Jetzt kann die Liebesgeschichte Indiens mit Maggi – sprich ‘Mägi’, wie Maggie Thatcher – wieder von vorne anfangen. Genaugenommen ist sie bereits wieder in voller Blüte. Im März eroberte Nestlé, die Besitzerin der Marke, in ihrem indischen Markt mit knapp fünfzig Prozent die Marktführerschaft zurück. Nur viereinhalb Monate zuvor hatte sie die Produktion ihrer neun Mischungen von Fertignudeln wieder aufgenommen. Nestlé war vom Gericht freigesprochen worden, als zuverlässige Laborprüfungen keine Verletzung der Lebensmittel-Vorschriften feststellen konnten.
Die einzige Frage, die weiterhin im Raum steht: Wer muss eigentlich wem vergeben? Der Konsument der Firma Nestlé, indem er wieder dessen leckere Teigwaren-Suppe schlürft, ohne sich ängstigen zu müssen, dass er dabei Geschmacksverstärker und giftige Bleireste einnimmt? Oder die Firma dem Land, weil sie vorgeführt bekam, dass selbst eine hundertjährige Lokalpräsenz und vorbildliche Sicherheitsprotokolle keine Garantie gegen eine mediale und politische Schmutzkampagne darstellen?
Verletzlicher Multi
Die Maggi-Story zeigt, wie verletzlich eine multinationale Konsumgüterfirma ist, trotz einer weltweiten Marktmacht. Der Ausdruck MNC steht immer gefährlich nahe am Abgrund eines Schimpfworts, weil sich in ihm Angst (vor Marktdominanz) und Neid (von Konkurrenten) vermischen Dies gilt selbst in den Heimatländern dieser Marken, und es ist besonders in einem Land wie Indien so, wo die Liebe zu einer internationalen Brand einhergeht mit der Neurose eines geringen nationalen Selbstwertgefühls.
Es ist vielleicht gut so, denn die Reputationsangst ist ein mächtiger Ansporn für jede solche Firma, es richtig zu machen. Und dies hat Nestlé wenn nicht vorher schon, so sicher in den sechs Monaten einer beispiellosen Hetzkampagne getan. Obwohl sie die Anschuldigungen unerlaubter Glucamat-Zusätze und Bleibelastung immer zurückwies, stellte sie ihre gesamte Produktion sofort ein. Sie rief rund 30’000 Tonnen Nudelpakete zurück und ‘entsorgte’ sie durch Verbrennung in den Hochöfen von zwei Zementfabriken. Was dies in einem Markt wie Indien bedeutet, zeigt die Zahl der Läden, in denen Maggi-Produkte abgezogen wurden: 3.5 Millionen.
Wer steckt dahinter?
Zwei Millionen von ihnen sind nun wieder mit Maggi Noodles bestückt. Es ist also der richtige Augenblick, die Frage zu stellen, wer diese Dreckschleuder-Kampagne ausgelöst hat. Kein Medienunternehmen hat eine Recherche darüber angestellt, obwohl sich zuvor fast Alle von ihnen von der Welle nationaler Empörung mittragen liessen. Es ist vielleicht nicht nur verdrängte Scham, die sie nun schweigen lässt. Schweigen tun ja auch Nestlé und mit ihr alle grossen Konsumgüterfirmen, und erst recht die Industrieverbände.
Dies lässt den Verdacht aufkommen, dass mehr dahintersteckt als einfach eine falsche Laboranalyse, ein vorschnelles staatliches Verbot, gefolgt von der unterschwelligen Furcht der indischen Mittelklasse, von kontaminierten Lebensmitteln vergiftet zu werden. Es ist wohl auch nicht nur eine unterschwellige Globalisierungsangst, die mit einem – vom Politiker Narendra Modi – wiedererweckten nationalen Hochgefühl einhergeht.
Umsatz: plus 150 Prozent
In einem Bericht der NZZ vom 30.3.2016 über das Unternehmen Patanjali Ayurveda schreibt der Delhi-Korrespondent Volker Pabst vorsichtig: “Patanjali nutzte die Kontroverse um die Bleibelastung von Maggi-Fertignudeln …. gezielt aus, um die eigenen Nudelsuppen als gesunde Alternative darzustellen”. Das kann man wohl sagen. Laut Firmenangaben wird Patanjali das Betriebsjahr, während dem die siebenmonatige Maggi-Sperre wirksam war, mit einem Umsatzwachstum von 150 Prozent abschliessen – statt 20 Mia. Rupien sollen es 50 Milliarden werden.
