Es gibt heute zwei unterschiedliche Zentralen von gewalttätigen Islamisten, oder nach amerikanischer Sprachregelung "Terroristen". Beide Zentralen haben weltweite Machtansprüche und Pläne, aber beide haben begonnen sich voneinander in ihrer Taktik und Strategie zu unterscheiden. Man kann die beiden Strömungen festmachen an den Bezeichnungen: IS und al-Qaeda.
IS trennt sich von Qaeda
Al-Qaeda ist natürlich die ältere der beiden Terrorquellen. IS ist ihr jüngerer erfolgreicher Konkurrent, seitdem Abu Bakr al-Bagdadi vor einem guten Jahr in Mosul das Kalifat ausrief. Schon bevor dies geschah, im Februar 2014, hatte Abu Bakr mit der Qaeda Führung gebrochen und war von ihr ausgebootet worden.
Ursprung des Streites war die Frage der Affiliation der syrischen Nusra Front. Diese unter der Führung von Muhammed al-Golani (Pseudonym) war ursprünglich 2012 von Abu Bakr und seinen Beratern in Syrien lanciert worden. Sie war dort so erfolgreich,dass Abu Bakr fürchtete, sie könne seine eigenen Kampfgruppe (damals hiess sie noch Al-Qaeda im Irak, AQI) in den Schatten stellen. Die internationalen Jihadisten strömten ihr zu, nicht AQI. Deshalb begab sich Abu Bakr persölich vom Irak nach Syrien, um die Nusra Front wieder in die eigene Hand zu nehmen. Was ihm misslang. Es gab Spannungen, Diskussion und schliesslich Kämpfe zwischen den beiden Gruppen und ihren Führungen.
Der al-Qaeda Chef, Ayman Zawahiri, der sich nach wie vor im Grenzraum zwischen Pakistan und Afghanistan aufhalten dürfte, wurde als Schiedsrichter angerufen, und er entschied nach längerem Hin und Her, die Nusra Front solle in Syrien kämpfen, AQI (später ISIS noch später IS und "Kalifat") im Irak. Doch Abu Bakr al-Bagdadi wollte diesen Schiedsspruch nicht annehmen und verliess schliesslich im Februar 2014 al-Qaeda.
In den folgenden Jahren stellte sich heraus, dass die beiden Rivalen unterschiedliche Ziele verfolgten: die Nusra Front, von Syrern geleitet und meistens aus syrischen Kämpfern gebildet, gedachte einen "islamischen Staat" in Syrien zu errichten. Sie kämpfte daher in erster Linie gegen die Asad Regierung und ihre Armee.
Zielvorstellung: das Kalifat
Abu Bakr und die Seinigen gingen primär darauf aus, sich ein eigenes Herrschaftsgebiet zu schaffen, das "Kalifat", das in der Praxis im Gebiet der oberen Euphrat und Tirgis Ebene entstand und zwar über die irakisch-syrische Grenze hinweg. Deren Grenzposten wurden systematisch und symbolisch zerstört. IS entwickelte eine Strategie der Machtergreifung und Machtfestigung, durch Spaltung aller Rivalen und Furchtverbreitung, die er in erster Linie den arbeitslos gewordenen Geheimdienstoffizieren Saddam Husseins verdankte. Sie hatten sich um Abu Bakr geschart und dienen bis heute als seine Berater und Unterführer. Die Einzelheiten dieser Entwicklung schildert ausführlich und glaubwürdig Christophe Reuter: Die Schwarze
Macht: Der "Islamische Staat" und die Strategie des Terrors.
Machtrezepte eines Geheimdienststaates
Das Vorgehen dabei war zuerst geheim und unterirdisch; doch mit dem "Kalifat" traten Teile der IS-Strategie öffentlich zu Tage. Zu dieser Strategie gehörte die Verdrängung aller anderen Kampfgruppen aus dem angestebten Herrschaftsgebiet von IS. Dies wurde zuerst in der syrischen Provinzhauptstadt am Euphrat, Raqqa, sichtbar. Die Stadt wurde von mehreren Milizen gleichzeitig erobert, unter ihnen war auch AQI, der spätere IS. Seine Aktivisten verdängten die Mitstreiter anderer Gruppierungen zielbewusst, wobei sie auch nicht vor Mordanschlägen von als feindlich eingestuften Führungspersonen zurückschreckten. Diese wurden anfänglich abgestritten, und sie waren in einem Milieu von zahlreichen Kampfgruppen ohne übergreifende Ordnungsmacht, schwer nachweisbar.
