«Es gibt keine Krise, absolut nicht. Die Konferenz von Nairobi wird als jene in die Geschichte eingehen bei welcher der Graben zwischen entwickelten und sich entwickelnden Ländern zugeschüttet wurde», erklärte die die kenianische Ministerin Amina Mohammed, Präsidentin der 10. WTO-Ministerkonferenz am letzten Verhandlungstag und kündete eine Verlängerung «um ein paar Stunden» an. Daraus wurden schliesslich mehr als 24 Stunden, bis die erschöpften Delegierten eine Schlusserklärung verabschieden konnten. Diese hält fest, dass sich die WTO-Mitglieder nicht einig sind über die Zukunft des Doha-Zyklus und die «neuen Themen», welche den Industrieländern so wichtig sind. Kürzer gesagt: Der Nord/Süd-Graben ist offiziell. Eine Premiere.
Obwohl es die erste in Afrika durchgeführte Ministerkonferenz war, haben die Entwicklungsländer letztlich nicht viel davon gehabt. Es gelang ihnen zwar, den Schaden in Grenzen zu halten, doch erwartet hatten sie mehr. So ist die Schlusserklärung nur ein Kompromiss: Sie bestätigt, dass gewisse Mitglieder das Entwicklungsmandat des Doha-Zyklus anerkennen, was andere wiederum ablehnen. Und sie stellt fest, dass die Themen von Doha weiter diskutiert würden, in dem an der besonderen und differenzierten Behandlung der Ärmsten festgehalten wird.
Zwar ist es den Vereinigten Staaten nicht gelungen, die Doha-Runde offiziell zu beerdigen, die vor 14 Jahren gestartet wurde, um die Regeln des internationalen Handels auch im Interesse der Länder des Südens auszugestalten. Obwohl genau das von Beginn weg die Absicht der USA war. Aber die gewundene juristische Formulierung der Schlusserklärung öffnet kreativen Interpretationen Tür und Tor. Es wird darum an den Entwicklungsländern und den NGO liegen, dass Doha nicht zur reinen Rhetorik verkommt. Sicher ist hingegen, dass die heutige Architektur des Zyklus definitiv vom Tisch ist. Diese hatte besagt: Nichts ist verhandelt, wenn nicht alles fertig verhandelt ist.
Bereits begonnen haben die WTO-Mitglieder damit, sich über andere Themen zu verständigen, namentlich über die Abschaffung von Exportsubventionen für Agrarprodukte. Die Schweiz hat Zeit bis 2020, um das Schoggi-Gesetz abzuschaffen, in dem das Schweizer Parlament noch letzte Woche zusätzliche 95 Millionen Franken Subventionen für verarbeitete Landwirtschaftsprodukte festgeschrieben hat.
Das erlaubt Nestlé, Toblerone, Kambly u.a. die höheren Kosten für Schweizer Milch und Getreide in Biscuits, Schokolade und Suppen mit Bundesgeldern zu kompensieren. Indien wurde in Sachen Exportsubventionen ein Aufschub bis 2023 gewährt. Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union verwenden zwar keine solche Subventionen mehr, sie brauchen jedoch ähnliche Massnahmen. Bei diesen hat Washington minimale Zugeständnisse gemacht hat: Auf Exportkredite gilt neu eine maximale Laufzeit von 18 Monate und Nahrungsmittelhilfe darf nicht mehr zum Abbau von Agrarüberschüssen verwendet werden.
Die Schweiz hat in den Verhandlungen ihren Teil zu diesem Ergebnis beigetragen, was sich nicht von allen Industrieländern sagen lässt. Exportsubventionen in all ihren Formen sind im globalen Handel das schädlichste aller Werkzeuge, denn sie führen auf den Märkten der armen Länder zu Dumpingpreisen. Der Hauptfortschritt für die ärmsten Länder (least developped countries) betrifft den Entscheid, dass die Regeln zur Herkunftsbezeichnung vereinfacht werden. Die Schweiz muss dies innerhalb eines Jahres tun.
In zwei zentralen Punkten, die vor allem Indien und eine Mehrheit der Entwicklungsländer betreffen, wurden keine Entscheidungen getroffen und die Diskussionen werden am WTO-Sitz in Genf weitergeführt werden müssen: Zum einen die Umsetzung des speziellen Schutzmechanismus, der es erlauben soll, temporär die Zölle auf gewisse Landwirtschaftsprodukte zu erhöhen und zum anderen der Fortbestand von Nahrungsmittellagern zur Sicherung der Ernährungssicherheit.
Schliesslich hält die Schlusserklärung fest, dass einige Mitglieder beginnen wollen über andere Themen zu diskutieren. Was andere wiederum ablehnen. Um neue Verhandlungen zu eröffnen braucht es in der WTO jedoch Einstimmigkeit. Bei diesen Themen handelt es sich um solche, auf welche die Industrieländer Wert legen, namentlich die Investitionen und das Recht auf Wettbewerb.
Konkret geht es dabei um Regeln, die es multinationalen Unternehmen erleichtern sollen, in Entwicklungsländern Fuss zu fassen. Und zwar ohne dass die Gastländer mit nationalen Gesetzen und Auflagen regulierend eingreifen können. Firmen, die investieren wollen, sollen ein Mitspracherecht haben, wenn neue nationale Gesetze formuliert werden. Seit der Ministerkonferenz von 2003 in Cancun haben sich die Entwicklungsländer immer gegen diese Themen gewehrt. Und auch hier gilt: Die ambivalente juristische Formulierung des Texts ist ein Vorbote auf kommende Auseinandersetzungen in der WTO.
Isolda Agazzi betreut das Dossier Handel und Investitionen bei Alliance Sud.