Vor einer Woche zwang sich auch der Regierungschef des Bundesstaats Gujerat zu einer Fastenkur. Die Wendung ‚Pulling a fast one‘ – ‚Jemand übers Ohr hauen‘ – wurde mit der Doppelbedeutung von ‚fast‘ zum geflügelten Wort der Zeitungskommentare. Das Oberste Gericht hat eine Klage gegen ihn an ein Strafgericht verwiesen. Modi nutzte das Scheinwerferlicht und rief ein dreitägiges Fasten aus, um den grausigen Anlass in einen politischen Punktsieg zu verwandeln.
Die Klage ist ernst genug: Sie lautet auf Anstiftung zu einem Massenmord in einer Wohnkolonie von Ahmedabad am 28.Februar 2002. Am Tag zuvor waren damals 59 Hindu-Pilger in einem Eisenbahnwagen verbrannt, als dieser in Brand geraten war. Modi hatte die Muslime für den Pilgertod verantwortlich gemacht, und gab der Polizei die Order aus, bei Racheakten von Hindus nicht einzugreifen. Als ein Bewohner der muslimischen Wohnkolonie, der Parlamentarier Ehsan Jafri, beim Nahen eines Mobs verzweifelt Polizeipräsidium und Innenministerium anrief, stöpselte ihn die Zentrale in eine endlose Warteschlaufe um. Jafri wurde zusammen mit 67 Mitbewohnern erschlagen. Das Massaker von Gujerat, mit über 3000 Toten das schwerste Pogrom im unabhängigen Indien, nutzte Modi als Karriereleiter. Dreimal wählte ihn die Hindu-Mehrheit zum Regierungschef. Den Blutfleck versuchte er loszuwerden, indem er den landesweiten Abscheu als ‚Beleidigung des Gujerati-Nationalstolzes‘ zurechtbog. Kein Wort der Trauer oder gar Reue kam je über seine Lippen. Er wählte eine clevere Umgehungsstrategie. Statt weiterhin auf die anti-muslimische Pauke zu hauen, setzte er seine ganze Energie auf die wirtschaftliche Entwicklung seines Staats.
Gütiger Landesvater?
Der Erfolg gab ihm recht, und Modi wurde zum ‚Posterboy‘ der rechtsnationalen BJP-Partei. Mit demagogischem Talent positioniert er sich nun als zukünftiger Parteikandidat für das Amt des Premierministers. Das Damoklesschwert der Privatklagen von Angehörigen der Opfer blieb jedoch über ihm hängen. Als nun die Richter in Delhi die Klage von Ehsan Jafris Witwe an das zuständige Lokalgericht verwies, deutete die BJP diesen prozeduralen Entscheid als Beweis für Modis Unschuld und als vernichtenden Rückschlag der ‚Hetzkampagnen‘ gegen ihn. Und Dieser nutzte die Gelegenheit zu einem Imagewechsel.
Ein dreitägiges Fasten sollte zeigen, was für ein gütiger Landesvater er ist. Modi weiss wie kein Zweiter effizientes Regieren mit symbolträchtigen Gesten zu verbinden. Seine dreiste Diät gab ihm nicht nur eine nationale Plattform, er wollte sie nutzen, um endlich das Odium eines Muslimfressers loszuwerden. Das Hungerfasten, erklärte er, sei ein Beitrag zur (religiösen) „Harmonie“, ein „Gebet für Gemeinsamkeit“. Ein ganzseitiges Inserat in zahlreichen Zeitungen Indiens richtete sich an „My dear Brothers and Sisters“. Er werde während der Fastentage „zum Allmächtigen beten“, hiess es im ‚Brief‘, „mir Kraft zu geben, keine Hassgefühle und Bitterkeit gegen jene aufkommen zu lassen, die Gujerat oder mich diffamiert haben“. Der eigentliche Grund war prosaischer: Im Wahljahr 2014 wird er auf die Stimmen von Muslimen (oder die Unterstützung durch muslimfreundliche Lokalparteien) angewiesen sein, will er den Thron in Delhi besteigen.
Regiepanne, Demaskierung?
