Schon wieder wird die Schweiz contrecoeur zu einer Reform geschubst: auf ausländischen Druck hin. Warum ist unser Land nicht in der Lage, sich rechtzeitig und aus eigener Kraft und Überzeugung zu reformieren? Unwillkürlich werden wir an das Bankgeheimnis erinnert, seinen kläglichen Untergang trotz bundesrätlicher Durchhalteparolen.
Worum geht es?
Diesmal geht es um Steuerprivilegien, genauer gesagt um die Abschaffung verpönter ermässigter Besteuerung von ausländischen Erträgen von Holding-, Domizil- und gemischten Gesellschaften in der Schweiz. Beim Aktionsplan der OECD zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung – einem Vorhaben, das weitherum Akzeptanz erfährt – ist das Projekt Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) tragende Hauptstossrichtung.
Solche Statusgesellschaften, wie wir sie nennen, haben für die Schweiz eine grosse Bedeutung. Sie bezahlen rund die Hälfte der Gewinnsteuereinnahmen des Bundes, in den Kantonen nochmals rund einen Fünftel, insgesamt über neun Milliarden Franken jährlich. Während Jahren haben sich Kantone und Regionen darin überboten, ausländische Konzerne anzulocken mit Steuergeschenken. Nun, da diese Praxis in die Kritik gerät, gilt es zu retten, was zu retten ist. Mit anderen Worten: Damit diese lukrativen Steuerzahler die Schweiz nicht verlassen – würde diese die Steuern für sie erhöhen – wird mit der Unternehmenssteuerreform III versucht, die Attraktivität des Steuerstandorts und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten: Durch generelle Steuersenkungen für alle Unternehmen; die kritisierte, unterschiedliche Besteuerung in- und ausländischer Firmengewinne fällt damit weg.
Die goldene Regel
„Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“ So oder ähnlich argumentierten unsere Grosseltern. Inzwischen werden solche besinnlichen Regeln längst vom Tisch gewischt. Ein günstiges Steuerklima geht vor, in der kleinen Schweiz ein Kampf zwischen den Kantonen, in der globalisierten Welt zwischen Nationen.
Bevor wir uns mit den Details der Abstimmungspropaganda befassen, sei die Frage erlaubt: Wie ethisch verantwortbar ist eigentlich Steuerdumping? Dieses Spiel mit Gewinnern und Verlierern ist beliebt und erfährt verklärte Begründungen. Deshalb die Umkehrfrage: Was würden Schweizerinnen und Schweizer empfinden, würden z. B. Nestlé, Novartis oder Roche durch „befreundete“ Nationen aus der Schweiz gelockt, um bei ihnen Steuern zu sparen? Und der Schweiz gingen damit Millionen von Steuereinnahmen verloren?
Und realisieren wir, dass die grössten Profiteure der bisherigen schweizerischen Steuergeschenke ausgerechnet Rohstoffhändler und Grossbanken sind? (Die Schweizerischen Grossbanken allerdings in abnehmendem Ausmass: diese bezahlen heute eher Bussen als Steuern …)
Angststrategien als Propaganda
Nicht zum ersten Mal vor einer eidgenössischen Abstimmung ist die Verbreitung von Angstszenarien beliebtestes Argument. Diesmal befahren gleich beide Seiten, Befürworter und Gegner der Reform, diese Schiene mit Getöse. Die Gegner warnen vor leeren Kassen in Städten und Gemeinden, vor massiven Steuerausfällen und demzufolge Steuererhöhungen für den Mittelstand. Die Befürworter malen das Schreckensszenario der in Massen die Schweiz verlassenden Konzerne an die Wand, mit Steuerausfällen in Milliardenhöhe.
Was ist aus dieser Situation zu schliessen? Beiden Seiten fehlt es schlicht an Zahlen und Fakten, um die Folgen dieser Steuerreform für die Wirtschaft, den Staat und die Steuerzahler zuverlässig abzuschätzen. Diese Vorlage ist eine Blackbox. Darum wird die Propaganda weg von Fakten auf Gemeinplätze verlagert, das Stimmvolk soll „glauben“ statt wissen.
Die rot/weissen, in alle Haushalte gratis verteilten Ja-Zeitungen sprechen Bände: „Für eine starke Schweiz“ hat schon immer funktioniert. Sogar beim Käse und den Bauern. Je näher der Abstimmungstermin rückt, desto schriller wird die Propagandamaschine.
Starker Wirtschaftsstandort Schweiz
Besonders für die kleine Schweiz ist ein attraktiver Wirtschaftsstandort von enormer Wichtigkeit. Die Abschaffung bisher gewährter Steuerprivilegien betrifft rund 150‘000 Angestellte. Ohne Kompensation, bei einer Abschaffung des status quo, würde die Steuerbelastung für die betroffenen rund 24‘000 Firmen von 8-11% auf 12-24% steigen (NZZ). Dieser Faktor ist Tatsache, wie viele von ihnen deswegen unser Land verlassen würden, ist Gossip. Keiner weiss es. Denn die Schweiz bietet neben tiefen Steuern einen ganzen Strauss von Werten, die ebenfalls zur Standortattraktivität beitragen: Sicherheit, Freiheit, hohes Bildungswesen, zuverlässiger ÖV sind nur einige davon, jedoch zunehmend wichtige in Zeiten der Unsicherheit.
