«Stucki steigt in majestätischer Manier auf den Thron», titelt ehrfurchtsvoll «Der Bund» über den Sieger des Schlussgangs am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests (Esaf) in Zug. Wobei das Bild unter dem Titel den König zeigt, wie er im Sägemehlring kniet, die kräftigen Arme zum Himmel gereckt, der ihm nach etlichen Enttäuschungen endlich Gerechtigkeit hat widerfahren lassen.
«Es schien das Schicksal dieses nicht nur an Statur grossen Mannes, dass seine Karriere ungekrönt bleibt», schreibt der Sportchef des «Blick» in seinem Kommentar: «Man hat sich irgendwo damit abgefunden, dass der Stucki vielleicht einfach etwas zu lieb, zu wenig verbissen, zu genügsam ist, um den grossen Wurf zu landen.»
Derweil im Boulevard-Blatt «der Liebste … endlich der Böseste» ist, kauert im Bild des «Bund» Stuckis Gegner Joel Wicky, abgewandt, noch geschlagen auf allen Vieren im Sägemehl. Er hat den Schlussgang nach nur 42 Sekunden verloren, ausgerechnet er, den der «SonntagsBlick» tags zuvor noch als «Wicki-Quickie» gefeiert hatte, weil er vier Gänge innert lediglich 87 Sekunden gewann. «Wicki ist schon König der Herzen», titelt die Zeitung am Sonntag: «Nur die Krone fehlt noch.»
Mit Joel Wickis Niederlage ist der Traum der Innerschweizer geplatzt, 33 Jahre nach Harry Knüsel endlich erneut einen Schwingerkönig stellen zu können, statt nur, wie im Fall des Kantons Zug, jedes Jahr Millionen in den Nationalen Finanzausgleich (NFA) zahlen zu müssen, von dem auch die Berner profitieren, die jetzt vier Schwingerkönige in Folge stellen. «Innerschweizer sind arm dran», meint ein «Blick»-Reporter, was zumindest, neben dem Sport, auf die Zuger nicht ganz zutrifft.
«Die Sonne strahlt über der Finanzmetropole um die Wette», heisst es im Boulevard-Blatt: «Als hätte das Crypto-Valley Zug einige Bitcoins Richtung Petrus geschickt.» Wie auch immer, das Lob, das die Organisatoren des Esaf 2019 weitherum erhalten, ist verdient. Der dreitägige Anlass, minutiös vorbereitet, geht ohne jegliche Nebengeräusche über die Bühne. Zug, inklusive See, Bergpanorama und Hochhäuser, zeigt sich von seiner allerbesten Seite. Obwohl sich nur wenige Besucher vom Festgelände in die Innenstadt vorwagen, die am Wochenende fast entvölkert wirkt.
Dass am Samstagmorgen das Rind Greth, ein Lebendpreis, während des Rundgangs durch die Arena, kurz ausbüxt, kreidet dem OK niemand an. Immerhin bestätigt das Viech den Titel eines Songs, den die Mundartrocker Gölä und Trauffer einen Tag später am Ende des offiziellen Festakts in der Arena singen werden: «Müeh mit de Chüeh». Die eigens für das Esaf geschriebene Hymne der beiden «Büetzer Buebe» indes heisst «Maa gäge Maa», was nichts mit einem indonesischen Nudelgericht zu tun hat.
Niemand ist dem Zuger OK auch gram, dass am Sonntagmittag der Weisswein ausgeht, wobei jedoch prompt für Ersatz gesorgt wird. Total werden in Zug 14’000 Liter Wein, 250’000 Liter Bier, 200’000 Liter Mineralwasser und 100’000 Liter Süssgetränke konsumiert, bei Temperaturen bis zu 28 Grad. Ferner kann niemand etwas dafür, dass Hausi Leutenegger laut «Tages-Anzeiger» knallgelbe Hosen trägt, immerhin ein Farbtupfer im Meer der hellblauen Edelweiss-Hemden. Der 45-jährige «Oldie» Stefan Burkhalter, Hausis zeitweiliger Bodyguard, rangiert am Ende des Tages mit 53,50 Punkten auf Platz 29c.
