Das Attentat, dem Fakhrizadeh am 27. November zum Opfer gefallen war, provozierte wütende Reaktionen in der iranischen Presse, die sich sowohl gegen die möglichen Urheber wie gegen die Behörden im eigenen Land richteten. Diesen wurde vorgeworfen, aus der Anschlagserie der Vergangenheit nichts gelernt zu haben und über so viele Schwachstellen zu verfügen, dass es einem Gegner ein Leichtes sei, seine finsteren Pläne umzusetzen. Zugleich aber nötigte die Perfektion des Attentats der Presse sogar einen gewissen Respekt ab.
Die Perfektion eines Attentats
Planung und Durchführung des Attentats weisen in der Tat auf eine hohe Professionalität und auf Unterstützung durch lokale Akteure hin. Der Nuklearforscher Fakhrizadeh war am Freitagmorgen aus Rostam in der Provinz Mazandaran kommend und eskortiert von drei weiteren Fahrzeugen auf dem Weg nach Teheran 45 Kilometer östlich der Hauptstadt im Dorf Absard unterwegs, als er Einschläge an seinem gepanzerten Auto japanischen Fabrikats hörte. Eines der Begleitfahrzeuge war zuvor in den Ort gefahren, um die Durchfahrt zu sichern. Fakhrizadeh hielt an, da er wohl einen Motorschaden vermutete, und stieg aus. In dem Moment wurde er von einer Salve getroffen, die aus einem ferngesteuerten, auf einem 150 Meter entfernten Pickup platzierten Maschinengewehr abgefeuert worden war. Nach der Salve explodierte der Pickup. Von mindestens drei Kugeln getroffen, wurde Fakhrizadeh per Hubschrauber in ein Teheraner Krankenhaus gebracht, wo er aber bald schon verstarb.
Die Medien betonten, dass bei dem dreiminütigen Anschlag kein einziger Angreifer zugegen gewesen war. Der Besitzer des Pickups hatte angeblich das Land zuvor verlassen. Alles deutet darauf hin, dass die Attentäter über eine hervorragende logistische Infrastruktur vor Ort verfügten. Ihr Insiderwissen lässt vermuten, dass sie ihre Informationsquellen nicht nur im Verteidigungsministerium, wo der 61-jährige Fakhrizadeh in der Abteilung für Forschung und Innovation angestellt gewesen war, sondern auch im Sicherheitsapparat und wohl auch in Zirkeln der Revolutionsgarden hatten.
Das bekannt-unbekannte Opfer
Über die Person Fakhrizadeh sind auch iranische Medien nur unzureichend informiert. Das möchten die Behörden wohl auch so belassen. Insofern kam ihnen der Umstand gelegen, dass wegen der Corona-Pandemie die Beerdigung nur in einem kleinen Kreis stattfinden durfte. Immerhin wurde die kurze Zeremonie durch eine Fernsehanstalt übertragen.
Es dürfte allerdings sicher sein, dass Fakhrizadeh parallel zu seiner akademischen Tätigkeit bei den Revolutionsgarden Karriere gemacht hatte und dort bis zum Brigadegeneral aufgestiegen war, dann aber im Verteidigungsministerium für die „Organisation für Neue Verteidigungsforschung“ (persisches Akronym Sepand) tätig gewesen ist. Seit 2017 sind dieser Organisation auch das im Osten der Hauptstadt gelegene Atomforschungszentrum Sorkh-e Hesar und das Amad genannte Forschungsprogramm, das die Konstruktion eines Nuklearsprengkopfs zum Ziel haben soll, unterstellt.
Es verwundert kaum, dass Fakhrizadeh, oft nur Dr. Hasan Mohseni genannt, viele Feinde hatte. Allen voran trachteten die iranischen Volksmojahedin danach, ihn zusammen mit anderen Verantwortlichen der iranischen Nuklearforschung in der Öffentlichkeit anzuklagen. 2003/4 war ihnen das schon einmal gelungen. Nachdem ein Team des israelischen Geheimdienstes Mossad im Januar 2018 in einem Teheraner Lagerhaus kiloschwere Akten der iranischen Atomforschung auch zum Amad-Projekt, das sogenannte Atom-Archiv Irans, gestohlen und ausser Landes gebracht hatte und der israelische Premier Benjamin Netanjahu im Mai 2018 Fakhrizadeh als Mastermind der militärischen Nuklearforschung bezeichnet hatte, war klar, dass Fakhrizadeh auf Mossads Abschussliste geraten war. Zuvor waren schon seit 2010 sechs andere iranische Atomforscher Opfer von Attentaten geworden. Aber auch Saudi-Arabien und die USA hatten Fakhrizadeh auf dem Radar. Und selbst den Verantwortlichen in Iran dürfte bewusst gewesen sein, dass sich am 28. November 2020 die Ermordung des Atomwissenschaftlers Majid Shahryari zum zehnten Mal jähren würde. Die Zeichen standen auf Sturm.
Die iranischen Behörden wussten von der Gefährdung, der Fakhrizadeh ausgesetzt war. Daher äussern sich auch in iranischen Berichten mehr und mehr besorgte Stimmen, die den Revolutionsgarden, dem Staatschutz und dem Verteidigungsministerium nicht nur Versagen vorwerfen, sondern auch über undichte Stellen, ja über verdeckte Intrigen spekulieren. Zwar haben die Revolutionsgarden den jüngsten Machtkampf mit der Regierung von Präsident Rohani nach der Ermordung von Qasem Soleimani, der Kommandanten der Qods-Brigaden in Bagdad am 3. Januar 2020 und dem versehentlichen Abschuss von Ukraine-International-Airlines-Flug 752 am 8. Januar 2020 für sich entscheiden können, doch hatten ihr Renommee und vor allem ihre Glaubwürdigkeit starken Schaden genommen.