Das versteckte Vorgehen änderte sich mit dem "Kalifat". Nach seiner Ausrufung wurden alle Mord- und Untaten von IS durch "Takfir" (Ungläubigkeitserklärung) gerechtfertigt und offen durchgeführt. Wer nicht "dem Kalifat" gehorcht, gilt als Ungläubiger und wird dementsprechend in aller Öffentlichkeit "bestraft". Die Strafen, so grausam wie möglich und als Bilder ins Internet gestellt, dienen der Abschreckung und Furchtverbreitung, - sowie auch als Machtbeweis von IS, der auf machtlose Muslime im In- und Ausland, die sich übergangen, "entehrt" und vernachlässigt fühlen, anziehend wirken kann, weil er ihnen Teilhabe an dieser Macht verspricht oder vorgaukelt.
Erfolg führt zu Nachahmung
IS hat sich mit seinen Methoden als erfolgreich erwiesen. Er konnte seine Macht bewahren und sogar ausdehnen, trotz einigen Rückschlägen durch die Koalition von Weltmächten, die ihn aus der Luft zu bekämpfen suchen und trotz Gegenangriffen der Kurden, der irakischen Armee, der syrischen Luft- und Bodentruppen, und periodisch der Kampfgruppen des syrischen Widerstandes.
Der Erfolg führt zu Nachahmungen. Gruppen, die sich in ihren Ländern al-Qaeda angeschlossen hatten, neigen dazu, die erfolgreichen Methoden des "Kalifates" zu übernehmen. Ehrgeizige Unterführer innerhalb solcher Gruppen zeigen sich auch manchmal bereit, ihre Formation zu spalten und eine eigene Gruppe - Mehr- oder Minderheit - als Filiale des Kalifates (sein "Emirat" in der Fachsprache) anzuführen und zu beherrschen. Sie zeigen als erstes die Schwarze Fahne des Kalifates. Manche dieser "Emirate" sind von IS als solche anerkannt worden. Dies bedeutet zuerst, dass sie in den digitalen Propagandapappart von IS aufgenommen werden. Dann erhalten sie möglicherweise auch Ratschläge, vielleicht auch Berater und Geld aus Raqqa, was als Hauptstadt von IS dient.
Solche Emirate von IS gibt es heute im Sinai, in Libyen, in Nigeria, in Ansätzen in Afghanistan, in Pakistan, Jemen.... vermutlich gibt es auch Schläferzellen in weiteren Ländern wie Tunesien, Algerien, Marokko und möglicherweise auch im europäischen und amerikanischen Westen.
Al-Qaeda und ihre Filialen
Die ältere Formation, al-Qaeda, besteht weiter. Sie übt Kritik an IS und dessen Emiraten, denen sie allzu grosse Brutalität vorwirft sowie allzu indiskriminierenden Gebrauch der Ungläubigkeitserklärungen. Zum Beispiel, dass IS gleich alle Schiiten als Ungläubige einstuft. "Takfir" ist allerdings auch ein Werkzeug der Ideologie von al-Qaeda, umstritten ist nur, wie weit dieser Begriff gedehnt werden soll.
Nusra als Qaeda Tochter
Als die erfoglreichste aller gegenwärtig agierenden Gruppen, die bei al-Qaeda angeschlossen sind, kann die syrische Nusra Front gelten. Sie besitzt heute, wie IS, ihr eigenes Territorium in der syrischen Provinz Idlib. Doch sie hält diese in Zusammenarbeit mit zahlreichen anderen Kampfgruppen, darunter auch solchen, die als nicht islamistisch gelten, weil sie einen demokratischen Staat Syrien anstreben. Sie alle haben sich zu einem "Islamischen Heer" zusammengeschlossen, das unter der Führung von Nusra steht.
"Mohammed al-Golani" hat dieser Tage der BBC ein Interview gewährt. Er blieb dabei verschleiert und unkenntlich. Er sagte aus, seine Front habe keine politischen Ziele ausserhalb Syriens.
