatsaffäre an? Zumal ja auch noch dieser Eklat um den rheinischen Barden Bernd Stelter nicht vergessen werden darf.
Erlaubte der sich doch glatt, über die (wahrscheinlich nicht nur seiner Meinung nach) Inflationierung von Doppelnamen lustig zu machen. Eine unerhörte Diskriminierung! Meinte zumindest eine eigens zum Kölner Karneval angereiste, kostümierte Frau aus Weimar. Mit einem Doppelnamen, logisch. Also stürmte sie – beleidigt – auf die Bühne, nahm sich ordentlich den verdutzten Sänger vor und wurde dadurch (zumindest in Weimar und Umgebung) eine Berühmtheit. Denn (erwartungsgemäss) tobte wieder das „Netz“, und auch in den gedruckten Medien hauten die Kommentatoren mit der notwendigen Abscheu und Empörung gehörig in die Tasten. Der Weg nach Absurdistan kann nicht mehr lang sein.
Nahtloser Übergang zur Gesinnungs-Narretei
Tatsächlich könnte man fast meinen, der zeitlich begrenzte närrische Fasching sei nahtlos in einen permanenten Gesinnungs-Karneval übergegangen. Aber nein, was sich da täglich abspielt, ist wirklich ernst gemeint. Zwar wird dafür ziemlich viel öffentliches Geld ausgegeben und der Mehrwert will sich den allermeisten Zeitgenossen nicht so recht erschliessen, doch der Aufwand ist beträchtlich. Es geht um die vor ein paar Jahren gestartete, aber jetzt so richtig in Fahrt gekommene Attacke auf die deutsche Sprache. Das Ganze natürlich eingebettet in ein lautes Wehklagen über angebliche, unverändert bestehende gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen.
Im Klartext: Es gibt, wie alle wissen, Männer und Frauen (Normalität). Von diesen fühlt sich eine Minderheit zum eigenen Geschlecht hingezogen. Sie nennen sich selbst Schwule und Lesben, und ihre Lebens- und Liebesweise wird mittlerweile, zum Glück, von den meisten Mitbürgern akzeptiert (Semi-Normalität). Und dann ist da jene Mini-Minorität, die sich biologisch weder hier noch dort zuhause fühlt. Immerhin ist auch diese Gruppe mittlerweile vom Verfassungsgericht anerkannt und darf sich im Pass als „divers“ bezeichnen.
Eine rührige Lobby
So weit, so schwierig. Bei rund 80 Millionen Einwohnern fallen diese Mitbürger allerdings nicht sonderlich ins Gewicht. Aber sie haben eine rührige Lobby, und diese macht richtig Rabatz. Und hat, nicht ohne erste „Landgewinne“, einen Generalangriff auf die Sprache gestartet. Das heutige, über viele Generationen gewachsene und gesprochene Deutsch, sagt diese Lobby, sei ungerecht, vor allem frauenfeindlich und spiegle nicht die Wirklichkeit im Lande wider. Deshalb also sei es unerlässlich, über und in vielen Hauptwörtern Sternchen, Schrägstriche, Unterstriche usw. zu platzieren, mit einem weiblichen „in“ dahinter.
Das ist natürlich reinste Sprachverhunzung, wird aber gefördert, geschürt und „wissenschaftlich“ unterfüttert von inzwischen zahlreichen Universitäts-Lehrstühlen, die ihrerseits natürlich staatlich und damit durch die Steuerzahler finanziert werden. Mit anderen Worten: Wir alle schauen nicht nur mehr oder weniger fasziniert zu, wie die eigene Sprache Stück für Stück vor die Hunde geht. Nein, wir bezahlen auch noch dafür. Gendergerecht nennt man dieses umgenudelte Deutsch mit grossem „Binnen-I“, Schrägstrich-Annex, Sternchen-Anhang und was nicht noch alles mehr.
Ein Aufruf zum Widerstand
Vor wenigen Tagen hat der in Dortmund ansässige „Verein Deutsche Sprache“ (VDS) in einem fast schon dramatischen Aufruf „Schluss mit dem Gender-Unfug“ gefordert. Dieser „Aufruf zum Widerstand“ wurde sofort von mehr als 100 namhaften Wissenschaftlern, Schriftstellern, Journalisten, Sprachforschern und Kulturschaffenden unterschrieben; inzwischen ist die Zahl der Unterzeichner noch viel grösser. Angeprangert werden solch „lächerliche Sprachgebilde“ wie „Die Radfahrenden“ oder „Die Fahrzeugführenden“. Als Unsinns-Beispiel gilt ferner, dass sogar der Grosse Duden der – angeblichen Sprachgerechtigkeit halber – als eigene Stichworte „Luftpiratinnen“ und „Idiotinnen“ aufgenommen hat. Dem VDS ist es mit seinem Protest bitterernst. Er spricht bereits von einer „Gender-Ideologie“, die „auf dem Vormarsch zur Staatsdoktrin“ sei.
Übertriebene Sorge von berufs- und hobbymässigen Sprachästheten? Damit viel Lärm um nichts? O nein! Erst vor kurzem hat die Stadt Hannover ihre Verwaltung angewiesen, den gesamten schriftlichen Verkehr in „gendergerechtem Deutsch“ zu erledigen. Also mit Sternchen, Schräg- und Unterstrichen sowie allen nur denkbaren abenteuerlichen Begriffsverrenkungen. In Dortmund wird ebenfalls darüber nachgedacht, und auch in den Parlamenten gehen bereits etliche gender-sprachliche Sämlinge auf. Ob dagegen der Weckruf aus Dortmund die Mehrheitsgesellschaft aufrütteln wird, damit das Vergehen an der Sprache als wichtigstem Kulturträger gestoppt werde?
Gender-Sprach-Kreuzzug bei Leseschwäche
Die Hoffnung darauf ist gross, der Glaube daran indessen klein. Findet der Gendersprachen-Kreuzzug doch in einer Zeit statt, in der es um die Sprach- und Ausdrucksfähigkeit von Schülern in Deutschland immer schlechter bestellt ist. Erst kürzlich lösten Lehrerverbände, Sprachwissenschaftler und Philologen Alarm aus wegen der immer mehr abnehmenden Leseverständnis und Schreibausdrucksfähigkeit der Schüler. Und in Betrieben (also dort, wo es Arbeit gibt), nicht zuletzt in den qualifizierten Handwerksunternehmen, klagt man über immer mehr junge Leute, die zwar Ausbildungsplätze suchten, aber einfach nicht ausbildungsfähig seien, weil sie u. a. nicht einmal die Grundbegriffe des Rechnens und Schreibens beherrschten.
An diesem Punkt ist Absurdistan endgültig erreicht. Ein Land und seine Bevölkerung besitzen so gut wie keine Rohstoffe – bis auf einen: Bildung. Und sie leben vom Erzeugen und Verkaufen hochentwickelter Produkte. Trotzdem erlauben sie sich den Luxus, wichtige Energien zu vergeuden mit sinnlosem Gelaber und regelrechten Kriegen um Worte und Doppelnamen. Der alte römische Politiker und Philosoph Marcus Tullius Cicero hatte schon lange vor unserer Zeitrechnung geklagt: „o tempora, o mores. Quem rem publicam habemus“ – O Zeiten, O Sitten. Was haben wir bloss für einen Staat“. Leider ist weit und breit kein moderner Cicero zu erblicken …