Auch wenn voraussichtlich Ende März ein neuer Papst gewählt und damit das System wieder seinen ‚normalen‘ Lauf nehmen wird, ist der Schritt doch ausserordentlich und verdient grossen Respekt. Der Bischof von Rom beweist damit, dass er nicht gänzlich Gefangener des Vatikans ist, die Begrenztheiten seiner menschlichen Existenz ernst nimmt und verantwortlich handelt. Darauf waren wir nach dem langen Absterben seines Vorgängers, das förmlich zelebriert wurde, ohne dass Johannes Paul II. zurückgetreten wäre, nicht gefasst.
Der Papst im Widerspruch
Benedikt XVI. hat die katholische Kirche in einer Zeit harter, allerdings teilweise auch selbstverschuldeter Krisen geführt. Geheime Briefe gelangten von seinem Schreibtisch in die grosse Öffentlichkeit. Wie kein anderer vor ihm musste er coram publico – im Internet – seine eigenen Aussagen etwa in der Regensburger Rede korrigieren.
Der Vertrauensverlust infolge der unsäglichen Übergriffe von Priestern in vielen Ländern auf Jugendliche ist gewaltig. Dass sein Kader, Pfarrer und Seelsorgerinnen, ihm den Gehorsam aufkündigten (so die internationale Pfarrer-Initiative bzw. in der Schweiz die Pfarrei-Initiative), ist neu und zeigt die Grenzen dieses absolutistischen Systems auf.
Aus den Mängeln lernen
Dass die Rückholung der reaktionären Pius-Brüder – ein Herzensanliegen von Benedikt XVI. – dilettantisch angegangen wurde, mit der Wiederzulassung der Tridentinischen Messe und der alten Karfreitagsfürbitten auch noch Juden verprellt hat und schliesslich doch ohne Erfolg blieb, offenbart die Anfälligkeit vatikanischer Führungsorgane für einen Konservativismus der Ewiggestrigen, der dadurch nicht besser wird, dass er am gesellschaftspolitisch rechten Rand seine Parallelen kennt.
Segensreich wäre, wenn all diese Mängel und Pannen zusammengenommen dazu führten, dass auch das System, für das Benedikt XVI. steht, einsähe, dass es sich zurücknehmen muss. Denn der Zentralismus vatikanischer Prägung ist unzeitgemäss und einer Weltkirche unwürdig.
Die Verantwortung muss auf mehrere Schultern verteilt werden, das Modell der alten Patriarchate hat es vorgemacht. Autonome regionale Kirchen könnten mutiger eigene Schritte in die Zukunft wagen. Und das Amt des Bischofs von Rom würde wieder auf ein menschliches Mass zurückgenommen.
Erstarkende Religion, schwächelnde Kirche
Nebst den hausgemachten Problemen gibt es die Sorgen der Welt, denen Benedikt XVI. wie schon sein Vorgänger skeptisch begegnete, die freilich auch für das Oberhaupt von mehr als einer Milliarde Katholikinnen und Katholiken kaum zu schultern sind.
Einerseits die wachsende politische und öffentliche Bedeutung von Religion in allen, auch aggressiven und fundamentalistischen Schattierungen. Andererseits die Verflachung und Verdunstung institutioneller Religiosität, der alle Kirchen relativ hilflos gegenüber stehen. Schliesslich auch die Reduktion aller Massstäbe auf ökonomistische Modelle, mit einer entsprechend verarmten Publizistik und einem recht orientierungslosen grossen Publikum. Hinter all dem stecken Fragen, zu denen auch religiöse Führer etwas zu sagen haben müssten, deren Antworten aber kaum zu elektrisieren vermögen.
Die Gefahr der Resignation
Benedikt XVI. verdient trotzdem Respekt für seine Sorge um die Einheit der Kirche, die aus seinem Ringen mit den Pius-Brüdern spricht, die allerdings christliche Schwesterkirchen viel eher verdient hätten. In Istanbul und Jerusalem hat er auch bewiesen, dass er aus eigenen Fehlern zu lernen bereit war. Und im Libanon hat er sein Engagement für den Frieden unter Beweis gestellt.
In einer Sache freilich ist die katholische Kirche unter seinem Pontifikat keinen Schritt weiter gekommen: in der innerkirchlichen Reform, die längst ansteht und durch den restaurativen Kurs der letzten zwei Päpste Spannungen mit dem Reform-orientierten Flügel der Kirche bis zur Zerreissprobe bzw. zur Resignation steigern liess. Inzwischen haben viele Katholikinnen und Katholiken gelernt, dass sie Besserung nicht vom nächsten Papst erwarten dürfen.
Bleibt am Ende zu wünschen, dass Benedikt XVI. nach seinem Rücktritt die nötige Askese aufbringt, um den von ihm und seinem Vorgänger ernannten Kardinälen wirklich eine freie Wahl zu ermöglichen – damit Gianluigi Nuzzi nicht noch ein weiteres Buch schreiben muss über „Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI.“ - vor der Wahl seines Nachfolgers.