Betrachten wir den Roboter Myon als Türöffner ins 21. Jahrhundert. „Happy New Year!“ als Botschaft aus der Welt der künstlichen Intelligenz. Das freundliche Wesen soll uns motivieren, neugierig zu sichten, was sich abzeichnet im Neuen Jahr.
Siebenjährig und schon Opernstar
Er lernt wie ein siebenjähriges Kind, durch nachahmen. Doch Myon, der modulare Roboter aus dem Forschungslabor Neurorobotik der Beuth Hochschule für Technik Berlin hatte bereits seinen Auftritt an der Komischen Oper Berlin und auf Fernsehen SRF, Sternstunde. Der kleine, 1.27 Meter grosse Kerl reagiert auf seine Umwelt, kann selbst entscheiden, wie. Am besten, man beobachtet ihn auf YouTube (www.zeit.de>Start>Vido>Digital – Erklärvideos anklicken und Myon auswählen). …
Roboter übernehmen
Ob man das gut findet oder nicht, bleibt persönliche Entscheidung. Tatsache ist, dass immer mehr Arbeiten zukünftig durch Roboter übernommen werden. Vorbei die Zeiten, als wir Roboter nur aus Fabrikationsprozessen kannten. Jetzt erhalten Chirurgen von Laserrobotern Konkurrenz. Kassiererinnen im Supermarkt werden durch Self-Scanning überflüssig. Immobilien-, Börsen- und Versicherungsmakler werden immer mehr durch Internetportale ersetzt. Banker werden aus repetitiven Arbeiten verdrängt.
Es zeichnet sich eine weitere Generation digitalisierten Umkrempelns in der Arbeitswelt ab. Nicht mehr nur Routinearbeiten sind betroffen, auch höher Ausgebildete rücken in den „Gefahrenbereich“: Anwälte, Ärzte (medizinische Diagnosen) Professoren (E-Learning), um nur einige zu nennen. Und natürlich wissen wir bereits, dass selbstfahrende Autos, Züge ohne Lokomotivführer, computergesteuerte Weichen und Signale im Bahnverkehr, Flugzeuge ohne Piloten weltweit getestet und eingesetzt werden. Roboter Handrian erstellt in zwei Tagen Backsteinwände eines Einfamilienhauses, für die der Maurer fünf Wochen benötigt. Diese Listen lassen sich beliebig verlängern. Und vergessen wir nicht: Dies alles passiert in den nächsten zehn Jahren.
Watson, IBMs Fragenbeantworter
Watson ist ein Computerprogramm aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz. Es wurde von IBM entwickelt, um Antworten auf Fragen zu geben, die in digitaler Form in natürlicher Sprache eingegeben werden. Ziel des Projekts ist es letztlich, eine hochwertige Semantische Suchmaschine zu schaffen. Diese soll den Sinn einer in natürlicher Sprache gestellten Frage erfassen und in einer großen Datenbank, die ebenfalls Texte in natürlicher Sprache umfasst, innerhalb kurzer Zeit die relevanten Passagen und Fakten auffinden.
Eine derartige Software kann in vielen Bereichen, etwa der medizinischen Diagnostik, komplexe Entscheidungen unterstützen, insbesondere wenn diese unter Zeitdruck getroffen werden müssen. Ein iPad-App Point of Care beliefert Ärzte mit den allerneuesten Forschungserkenntnissen bei Krankheiten. Ein anderes App beantwortet tausende Fragen von Ärzten und Pflegepersonal über Symptome und Behandlungsvorschlägen bei Diabetes, Lungenkrebs oder Multiple Sclerosis. Auch Anwälte bekommen digitale Hilfe: Im Zusammenhang mit Firmenpleiten (Bankrott) etwa, können sie Antworten inkl. Zitierungen und passenden Fachartikeln abrufen.
Doch zur allgemeinen Entspannung: es gibt auch ein App Wine4me, das jedem von uns den passenden Wein vorschlägt, basierend auf Angaben über Budget, Vorlieben und Menu. Oder eines, das Hoteliers vorschlägt, wie ihre Dienstleistungen zu optimieren. Und neuerdings sorgt ein App dafür, dass Firmen für Kandidatenevaluation deren Schreibstil in Social Media oder tweets analysieren.
E-Commerce, das Erdbeben im Detailhandel
Ging es bisher um Waren, Verkaufsflächen (und ideenloser Werbung), geht es zukünftig um Daten. Instacart aus dem Silicon-Valley handelt ohne Waren. Der Kunde ordert über App, was er benötigt (oder meint, zu benötigen), selbständige „Einkäufer“ suchen in der Umgebung und liefern innert einer Stunde. Vom Supermarkt zur Supercloud – der Tauschhandel wird einmal mehr neu erfunden. Wünschen, Kaufen, Liefern – nur beim Essen bleibt es beim Althergebrachten. Allerdings auch hier mit Ausnahmen: Während Kochbücher inflationär zunehmen, nimmt das Zuhausekochen unaufhaltsam ab. Schnellverpflegung, der Lunch auf der Strasse, das Mode- oder Warenhaus mit trendiger Lifestyle-Bar – wer mag da noch kochen?
