Die US-Army blockiert den Zugang von Armeeangehörigen auf die Webseite der britischen Tageszeitung «The Guardian». Den USA passt es nicht, dass das linksliberale Blatt den Schnüffel- und Überwachsungswahn des angeblichen Horts der Freiheit enthüllte. Offensichtlich stehen die Amerikaner den Chinesen in nichts nach, wenn es um die Kontrolle des Internets geht. Aber noch schlimmer treibt es die englische Regierung.
Zustände wie im Mittelalter
In einem mit viel englischem Understatement geschriebenen Artikel enthüllte der Chefredaktor des «Guardian», Alan Rusbridger, dass der einheimische Geheimdienst GCHQ die Redaktion ultimativ aufforderte, Festplatten mit Informationen des Whistleblowers Edgar Snowden herauszugeben. Als sich der «Guardian» weigerte, sollen laut Rusbridger zwei Geheimagenten im Keller der Zeitung die Zerstörung der Datenträger überwacht haben.
Angekündigt worden sei der Besuch mit dem launigen Satz: «Ihr habt euren Spass gehabt, jetzt wollen wir die Daten aber wieder zurück.» Natürlich ist nicht mal der englische Geheimdienst so blöd, dass er ernsthaft annimmt, damit vertrauliche Informationen über seine Schnüffelaktionen definitiv aus dem Verkehr gezogen zu haben. Genauso wenig meinen die Schlapphüte, die sich wie in einem Roman von John le Carré benehmen, dass neun Stunden Verhör des Partners des Journalisten Glenn Greenwald bei einem Transitaufenthalt in London Heathrow Erkenntnisse erbrachte, die der Abwehr möglicher Gefahren für die nationale Sicherheit beförderlich wären. Aber Greenwald ist die Kontaktperson von Snowden, über die der ehemalige Mitarbeiter der NSA sein beeindruckendes Archiv von Ungeheuerlichkeiten amerikanischer und englischer Geheimdienste an die Öffentlichkeit bringt.
Wissen ist Macht
Das Internet ermöglichte neue Dimensionen im weltweiten Informationsaustausch, macht es für Repressions-Regimes zunehmend schwierig, Berichte, Meldungen, Videos über ihre Untaten unter Verschluss zu halten. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung haben aber auch offiziell der Meinungsfreiheit verpflichtete Staaten, zuvorderst die USA und Grossbritannien, schon vor einigen Jahren damit begonnen, möglichst den gesamten Informationsaustausch via Internet zu kontrollieren. Inzwischen fast unbegrenzte Speicherkapazitäten und immer raffinierte Filterprogramme machen es möglich, diese riesigen Datenfluten zu bearbeiten, statt in ihnen abzusaufen.
In erster Linie dient diese Schnüffelei wirtschaftlichen Interessen, es handelt sich einwandfrei um Industriespionage. In zweiter Linie dient sie der Machterhaltung, denn jeder Staat, jede Regierung möchte gerne so viel wie möglich über ihre Bürger wissen, damit sie als Untertanen gehalten werden können. Und dass möglicherweise der eine oder andere Terroranschlag verhindert werden kann, liefert den Vorwand, diesen ungeheuerlichen Anschlag auf die Privatsphäre von Hunderten von Millionen Menschen im In- und Ausland zu rechtfertigen.
Muskelspiele
Wenn der US-Präsident Obama ein Treffen mit seinem russischen Kollegen Putin absagt, weil der dem Whistleblower Snowden Asyl gewährte, kann man das als zwar kindische, aber immerhin einigermassen zivilisierte Handlung bezeichnen. Was sich aber die britische Regierung leistet, und nach Medienberichten soll die Aktion gegen den «Guardian» direkt vom Premieminister Cameron angeordnet worden sein, ist ungeheuerlich. Es ist ein offener, direkter, primitiver und gezielter Anschlag auf die Pressefreiheit. Es wird nicht einmal der Versuch unternommen, den Anschein zu erwecken, es gehe hier um den Schutz der nationalen Sicherheit oder um die Abwehr einer terroristischen Bedrohung.
Sondern die klare Botschaft ist: Wir können auch anders. Wir pfeifen auf Gesetze, auf Pressefreiheit, auf den Rechtsstaat. Die klare Botschaft, sonst nur in Mafiakreisen beliebt, ist: Diesmal haben wir nur etwas die Muskeln spielen lassen. Zwei Festplatten zerdeppert, einen Transitreisenden für 9 Stunden verhört, ihm sein Handy und seinen Computer weggenommen. Das ist zwar unfein bis illegal, aber: Es ist in erster Linie eine Warnung. Sie lautet: Das nächste Mal könnte auch ein Feuer in den Redaktionsräumlichkeiten ausbrechen, das nächste Mal könnte auch ein Transitreisender spurlos verschwinden. Das nächste Mal werden wir aber nicht offen zugeben, dass wir dahinterstecken.
Und die Reaktion?
Eigentlich müsste man annehmen, dass die gesamte freie Weltpresse aufschreit, dass der britische Premierminister, sollte er tatsächlich den Einsatzbefehl erteilt haben, unter dem Druck von Massendemonstrationen zurücktritt. Denn wenn sich westliche Staaten von Ländern wie China oder Russland in etwas unterscheiden, dann darin, dass im Rahmen von Meinungsfreiheit und unterstützt von einer freien Presse sowohl Wirtschaftsbosse wie Regierende jederzeit damit rechnen müssen, dass Kungeleien und Schweinereien nicht unter dem Deckel gehalten werden können, sondern zum öffentlichen Skandal werden.
Stattdessen herrscht – bislang – eine verblüffende Ruhe. Wie sagte Benjamin Franklin mal so richtig: Wer Freiheit gegen Sicherheit eintauscht, verliert am Schluss beides. Wenn Macht, auch Staatsmacht, nicht kontrolliert und in die Schranken gewiesen wird, dann öffnet sich das Tor zur Willkür, zu rechtsfreien Räumen, zu mittelalterlichen Zuständen. Hoffentlich wachen die Medien und die britische Bevölkerung noch rechtzeitig aus ihrem Tiefschlaf auf.