Syrien zuerst, als Programmpunkt der Nusra Front
"Wir sind nur hier, um eine einzige Mission zu erfüllen, nämlich um gegen das Regime und seine Agenten zu kämpfen, einschliesslich Hizbullahs und anderer. Nusra Front has keine Pläne und keine Anweisungen, den Westen zum Ziel zu nehmen. Wir erhielten Befehle, Syrien nicht als Angriffsplattform gegen die USA oder Europa zu verwenden, um unsere wahre Mission gegen das Regime nicht zu untergraben. Al-Qaeda tut dies vielleicht (anderenorts), jedoch nicht hier in Syrien." Die Befehle, so sagte er, seien von Zawahiri gekommen.
Die Front gedenke auch nicht, so versicherte er, allen Syrern ihre Glaubensdoktrin aufzuzwingen. Sogar die Alawiten könnten in Sicherheit leben, "wenn sie ihre Waffen niederlegen, sich von Asad lossagen, ihre Leute nicht aussenden, um für ihn zu kämpfen und zum Islam zurückkehren - obwohl sie im Islam als Häretiker gelten".
Solche Erklärungen und auch die Tatsache, dass sie einem westlichen Medium gemacht wurden, zeigen ein deutliches Bemühen, sich von IS zu unterscheiden. Ob sie allerdings die Amerikaner davon abhalten können, Nusra zu bombardieren, ist zweifelhalft. Für die Amerikaner sind al-Qaeda und all ihre Zweigstellen nach wie vor "Terroristen".
Golani stritt ab, dass es eine "Khorasan Gruppe" überhaupt gebe. Die Amerikaner hatten im vergangenen September die Existenz einer solchen Untergruppe von Nusra, die darauf ausgehe, Amerika zu gefährden, als Grund für ihre Bombardierung von Nusra bei Idlib angegeben. Doch nicht alle Beobachter sind sich gewiss, dass diese Gruppe tatsächlich existiert. Zur Zeit wird Nusra auch von Seiten des Asad Regimes bombardiert, oft mit den ungezielten "Fassbomben", die dazu dienen, die Zivilbevölkerung der Städte und Dörfer zu terrorisieren.
Al Qaeda im Jemen
Die zweite al-Qaeda Filiale, die zur Zeit aktiv ist und territoriale Gewinne aufzeigen kann, ist die jementische AQAP (al- Qaeda auf der Arabischen Halbinsel). Im Gewirr der innerjemenitischen Kämpfe und der saudischen Bobardierungen, konnte sich AQAP auf Südostjemen ausdehnen. Die Hafenstadt Mukalla gilt als von ihr dominiert. Auch im Hadramauth soll sie Einfluss ausüben. Doch wie Nusra in Syrien führt AQAP heute im Jemen eine vorsichtige und moderate Politik. In Mukalla hat sie ihre Kämpfer abgezogen und einem Stadtrat die Regierung übergeben, über den sie allerdings Einfluss ausüben dürfte, weil ihre Kämpfer die Region dominieren. AQAP hat darauf verzichtet, ihr strenges Scharia Verständnis mit Gewalt duchzusetzen. In Mukallah darf man rauchen, das Trinken von Alkohol in der Öffentlichkeit sollte man allerdings besser unterlassen. Die Frauen müssen nicht tief schwarz verschleiert gehen. AQAP erklärt den Bürgern und Stämmen Südostjemens, dass ihre Kämpfer da seien, um sie gegen die Huthis zu verteidigen. Diese sind als Zaiditen im sunnitischen Südjemen und als die Machthaber in Sanaa, der Hauptstadt, von er man sich lostrennen möchte, unbeliebt und gefürchtet.
Im Jahre 2012 und erneut Anfang 2014 kämpfte die jemenitische Armee mit amerikanischer Hilfe und mit Hilfe der lokalen Stämme erfolgreich gegen AQAP. Deren Kämpfer hatten versucht sich in Abyan, nah bei Aden, ein Eigengebiet zu schaffen, das sie beherrschten. Sie wurden daraus und später auch aus den nahe liegenden Bergen vertrieben und mussten in die Wüste östlich von Abyan ausweichen. Doch gegenwärtig kämpft die jemenitische Armee mit sich selbst, teils mit den Huthis und teils gegen sie. AQAP erhielt so einen zweite Gelegenheit, sich ein eigenes Territorium zu schaffen. Sie geht dabei diesmal sehr viel diplomatischer vor. Auch diese Qaeda Filiale ist nun bemüht, sich von IS und dessen Methoden zu unterscheiden.