Auch dürfte es Bundespräsident Ueli Maurer kaum einer der 56’500 Besucher im Stadion verargen, dass er sich am Sonntagmorgen majestätisch per Kutsche zum üppigen Festakt mit über 600 Mitwirkenden in die Arena fahren lässt. Der Magistrat spricht auf Schweizerdeutsch und preist die Schweizer als Erfinder des Schwingsports, wie es sich gehört für Angehörig einer Nation, die in Sachen Innovation Weltspitze ist: «Wir schwingen also fast jeden Tag.» Ueli Maurer zitiert auch Gottfried Keller: «Alles Gute und Edle ist einfacher Art.» Wobei sich, bei aller Sympathie, darüber streiten lässt, wie einfach gestrickt das Esaf 2019 noch ist. Pratteln 2022 wird’s erneut zeigen.
Noch 1961 hatte die Festrede in Zug anders getönt, wie Autor Linus Schöpfer in seiner Kulturgeschichte «Schwere Kerle rollen besser» berichtet. Damals sprach der Obwaldner CVP-Bundesrat Ludwig von Moos. Er richtete dem Schwingvolk aus, der Gesamtbundesrat freue sich, «wenn im harten Ringen gestählte Kraft, gezügelter Mut und bewährte Übung im Zeichen der Wehrhaftigkeit und Entschlossenheit sich messen». Anders noch als in Estavayer vor drei Jahren hält sich die Armee in Zug diskret im Hintergrund und ist lediglich mit einem Sanitätsposten präsent. Dafür haben WK-Soldaten zuvor tatkräftig beim Aufbau der Tribünen geholfen.
Viel zu tun gibt es für die Sanitäter am Wochenende nicht. Allen Mengen konsumierten Alkohols zum Trotz bleiben die auf 420’000 Personen geschätzten Festbesucher friedlich; grössere Zwischenfälle sind keine zu registrieren. In der Nacht auf Sonntag werden 170 Personen medizinisch betreut, meist wegen Schürfungen oder Schnittwunden. 17 müssen ins nahe Kantonsspital, teils als Folge von Stürzen.
Andere Besucher therapieren sich selbst. Sie schlafen ihre allfälligen Räusche am Sonntagmorgen ungestört auf dem harten Boden des Festgeländes aus. Auch das erst befürchtete Verkehrschaos bleibt in Zug aus, da über 80 Prozent der Festbesucher per ÖV anreisen, frühmorgens in der Stadtbahn so dicht gepackt, als wäre einer in der U-Bahn in Tokyo.
Derweil zeigt sich auch ein anderer König als Christian Stucki vom Esaf in Zug beeindruckt. Tupou VI. von Tonga ist wohl jener wichtige Festbesucher, der von am weitesten her angereist ist. Wer vom Flughafen Fua’amotu in Nuku’alofa nach Zürich-Kloten fliegt, braucht laut der Website Ebookers mit zwei Zwischenstopps mindestens 43 Stunden. Wer so lange Flüge klaglos erträgt, dem macht es wie berichtet auch nichts aus, sich am Esaf bereits um 06.30 Uhr im «Schwingerstübli» einzufinden: «Noblesse oblige».
Ob sich Tupou VI. in der Nacht auf Sonntag im Festzelt Gemsstock das Konzert der Volksrocker ChueLee angehört hat, ist indes nicht überliefert. Deren Musik ist der Eigenwerbung zufolge «erfrischend anders und dennoch typisch schwiizerisch!» So wie Schwingen. Und wie heisst ein älteres Album der Mundart-Musiker, dessen Titel auch als Schwinger-Hymne taugen könnte: «Aues geili Sieche».
Quellen: Tribüne F (V-Zug), Reihe 22, Platz 27; „Blick“, „SonntagsBlick“, „Bund“, „Tages-Anzeiger“, „20 Minuten“