Nichts bleibt, wie es ist
Fast nichts. Natürlich werden das Taxigewerbe durch Uber und die Hotelbranche durch Airbnb immer mehr konkurrenziert, Such-Apps übernehmen das Abgleichen von freien Kapazitäten, sehr zum Missfallen alteingesessener Betriebe. Konsumkredite, Computerprogrammierung, Automitfahrerbörse, Geräteausleihung, Start-up-Finanzierung, Haushalt- und Putzhilfen stehen stellvertretend – alle Suchenden und Anbieter treffen sich längst weltweit via Internet. Teilweise sind die Wachstumsraten dieser noch jungen Branche atemberaubend. Unsicher bleibt im Moment, ob dieser Trend zusätzlich Jobs generiert oder umgekehrt. Doch braucht sich wohl ein ausgewiesener Koch oder eine kreative Köchin nicht vor dieser Entwicklung zu fürchten. Putzbrigaden in Büros oder Putzkräfte in privaten Haushalten – kein App wird sie ersetzen, auch wenn sie über Apps angefordert werden können. Und, wo zwischenmenschliche Kontakte entscheidend sind, steht der Roboter vorläufig noch draussen.
Eine wichtige Aussage machen jedoch alle Spezialisten, die sich mit Robotern, intelligenten Maschinen, Computern, Internet befassen: viele traditionelle Berufe werden dieser Entwicklung zum Opfer fallen. Ob es diesmal, wie bei bisherigen industriellen Revolutionen – gelingen wird, solche durch neue in der digitalen Welt zu ersetzen, ist mehr als fraglich. Umso wichtiger scheint es, dass unsere Schulen dieser rasanten Entwicklung vermehrt Aufmerksamkeit schenken.
Daran wird geforscht
Hier im Telegrammstil weitere Zukunftstöne, auch solche, die nicht direkt mit der Digitalisierung zusammenhängen: Für kleine Haltestellen planen die SBB ein neues Modell Fertigbahnhof, mit dem 70 Prozent der Kosten eingespart werden. Facebook, Google, Uber definieren unsere Vorstellung von Privatsphäre (die immer mehr erodiert). Umweltbelastende Kunststoffe werden durch natürliche aus Holz ersetzt. Am Impact Hub Zürich entstehen 250 Arbeitsplätze für Entwickler, Kreative und Konzerne. Climate Corp. aus San Francisco arbeitet am „digitalen Acker“: Sensoren und Roboter sorgen für höhere Erträge bei kleinerem Ressourcen-Einsatz. Und bekanntlich fährt das Google-Auto ohne Fahrer in Kalifornien schon längst auf den Highways.
Nestlé forscht an der Ernährung der Zukunft, die uns vor Krankheiten schützen, geistig fit halten oder das Altern verlangsamen soll. Computerköche tüfteln an Gemüse, Fleisch oder Eier, die aus dem Labor kommen. In einem alten Lagerhaus in San Francisco wird von der Firma Hampton Creek der Systemumsturz gegen die Nahrungsmittelbranche geprobt: z.B. eine Mayonnaise ohne Ei auf der Basis von Erbsen. Bereits spricht der Economist von „Grüner Nahrung“: Technologie Startups mischen die Nahrungsmittelindustrie auf mit nachhaltigen „Fleisch“- und „Molkerei“-Produkten auf der Basis von Pflanzen.
Politik und Staat: Herausforderung!
Kein Zweifel, die Digitalisierung ist Wachstumstreiber in der Schweiz. Soll dieser Effekt zukünftig optimal genutzt werden, müssen die staatlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Markus Langengger, wissenschaftlicher Mitarbeiter Ressort Wachstum und Wettbewerbspolitik bei Seco, schreibt in Die Volkswirtschaft: „Gerade für ein ressourcenarmes Land wie die Schweiz ist die Nutzung dieses Wachstumspotenzials von grosser Bedeutung“. Um verschwindende Arbeitsplätze zu kompensieren, gilt es deshalb, vermehrt Bildung, Weiterbildung und das Forschungsumfeld zu stärken. Die neuen Arbeitsplätze setzen neue Qualifikationen voraus, Schüler und Studenten müssen darauf vorbereitet werden. „Zudem sollte darauf geachtet werden, dass Innovationen nicht durch vorschnelle Regulierung behindert werden“.
Die Schweiz ist gut unterwegs
Schnelle, offene und neugierige Unternehmen, vor allem auch kleine, profitieren vom Trend, dass die technologische Entwicklung immer leistungsfähigere Werkzeuge zur Verfügung stellt, die vormals nur den grossen Konzernen vorbehalten waren. Analog zur Entwicklung bei den PCs (immer kleiner und billiger) verläuft der Siegeszug der 3D-Drucker mit dem sich Produkte designen und herstellen lassen. Startups mit spannenden Innovationen sind generell kleine Gebilde. Sie vernetzen sich innerhalb von Communities zu Lösungserarbeitungen. Solche Entwicklungen kommen unseren KMU-Strukturen entgegen. Aus Patrons werden „Makers“.
Gemeinsam Anstossen auf ein gutes Neues Jahr soll auch Zuversicht verbreiten. Neben der „kreativen Zerstörung“ (Schumpeter) ist immer auch die überraschende Innovation zur Stelle. Prost!
Weiterführend
Perspektiven der digitalen Revolution
Literatur
Erik Brynjolfsson, Andrew McAfee: „The Second Machine Age“
Eric Schmidt, Jared Cohen: “The New Digital Age”