Abwartende Ratlosigkeit
Daher beeilte sich der Oberbefehlshaber der Revolutionsgarden, Hosein Salami, zu erklären, dass Rache für die Ermordung Fakhrizadehs und die Bestrafung der Attentäter unmittelbar bevorstünde. Doch schon wenig später wurde er vom Sprecher der Revolutionsgarden, General Ramadan Sharif, korrigiert: Zwar kenne man die Täter, wolle sich aber nicht zu übereilten Reaktionen hinreissen lassen.
So wartet man auch in Teheran gebannt darauf, wie sich die Lage weiter entwickeln wird. Ein militärisches Abenteuer wie im Januar 2020 als Reaktion auf die Ermordung Soleimanis erwartet kaum jemand. Zwar gilt Fakhrizadeh als Märtyrer und werden schon jetzt Schulklassen nach ihm benannt, doch ist er nie eine öffentliche Figur wie Soleimani gewesen, und das möchte das Regime auch nicht ändern. Denn jede Debatte über Fakhrizadeh könnte auch Informationen zu seinem Tätigkeitsbereich enthalten, und diese könnten dann als Eingeständnis Irans gedeutet werden, tatsächlich an einem militärischen Nuklearprogramm zu arbeiten.
Doch weder Israel noch die USA, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Saudi-Arabien werden Iran diese Ruhe gönnen. Offen wird auch in der iranischen Presse darüber spekuliert, ob der US-Präsident Donald Trump den Mord in Auftrag gegeben hat, um Iran so zu provozieren, dass ein Militärschlag gegen iranische Nukleareinrichtungen möglich würde. Andere gehen sogar so weit und befürchten eine weitergehende militärische Konfrontation zwischen der neuen Nahost-Allianz (USA, Israel, Saudi-Arabien, VAE) und Iran mit seinen Alliierten. Trump, so wird vermutet, könnte diese Situation nutzen, seine Amtszeit zu verlängern, da unter Kriegsbedingungen wohl kaum eine ordentliche Machtübergabe an Biden zu bewerkstelligen sei.
Warum gerade jetzt?
So weit wird es wohl nicht kommen. Wohl aber deutet der Zeitpunkt des Komplotts darauf hin, dass die USA im Konzert mit der neuen Nahost-Allianz eine rasche Rückkehr der Biden-Administration zum Nuklearabkommen verhindern möchte. Sicherlich ging es auch nicht darum, Irans technologische Fähigkeit zum Bau einer Atombombe durch die Ermordung eines seiner Spezialisten zu verhindern. Dies war bei der Attentatsserie von 2010 bis 2012 noch anders gewesen. Damals war es das Ziel der USA und Israels, den Iran seines Technologiewissens zu berauben. Heute, wo Iran kaum in der Lage ist, im nächsten Jahrzehnt genügend hochangereichertes Uran für eine einzige Waffe zu produzieren, geht es um mehr: Es soll deutlich werden, dass ausländische Mächte in Iran schalten und walten können, wie sie wollen, dass Iran nicht mehr Herr im eigenen Haus ist. Es soll jedem externen Verbündeten Iran deutlich gemacht werden, dass Iran nur noch ein Papiertiger ist, dass es selbst seinen inneren Zirkel nicht mehr beschützen kann, dass das Land also niemals die Interessen von Hizbullah in Libanon, Ansar Allah (Huthi) in Jemen, Asads Syrien oder der schiitischen proiranischen Milizen im Irak, und schon gar nicht der schiitischen Opposition in den arabischen Golfstaaten schützen kann. Das Attentat hatte so vier Ziele: Irans Nuklearkompetenz schwächen, die Machtlosigkeit der Revolutionsgarden blosslegen, das Ansehen Irans bei dessen Alliierten zu ruinieren und eine Wiederannäherung der Biden-Administration an eine Nukleardiplomatie mit Iran zu verhindern.
Die grosse Kränkung
Was von diesem Ziel umgesetzt wird, wird sich zeigen. Doch die Nerven liegen in Iran blank. Mehr noch als im Januar 2020 muss Iran, gebeutelt von der Corona-Krise mit ihren grossen Auswirkungen auf die islamisch-religiöse Verfasstheit der Gesellschaft, eingestehen, dass es tatsächlich nicht mehr weiss, was im eigenen Land vor sich geht. Hingegen sind die auswärtigen Geheimdienste wohl weit besser informiert. Die Ermordung Fakhrizadehs stellt so eine enorme Kränkung dar, deren Auswirkungen über kurz oder lang das Regime und seine als unfähig erachteten Behörden treffen werden. Die kommenden Präsidentschaftswahlen werden zeigen, in welche Richtung die Kränkung die Bevölkerung treiben wird.
Iran wird versuchen, das Beste aus der Misere zu machen. Viele Handlungsmöglichkeiten hat das Land nicht mehr. Eine militärische Reaktion ist ausgeschlossen, es sei denn, ein Heisssporn aus der Führung der Revolutionsgarden wie General Salami kann sich durchsetzen. Präsident Ruhani hat vorsorglich schon deutlich gemacht, dass sich Iran das Tempo und die Art der Reaktion nicht durch äussere Umstände diktieren lasse. Es könnte daher sein, dass Iran eher seine Verbündeten als Proxi-Krieger in Stellung bringen wird und diese hier und dort Nadelstiche gegen Israel oder US-Einrichtungen durchführen lassen wird. Allerdings müsste Iran zugleich deutlich machen, dass die Tatsache, dass eine ausländische Macht so unverfroren in Iran operieren konnte, nur ein bedauerlicher, einmaliger Betriebsunfall war. Doch glauben wird das dem Regime in Teheran wohl kaum jemand mehr.