Immerhin gilt es zu bejahen, dass unser kleines Land ohne Rohstoffquellen darauf angewiesen ist, mit Top-Dienstleistungen international tätigen Konzernen ein verlässliches Standortumfeld anzubieten. Eine zukünftige Verlagerung weg von Steuerprivilegien-Lockangeboten auf nachhaltigere, zukunftsfähigere und innovative Leistungspaletten „made in Switzerland“ ist deshalb dringend notwendig und die Aussichten dafür sind gut bis sehr gut.
Patentbox, Forschungsabzüge, zinsbereinigte Gewinnsteuer
Ein wichtiger Expertenstreit dreht sich um die Frage, in wieweit die Patentbox, die steuerliche Ausnahmeregelung für Forschungs- und Entwicklungsaufwand (F+E), sowie die zinsbereinigte Gewinnsteuer (fiktive Zinsabzüge auf überschüssigem Eigenkapital) für neue, kreative „Steuerschlupflöcher“ sorgen werden. Innovationen zu fördern ist sinnvoll, die Interpretierung dieser drei Begriffe ist allerdings dehnbar. Die Auslegung durch den Bundesrat ist noch offen.
Zum besseren Verständnis: Die Forschung und Entwicklung von patentgeschützten Produkten in der Schweiz soll angekurbelt werden. Diese Idee ist prinzipiell lobenswert. Je mehr solche lanciert werden, desto höher fällt der Steuerrabatt aus. Naheliegendes Beispiel: Nespresso-Kapseln. Gemäss TA wären nach Annahme der Vorlage bis zu 90 Prozent des Gewinns abzugsfähig. Ist das nun eine Subvention oder eine Innovationsförderung?
Bei der zinsbereinigten Gewinnsteuer, auch genannt „PWC-Trick“ (PWC = Pricewaterhouse Coopers), handelt es sich um ein besonders innovatives Produkt der Steuerberatungsfirmen, die in der Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung der Reform direkt beteiligt waren (!), um weiterhin in grossem Stil Steuern „optimieren“ zu können.
Argumente statt Propaganda, Kommunikationsagenturen entscheiden
Auch wenn – wie wir gesehen haben – niemand so recht weiss, welches die Auswirkungen dieser Steuerreform sein werden, so wäre doch zu erwarten, dass die Abstimmungsparolen Fakten reflektieren. In diesem Sinne ist es einmal mehr dem Schweizerischen Gewerbeverband vorbehalten, mit provokanten Aussagen ihres Direktors Hans-Ulrich Bigler im Vorfeld der Abstimmung für grossen Unmut zu sorgen. Gegner der Vorlage werden als Befürworter dargestellt – wie weit das Argument der bewussten Irreführung der Wähler da zählt, sei der Beurteilung unserer Leserinnen und Lesern überlassen.
Die millionenschwere Abstimmungskampagne von Economiesuisse und Gewerbeverband – insbesondere diese in alle Haushalte gratis verteilte Gewerbezeitung „Steuerreform Ja“, die im Erscheinungsbild stark an vergangene SVP-Kampagnen erinnert – lässt darauf schliessen, dass man die schlechten Umfragewerte für diese Steuerreform ernst nimmt. Ob diese Art der Information bei mündigen Bürgerinnen und Bürgern den anvisierten Effekt auslöst, ist allerdings mehr als fraglich.
Experten- und Politikerstreit
Während Wochen haben sich nun in den Medien Politiker, Finanzvorstände, selbsternannte Experten darüber gestritten, ob dem Mittelstand höhere Steuerrechnungen drohten oder ob diese Umstellung höchstens geringe Steuerausfälle zur Folge hätte. Auf die Frage, warum der Bund keine offiziellen Schätzungen herausgebe und deshalb Gegner und Befürworter mit irreführenden Zahlen operierten, antwortete unser Finanzminister Ueli Maurer: „Solche Diskussionen sind nicht zu vermeiden. Damit muss man sich abfinden.“ (TA) Jetzt wissen wir auch das.
Schon seit Monaten steht dieser Urnengang im Fokus von Strategen und Meinungsforschern. Dass er wichtig ist, dürfte allen klar sein. So wie die Diskussionen bisher verlaufen sind, hat sich der Nebel jedoch nicht gelichtet. Der immer näher rückende Abstimmungstermin lässt eine Feststellung unbestritten: Die Sache ist für Bundesrat und Volk eine „Herausforderung“. Wenn Frau Martullo-Blocher uns zudem sagt, „die Reform ist der richtige Weg für die Schweiz“, dann wissen wir jetzt auch das und wäre diese „Herausforderung“ mit Annahme der Vorlage mit Bravour gemeistert.
Abschliessend: die angedrohten drastischen Konsequenzen bei einer Ablehnung dieser intransparenten Vorlage ignorieren eines: Es ist dem Parlament vorbehalten, innert Kürze eine neue auszuarbeiten, weniger von Experten der Beratungsfirmen konzipiert, als auf die Gesamtinteressen der Bevölkerung ausgerichtet. Leider hat es die Politik verpasst, mit diesem Reformvorschlag einen brauchbaren Kompromiss zu erarbeiten. Zurück an den Absender scheint die adäquate Antwort.
Für ein Nein zur Vorlage machen sich SP, GP und EVP stark. Alle anderen Parteien, Economiesuisse und Schweiz. Gewerbeverband, Bundesrat und Parlament empfehlen ein JA.