Was wurde in den vergangenen Wochen nicht über die No-Billag-Initiative gestritten! Die einen lobten die SRG in alle Himmelshöhen, die andern verwünschten sie in alle Höllentiefen. Die einen beschworen ihre Unentbehrlicheit für die Willensnation Schweiz, die andern predigten das pure Gegenteil, wie beispielsweise die Zürcher SVP-Nationalrätin Natalie Rickli in der Ratsdebatte: „Die Schweiz existiert nicht wegen der SRG. Sie hat schon vorher existiert und würde auch ohne Gebührengelder weiter existieren.“
Ein Medien-Regime für Friedenszeiten
Seltsamerweise aber spielte in der bisherigen Diskussion das unscheinbare Sätzchen, das eben diese Existenzfrage anspricht, keine Rolle. Es lautet:
„Der Bund betreibt in Friedenszeiten keine eigenen Radio- und Fernsehstationen.“
Was wollen uns die Initianten mit diesem Sätzchen (Absatz 6 in ihrem Text) genau sagen? Leider ging der Bundesrat in seiner Botschaft zur Billag-Initiative nur sehr rudimentär darauf ein, und in den homerischen Ratsdebatten fühlte sich auch niemand bemüssigt, Sinn und Tragweite der Formulierung auszuleuchten. Selbst im ausführlichen Argumentarium der No-Billag-Leute, einem 28-Seiten-Papier, fehlt jeder Hinweis.
Also muss der Stimmbürger selber seine Überlegungen dazu anstellen.
Und wenn die Friedenszeiten kippen?
Aus dem ausdrücklichen Verbot eigener Medienstationen „in Friedenszeiten“ geht eindeutig hervor, dass die Initianten für „Kriegszeiten“ Ausnahmeregelungen zulassen möchten. Hält man sich an ihren Text, dürfte der Bund in kriegerischen Situationen – oder müsste er gar? – eigene Radio- und Fernsehstationen betreiben (was das geltende Recht nicht vorsieht).
Es wäre interessant zu erfahren, welche Überlegungen die Initianten zu ihrer Formulierung bewogen. Möglicherweise erinnerten sie sich an den Zweiten Weltkrieg und die Rolle, die der Landessender Beromünster in jener Zeit spielte.
Beromünster war damals jedermann vertraut. Zwar gingen seine betulichen und gelehrsamen Programme vielen auf die Nerven, sodass namentliche jüngere Leute oft auf die deutschen Sender umschalteten, weil diese „rassige“ und „schmissige“ Musik am Laufmeter ausstrahlten – allerdings auch grosse Dosen an Propaganda. Dies wiederum versetzte die geistigen Landesverteidiger in Unruhe. Doch alles in allem war Beromünster der verlässliche Begleiter, man wusste, woran man war, seine Nachrichten rhythmisierten die Abende in der Wohnstube, und die Weltchronik, die Professor von Salis jeweils am Freitag um 19.10 Uhr ausbreitete, war ein Strassenfeger.
Indem die No-Billag-Initianten das Verbot „bundeseigener“ Sender auf „Friedenszeiten“ beschränken, räumen sie im Grunde ein, dass sie für „brenzlige“ Zeiten ihrem Medienkonzept nicht trauen, dass Radio- und TV-Sender, bei denen irgendwelche Schweizer Milliardäre oder potente Medien-Anstalten im Ausland das Sagen hätten, in solchen Zeiten keine Gewähr böten für die solide Grundversorgung mit Nachrichten, und demzufolge der Staat, von dem man sich in Friedenszeiten um jeden Preis „befreien“ will, in die Bresche springen müsste.
Heikle Situationen
Doch kann das gut gehen: einfach Vater Staat herbeirufen, wenn Not am Mann ist? Das Rezept ist leichtfertig. Dies schon deshalb, weil die Begriffe Friedens- bzw. Kriegszeiten nicht so eindeutig sind, wie sie auf den ersten Blick scheinen, und weil in ihnen viel psychologische Sprengkraft steckt. Dazu ein kleiner Exkurs, nochmals in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, aber in einer ganz anderen Thematik.
Mit dem neuen Strafgesetz vom 1. Januar 1942 schaffte die Schweiz die Todesstrafe ab. Das Militärstrafrecht aber sah diese für „Kriegszeiten“ weiterhin vor, und das Gesetz ermächtigte den Bundesrat zudem, ihre Anwendung auch „bei unmittelbar drohender Kriegsgefahr“ zu beschliessen. Im Frühjahr 1940 drängte sich aus Sicht von Armeeführung und Bundesrat der Gebrauch der Todesstrafe auf.
Die Schweiz befand sich zwar nicht im Krieg, aber angesichts ihrer Umzingelung durch die Nazis konnte auch nicht von Frieden gesprochen werden. Und sich auf die „unmittelbar drohende Kriegsgefahr“ zu berufen, die das Volk tatsächlich als solche empfand, getraute sich der Bundesrat nicht. Erstens, weil er die verängstigte Bevölkerung nicht zusätzlich erschrecken wollte, zweitens, weil das Ausland, sprich Deutschland, einen solchen Bezug vielleicht falsch ausgelegt und der Schweiz kriegerische Absichten unterschoben hätte (vgl. Peter Noll, Landesverräter). Also liess der Bundesrat die gesetzliche Kompetenz ruhen und führte die Kapitalstrafe über Notrecht ein.
Womit gesagt sein soll: Weichen(um)stellungen in schwierigen Zeiten senden mitunter Signale aus, die unbeabsichtigte Effekte haben können.
Einfach den Hebel umlegen?
Wichtiger als solche Signal-Psychologie ist aber wohl die Frage: Wäre der Bund, sollte mit dem Frieden – und dem angeblich alles regulierenden Markt – wirklich mal Schluss sein, überhaupt in der Lage, aus dem Stand heraus eigene Radio- und Fernsehstationen zu betreiben? Liesse sich auf dem sensiblen Feld der Medien einfach der Hebel umlegen? Wären Personal und Infrastruktur griffbereit? Verlässlichkeit und Vertrauen, die wichtigsten Eigenschaften von Medien, die ernst genommen werden sollen, setzen Kontinuität voraus. Auf die Schnelle lässt sich das nicht herbeizaubern.
Es mag ja verdienstvoll und gut gemeint sein, wenn die Billag-Leute – mitten in Frieden und Wohlstand – auch an schwierige Zeiten denken. Doch das Sätzchen, das ihnen dazu eingefallen ist, wirft mehr Fragen auf, als es Antworten bietet – und verdient daher nicht, in die Verfassung aufgenommen zu werden.