Die in der Berichterstattung zu den Gesprächen des ukrainischen Präsidenten Selenskyj in Bern und Davos mehrfach zitierte Formel, die Position der Schweiz zum Ukraine-Krieg sei «neutral aber nicht gleichgültig» klingt überzeugend. Dieser Standpunkt rechtfertigt auch die Bemühungen der Schweizer Diplomatie, Friedensgespräche zwischen den Kriegsparteien Russland und Ukraine in Gang zu bringen. Die demonstrative Distanz der SVP zu solchen Anstrengungen kann man nur als zynische Quertreiberei einstufen.
Seit bald zwei Jahren führt Russland gegen das Nachbarland Ukraine einen blutigen und zerstörerischen Angriffskrieg. Deshalb sind alle Anstrengungen, Fährten zu einem Ausweg aus dieser gefährlichen und mörderischen Konfrontation zu finden, zu begrüssen. Das gilt auch für die Ankündigung der Bundesräte Cassis und Amherd beim gestrigen Besuch des ukrainischen Präsidenten in Bern, man werde gemeinsam versuchen, eine Art «Friedensgipfel» zu organisieren, der nach Möglichkeit konkrete Perspektiven zur Beendigung dieses Krieges eröffnen soll.
Unrealistische Forderungen in Moskau und Kiew
Natürlich sind die Hindernisse, die sich der Annäherung an diese Zielsetzung entgegenstellen, sehr hoch. Frühere Vermittlungsversuche, die kurz nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine vom Februar 2022 unternommen wurden, sind gescheitert. Die Grundforderungen, die das Putin-Regime im Dezember 2021 in einem Katalog zuhanden der Nato vorgelegt hatte, sind in ihrer ultimativen Form weder für Kiew noch für das westliche Bündnis akzeptabel. Moskau verlangte nicht nur den definitiven Verzicht der Ukraine auf eine mögliche Mitgliedschaft im Nato-Bündnis, sondern auch den Rückzug sämtlicher westlichen Militärkräfte aus jenen osteuropäischen Ländern, die sich nach der Auflösung des Sowjetimperiums der Nato angeschlossen hatten. Welche Sicherheitsgarantien Russland für die Ukraine anerkennen würde, um sie vor zukünftigen Angriffen zu schützen, bleibt völlig unklar.
Absolut undurchsichtig ist bisher auch die Frage, auf welche Grenzen sich die russischen Streitkräfte im Rahmen eines Friedensschlusses mit der Ukraine zurückziehen könnten. Bekanntlich hat das Putin-Regime inzwischen mehrere von ihm besetzte Provinzen der Ukraine offiziell als russisches Territorium annektiert.
Doch auch die von der Selenskyj-Regierung propagierte «Friedensformel», über die in mehreren internationalen Konferenzen ohne Beteiligung Russlands diskutiert wurde, bietet mit ihren zehn Punkten keine Grundlage für eine realistische Kompromisslösung. Es liegt auf der Hand, dass Putin der von Kiew geforderten Einrichtung eines Kriegstribunals und der Forderung von Reparationen für die Kriegsschäden in der Ukraine nie zustimmen wird. Beide Seiten werden über ihren Schatten springen müssen, wenn die schweizerische Initiative für einen «Friedensgipfel» nicht im Sande verlaufen soll.
Moskau muss eingebunden werden
Dennoch sind die von Aussenminister Cassis angekündigten Bemühungen für einen neuen Anlauf zur Friedensvermittlung nicht zum Vornherein als völlig aussichtslos einzustufen. Weshalb sollte ein neutrales Land wie die Schweiz, das diplomatisch weltweit eng vernetzt ist und als Sitz des Internationalen Roten Kreuzes über etlichen Goodwill in Sachen Vermittlungslösungen verfügt, nicht versuchen, Kanäle für mögliche Kontakte und Verhandlungen zwischen den Parteien des unseligen Ukraine-Krieges zu öffnen? Natürlich kann es bei diesen Bemühungen nur Fortschritte geben, wenn es gelingt, auch das Putin-Regime in das Gesprächsnetz einzubeziehen. Ob das gelingt, ist höchst fraglich, denn bisher sind aus Moskau keine Signale auszumachen, die auf ein ernsthaftes Interesse an einer baldigen Beendigung des Kriegsgeschehens in der Ukraine hindeuten.
Ein Hoffnungsschimmer für diesen Vermittlungsversuch wäre es, wenn es der schweizerischen Diplomatie gelingen sollte, China in das angestrebte Gesprächsnetz einzubinden. Die chinesische Führung hat schon vor bald einem Jahr angekündigt, dass es sich für eine Lösung der russisch-ukrainischen Konfrontation einsetzen werde. Doch von irgendwelchen Bewegungen bei dieser Initiative war seitdem so gut wie nichts mehr zu hören.
Kaltschnäuzige Absenz der SVP-Vertreter
Alles andere als konstruktiv auf den von Bundesrat Cassis lancierten Anlauf für einen Friedensprozess im Ukraine-Krieg reagierte bisher die konservative SVP und ihre publizistischen Trabanten. Am Gespräch Selenskyjs vom Mittwoch in Bern mit den Vertretern der Parlamentsparteien glänzten die SVP-Repräsentanten durch demonstrative Abwesenheit. Schon im Sommer hatten die SVP-Vertreter den Parlamentssaal verlassen, als Selenskyj per Videoschaltung zu den Volksvertretern sprach. Offenkundig will die SVP mit dem gewählten Präsidenten eines verzweifelt um seine Existenz kämpfenden Volkes nichts zu tun haben. Eine blamable politische Haltung, die nicht den Hauch von Empathie für das kriegsversehrte ukrainische Volk erkennen lässt.
Noch destruktiver reagiert die der SVP nahestehende Weltwoche-Postille. Für die Journalisten in Köppels Diensten ist der Präsident der überfallenen Ukraine vor allem ein Kriegstreiber, während der Aggressor Putin gerne als vom Westen missverstandener Staatsmann und wohltätiger russischer Landesvater glorifiziert wird.