Die drei Tage in einer Halle für 5000 Zuschauer folgten einem genauen Drehbuch. Auf der Bühne, neben und hinter dem thronartigen Fauteuil Modis, waren Stühle aufgereiht, wo sich BJP-Politiker aus Delhi, Filmschauspieler und Vertreter regionaler Parteien abwechselnd hinsetzten, um sich mit dem neuen Mahatma fotografieren zu lassen. Zwischendrin verschwand er in einen Nebenraum, um sich von den Medien befragen zu lassen. Die Fernsehkanäle standen Schlange, und jedem gab er seine griffigen Bilder zum Besten: „Ich habe die Steine, die meine Feinde auf mich warfen, benutzt, um eine Treppe zum Wohlstand aller zu bauen“, lautete eins. Die Regisseure hatten auch Vertreter muslimischer Organisationen eingeladen. Auch sie wurden auf die Bühne geladen, um Modi zu huldigen und die religiöse ‚Harmonie‘ zu demonstrieren, die in grossen Lettern über der Bühne prangte. Doch dann kam es zu einer Regiepanne. Eine Delegation von Imams liess es nicht mit einem Gruss bewenden; sie wollten Modi auch das schwarze Hütchen der Bohri-Händlerkaste aufsetzen. Das war verständlich, kennt doch jeder Gujerati Modis Vorliebe, mit Kopfbekleidungen ethnische Zugehörigkeit zu markieren. Es war der zweite Fastentag, und Modi war bereits mehrfach mit bunten Turbanen geehrt worden, jeder das Kennzeichen einer Kaste oder Region. Doch nun ergriff er sofort die Hände des Imam, mit denen dieser zur ‚Krönung‘ angesetzt hatte, und liess sie nicht mehr los, bis er sich genügend Distanz schaffen und abwenden konnte.
Fernsehbilder lassen sich manipulieren, aber sie können auch unerbittlich sein. Die Szene wurde tausendfach abgespult und war ein nationales Gesprächsthema. Für Modi-Gegner war es die Demaskierung der sorgfältig präparierten ‚Persona‘ Modis, die seine tiefsitzenden Ressentiments offenlegte. Andere Beobachter warnten davor, ihn für dumm zu verkaufen. Der Soziologe Shiv Vishwanathan, kein Freund Modis, sah im Zwischenfall vielmehr ein subtiles Lavieren. Modi wisse genau, wie weit er mit seiner Annäherung an die Muslime gehen kann. Anders als im restlichen Indien sind die meisten Gujerati Hindus eingefleischte Muslimgegner – die Folge auch von Modis Hassrhetorik. Sollten sie spüren, dass er sich den ‚Muhs‘ aus wahltaktischen Gründen anbiedert, würden sie ihm den Rücken kehren. Hatte nicht der RSS, der radikale Hindu-Kaderverband, Modis ‚inklusive‘ Wirtschaftspolitik wiederholt getadelt? Modis Geste war also nicht ein Regiefehler, sie folgte genau dem Skript, dessen Subtext lautete: Zeig den Minderheiten, dass Du auf Alle zugehst, aber beruhige Deine Stammwähler, dass Du immer noch ein strammer Hindu bist.
Es war bereits das zweite Mal in einem Monat, dass Politiker einen Hut in den politischen Ring warfen. Anna Hazare hatte mit der Wahl des weissen ‚Topi‘ – einem längsgerichteten, faltbaren Baumwollkäppchen – bewusst ein starkes Signal gesetzt: Es erinnert die Inder an die heroische Zeit des Befreiungskampfs, und es ist das ikonische ‚Gandhi-Topi‘. Der Mahatma, immer genau darauf achtend, was er trug, hatte damals viele lokale Kopfbedeckungen als Protestsymbol in Betracht gezogen und sie auf ihre klimatische, hygienische, soziale Verträglichkeit und politische Assoziationskraft geprüft. Er verwarf sie Alle, und entwarf schliesslich selber ein Modell. Es war genial einfach und wurde im Nu zum Symbol des Freiheitskampfs. Gandhi war ein Gujerati, und Modi ist bei ihm in den Unterricht gegangen – wenn auch leider im falschen Fach.