"Schrift in Flammen" von Miklós Bánffy war eine literarische Entdeckung. Jetzt folgt dem im vergangenen Jahr erstmals auf Deutsch erschienenen Buch der zweite Band der dreiteiligen "Siebenbürger Geschichte". Er trägt den Titel "Verschwundene Schätze" und bestätigt den Rang des Autors. Es ist das Verdienst Andreas Oplatkas als Übersetzer und des Paul-Zsolnay-Verlags, die beiden 1934 bzw. 1937 auf Ungarisch veröffentlichten Werke einer deutschsprachigen Leserschaft zugänglich gemacht zu haben.
Sprachmächtig und erzählstark
Inhaltlich geht es um die letzten Jahre des Habsburgerreichs vor dem Ersten Weltkrieg und den Zerfall Ungarns. Aus dessen Perspektive - einer uns kaum bekannten, aber unser Geschichtsverständnis erhellenden - schildert Miklós Bánffy aus eigenem Erleben in der Form eines faktengenauen Romans die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen vor dem "Ende des bürgerlichen Zeitalters" (Wolfgang J. Mommsen) und der "Urkatastrophe Europas" (George F. Kennan).
"Schrift in Flammen" und "Verschwundene Schätze" sind in doppelter Hinsicht packend. Zum einen handelt es sich bei Miklós Bánffy, 1873 geboren und 1950 gestorben, um einen scharf beobachtenden und die Zusammenhänge erfassenden Zeitzeugen, der aus hochadliger Familie stammte und Ungarn als Abgeordneter, Aussenminister sowie als Opern- und Theaterintendant diente.
Zum andern ist er ein sprach- und erzählmächtiger Romancier, der Landschaften, Stimmungen und Menschen beschreibt, als würden wir selber hellen Blicks über Hügel und durch Wälder reiten, in der Abendgarderobe vor durchlauchtigen Herrschaften erscheinen oder einem Politiker im Streitgespräch gegenübersitzen. Die unmittelbare, fein schattierte Bildhaftigkeit ist fesselnd und erleichtert die Lektüre der mit protokollierendem Pflichtbewusstsein festgehaltenen Parlamentsdebatten. Richtig bleibt, bei Miklós Bánffy an Leo Tolstois "Krieg und Frieden" zu denken, an Thomas Manns "Buddenbrooks" und Joseph Roths "Radetzkymarsch" . Zum sprachlichen Genuss leistete Andreas Optlaka, was Kenner sowohl des Ungarischen als auch des Deutschen bestätigen, einen wichtigen Beitrag.
Das kleine im grossen Rad
Die "Verschwundenen Schätze" beleuchten einerseits den grossen Lauf der ungarischen Geschichte und anderseits den kleinen, alltäglichen am Beispiel eines liberal-idealistischen Grossgrundbesitzers und seiner unglücklichen Liebesbeziehung mit einer verheirateten Gräfin. Miklós Bánffy schaltet die öffentlichen und die privaten Geschehnisse parallel und dramaturgisch spannend. Im riesigen Rad dreht sich das winzige mit, gelegentlich bremsend, schliesslich mitgetrieben.