Der Mitbegründer und das Aushängeschild von Patanjali Ayurveda ist Swami Ramdev, laut NZZ “einer der bekanntesten spirituellen Führer Indiens”. So lautet zumindest Ramdevs Selbstdarstellung sowie jene der Medien, die dem Swami aus der Hand essen. Seine spirituelle Tätigkeit beschränkt sich im Grunde auf Hatha Yoga und das Atemprogramm Pranayama. Beide kommen mit einem Minmum an religiösem Unterbau daher und beschränken sich auf Körper- und Atemgymnastik.
Medialer Hansdampf
Hört man seinen ‘spirituellen’ Anweisungen zu, ist es durchwegs ein mit religiösen Floskeln kaschierter Hindu-Nationalismus, unter Beigabe der heute unumgänglichen Koseworte für Umweltsorge und saubere Regierungsführung. Wie Premierminister Narendra Modi, mit dem er oft die Bühne teilt, ist Ramdev ein medialer Hansdampf, und wie dieser schiesst er aus allen Röhren, mit Wortschablonen, die glatt wie Maggi-Nudeln hinuntergleiten.
Ramdev hat natürlich seinen eigenen Fernsehkanal, und als ‘Besitzer’ von Patanjali erscheint sein haarumsäumtes Konterfei in zahllosen Werbespots. Schliesslich ist die Firma nicht nur im Fertignudeln-Geschäft, sondern produziert Shampoos, Zahnpasta, Biskuits, Fruchtsäfte, Süssigkeiten, Getreide, Honig, Flüssigbutter. Laut Mint tauchte der Swami zwischen Januar und März 234’934 mal in Werbespots auf, “which works out to an ad every thirty seconds on one channel or the other”.
Politischer Flankenschutz der Regierung
Ich setzte das Wort ‘Besitzer’ in Anführungszeichen, denn als spiritueller Guru ist Ramdev selbstverständlich völlig besitzlos – zweifellos ein Asset in einer laut NZZ “frühkapitalistischen und zugleich tief spirituellen Gesellschaft”. Dasselbe gilt natürlich auch für die absolut natürliche ayurvedische Essenz in jedem Patanjali-Produkt, wie es der Firmenname (dem klassischen Meister der Yoga-Philosophie abgeluchst) garantiert.
Kann Spiritualität aber auch für die fragwürdige Geschäftsethik reklamiert werden, die hinter der Kampagne gegen Maggi-Nudeln steht? Während alle Mitspieler in dieser Affäre vielsagend schweigen, halten sich hartnäckig Gerüchte, dass Patanjali dabei die Hand im Spiel hatte. Die Firma hatte umso leichteres Spiel, als sie mit dem politischen Flankenschutz der BJP-Regierung rechnen konnte, und mit der patriotischen Nachhilfe der staatlichen Laboratorien.
Schwermetall in ayurvedischen Produkten
Trotz dem Sieg von Nestlé – sie verdankt ihn den weitgehend unabhängigen Gerichten – bleibt ein bitterer Geschmack zurück. Es is ja eines, eine ausländische Firma anzuklagen, sie verletze die Lebensmittelnormen; aber dies mit dem Hinweis auf Ayurveda zu tun, ist starker Tabak. Denn ausgerechnet die Hersteller vieler ayurvedischer Medikamente dürfen giftige Schwermetalle wie Blei, Quecksilber und Arsen beimischen, weil diese bei der Formulierung angeblich durch magische Formeln ‘ausgedünnt’ werden.
Der Journalist Girish Shahane, einer der wenigen, die sich der medialen Vorverurteilung von Nestlé widersetzten (im Online-Portal Scroll) zitierte eine Studie, die nachwies, dass 20 Prozent aller ayurvedischen Medikamente Spuren von Schwermetallen aufweisen. Dazu kommt, dass Luft und Trinkwasser in Indien oft Verunreinigungen enthalten, die ein Vielfaches der Spuren aufweisen, die sich angeblich in den Maggi-Nudeln versteckten. Oder muss man davon ausgehen, fragt Shahane mit beissender Ironie, dass das Immunsystem des Inders “zwischen dem Blei in den ayurvedischen Verschreibungen und jenem in den Maggi-Nudeln unterscheiden kann”?
Swami Ramdev ficht diese einsame Stimme in der medialen Wüste nicht an. Er fühlt sich mit Recht geborgen unter dem Schutzschirm eines Premierministers, der ein eigenes Ministerium für AYUSH – Ayurveda, Yoga, Unani (traditionelle islamische Medizin) und spirituelles Heilen – geschaffen hat. Und er revanchiert sich, indem er seine Auftritte zunehmend mit hindu-nationalistischen Invektiven würzt. “Wenn es nicht ein Gesetz dagegen gäbe” rief er kürzlich aus, “hätte ich alle hinrichten lassen, die sich weigern, ‘Hoch lebe Mutter Indien’ zu rufen!”. Worauf eine satirische Theatergruppe ihm einen neuen Namen für das Patanjali-Shampoo empfahl: Behead and Shoulders.