IS dürfte in ersten Ansätzen in Jemen vorhanden sein. Doch bis jetzt waren es nur zwei blutige Sebstmordanschläge in Moscheen, deren Urheberschaft eine angeblich existierende IS im Jemen in Anspruch nahm.
Zweifrontenkrieg für Nusra
In Syrien kämpft Nusra Front nicht nur gegen Asad sondern auch gegen IS. In den meisten Fällen gewiss, weil IS Nusra herausfordert. Zur Zeit versucht IS einen Vorstoss nördlich von Aleppo von Osten nach Westen, der, wenn er erfolgreich verläuft, die Kampfgruppen in der geteilten Grosstadt Aleppo von ihrem Nachschub abschneiden könnte, der über die türkische Grenze kommt. Diesem Vorstoss leisten Kämpfer von Nusra und lokal verbündete Gruppen verzweifelten Widerstand.
Hilfe aus den Golfstaaten und aus der Türkei
Die Amerikaner weigern sich, Nusra zu helfen. Doch Saudi Arabien, Qatar und die Türkei unterstützen Nusra und ihre Mitkämpfer. Sie haben dafür gesorgt, dass ihre Freunde in Syrien amerikanische TOW Raketen erhielten, die gegen die Selbstmordlastwagen verwendet werden können, welche IS in allen Kämpfen gewissermassen als Artillerie einsezt, um vor Infanterieangriffen Mauern zu brechen und Verwirrung zu stiften.
Saudi Arabien und Qatar haben zur Zeit des verstorbenen Königs Abdullah in Syrien als Rivalen gewirkt, weil Qatar den Muslim Brüder nahe stand, König Abdullah diese jedoch fürchtete und hasste. Der neue König, Salman, hat einen Ausgleich mit Qatar geschafft. So steht nun in Syrien eine "Golfpolitik" der amerikanischen gegenüber und entgegen. Sie geht, zusammen mit der Türkei, darauf aus, Asad zu Fall zu bringen, wenn dabei etwas Islamismus um sich greifen sollte, gilt ihr dies als nicht über die Massen gefährlich. Jener von IS wird allerdings als gefährlich eingestuft.
Zwei divergierende Strategien der"Freunde Syriens"
Die Amerikaner wollen nach wie vor "die Terroristen" bekämpfen, in erster Linie gewiss, IS, aber nur zur Luft, daneben auch Nusra. Asad jedoch nur insofern als ihr politisches Ziel nach wie vor ist, eine Übergangszeit zu schaffen, während welcher Asad seine Herrschaft allmählich zurückstufen und schliesslich vielleicht aufgeben soll.
Die arabischen Asad Feinde und die Türkei Erdogans sehen dies zu recht als unrealistisch. Für sie ist das Hauptziel, Asad von der Macht zu entfernen. Ihr Plan, um dies zu erreichen, sieht die Schaffung einer geschützten Flugverbotszone in Nordsyrien als ersten Schritt vor. Doch Washington ist nicht bereit, bei diesem Plan mitzuwirken, und ohne Washington ist er nicht zu verwirklichen, weil Russland und Iran hinter Damaskus stehen.
Nusras Freunde im Ausland
Deshalb begnügen sich die Saudis, ihre Golfkollegen und die Türkei damit, die effektivsten der syrischen Kampfgruppen zu unterstützen, soweit sie nicht IS sind. Das heisst in der Praxis Nusra und Verbündete. Sie üben damit einen gewissen Druck auf Washington aus, der umso stärker zu werden verspricht, je deutlicher es wird, dass die amerikanische Politik: "Asad zunächst behalten, aber Syrien dennoch demokratisieren", ein undurchführbarer Wunschtraum ist. Amerika gelangt unter Druck, wenn Nusra und Verbündete mit Golf-und türkischer Hilfe Gewinne aufweisen, weil dadurch die amerikanische Linie irrelevant wird. Aber auch wenn IS Fortschritte macht und Nusra zurückweichen muss, weil dann die Gefahr wächst, dass das "Kalifat" sich weitere Teile von Syrien einverleibt, was ebenfalls nicht den amerikanischen Wünschen entspricht.